Köchin & Kellner.

Im TV Pressekonferenz der beiden Spitzenkandidaten. Thema Mindestlohn. Peer Steinbrück von der SPD. Katrin Göring-Eckardt von Bündnis90/Die Grünen. Soviel zur Kleiderordnung.

Danach schreibt die Qualitätspresse freundlich-launig von einer Harmonie-, einer Motivationsveranstaltung. Das heißt wohl, die Wähler waren nicht zum Party-Geturtel eingeladen, das Spitzenkandidatin und Kandidat gaben. Deshalb gibt der Wähler Sohns auch etwas – nämlich den Party-Crasher.

Grund 1: Von Beginn wies Köchin Katrin dem Kandidaten der 150 Jahre alten Volkspartei SPD die Rolle des Kellners zu. Staunend sah man, wie Kellner Peer mit Seitenblick auf Köchin Katrin zum Mindestlohn behutsam einleitete: „Ich freue mich sehr … vorstellen zu dürfen“.

Da zeigte sich die Köchin nett. Zur Frage des Journalisten nach ihrem Verhältnis zum in Umfragen abgestürzten Peer Steinbrück: Der „heutige .. ist mir sehr lieb!“ Zu solcher Chuzpe sind m. E. nur die Frommen fähig; Köchin Katrin hat Theologie studiert, ist auf ihrer Website zu lesen.

Grund 2: Frau Göring-Eckardt sieht sich schon deshalb als Köchin, weil sie die Strategieführerschaft für „Soziale Gerechtigkeit“ der Partei des Kellners entwunden hat. Wohl deshalb mag sie gerade den auf diesem Gebiet parteiintern verleumdeten Steinbrück so gern als Politikpartner – „auf Augenhöhe“ wie der ahnungslose Kellner Peer versichert.

Die Köchin hat nämlich im Juni 2012 ein Thesenpapier zur Grünen Sozialpolitik vorgelegt: „Ermutigen – Ermächtigen – Ermöglichen“. In diesem Papier behauptet sie: „Keine andere Partei hat (sich) in den letzten sieben Jahren … neuen Ansätzen geöffnet wie wir.“ Sie habe, legt der Text nahe, die „Idee der Inklusion“ erfunden.

Katrin Göring-Eckardt beansprucht auch deshalb die Rolle der Köchin, weil sich die „Sozialdemokratie“ mit einem „verengten Blick“ als ungeeignet erwiesen habe. Ungeeignet für Reformen im Sinne ihrer „Vision einer Gesellschaft, die allen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu notwendigen Ressourcen ebenso wie die Übernahme von (Selbst)verantwortung ermöglichen soll.“ Auf Deutsch: Selbstbedienung!

Diese These verbindet die Köchin mit Vorwürfen gegenüber den „Parteien der sozialdemokratischen Familie, der SPD und den Linken.“ Ihre eindrucksvolle Vorwurfsliste: „oft genug Erwerbstätige gegen Arbeitslose ausgespielt“; „Überlegungen zu menschenwürdigen Leistungen für ALG II-Beziehende mit dem Verweis auf die Niedriglöhne ´der kleinen Kassiererin` gar nicht erst zugelassen“; „plumpe Stimmungsmache … gegen ´arabische Sozialhilfeclans` und ´türkische Jugendgangs` oder gegen Arbeitslose, die angeblich ihr Geld für Alkohol und Zigaretten statt für gutes Essen für ihre Kinder ausgeben.“

Grund 3: Zur allumfassenden „Idee der Inklusion“ im Thesenpapier unserer Köchin passt auch nicht die fachliche Arbeitsteilung und spezifische Verantwortlichkeit der verschiedenen „Versicherungszweige“ des Sozialstaats. Göring-Eckardt will z.B. Krankenkassen und Arbeitsagenturen „verzahnen“!

Denn in der „Praxis .. versuchen die einzelnen Zweige, die Kosten gegenseitig abzuwälzen – zulasten der Versicherten.“ Für eine Sekunde glaubt der Leser, die Köchin sei sparsam. Weit gefehlt! Ihre Sympathien richten sich auf „die emanzipatorisch orientierte Reformbewegung, die meist von Betroffenen getragen wurde und die Selbstbestimmung, Teilhabe und Nicht-Diskriminierung forderte. Diese Bewegung hat nicht wenige sozialrechtliche Durchbrüche erzielt, die allerdings in der sozialstaatlichen Praxis nicht vollendet wurden.“

Deshalb klagt die Theologin-Köchin an: „Der herrschende Diskurs der vergangenen 10 bis 20 Jahre hat soziale Sicherung auf eine abhängige Variable der Ökonomie reduziert … Ein ´teurer` Sozialstaat verschlingt Steuergelder und verschlechtert die internationale Wettbewerbsfähigkeit.“ In der nur zu berechtigten Sorge um die Finanzierbarkeit des Sozialstaats sieht die Grüne eine „Banalisierung“. Soviel zum Grund 3 für ein Party-Crashing gegen die Wohlfühl-Konferenz der Spitzenkandidaten.

Grund 4: Hinter dem von der Köchin-Theologin beklagten „Konflikt zwischen Investitionen in die Infrastruktur und monetären Sozialtransfers“ steht natürlich die Tatsache, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Das weiß der Finanzfachmann Steinbrück; der Kellner Peer darf jetzt – kurz vor der Wahl – damit aber nicht kommen.

Deshalb hier der Kommentar des Party-Crashers: Die Theologin-Köchin scheint wie nicht Wenige zu glauben, die „Kühe fressen im Himmel und werden auf der Erde gemolken“ (Volksmund). Durch reale Knappheit erzwungene Entscheidungen, was vorrangig, was nachrangig ist, bleiben Frau Göring-Eckardt wohl fremd, denn das sei alles „viel zu defizitorientiert“. Hinter ihrer Vision „Grüner Sozialpolitik“ steht die von keiner ökonomischen Betrachtung getrübte Überzeugung: „Eine Gesellschaft des Zuhörens und Kümmerns, des sich gegenseitig Respektierens und gemeinsamer Verantwortungsübernahme ist keine Utopie.“ Deshalb „Ermutigen, Ermächtigen, Ermöglichen.“ Dazu fällt dem Party-Crasher ein bekanntes Zitat ein: „Gelesen, Gelacht, Gelocht!“ Aber bei so dicker Phraseologie ist Schluss mit lustig!

Grund 5: Ein Grüner Sozialstaat, der allen Anspruchsbereiten sagt: Wir „Ermutigen – Ermächtigen – Ermöglichen“ euch, beherzt zuzugreifen, ist natürlich chronisch unterfinanziert. Was soll diese Vision der Köchin-Theologin bloß kosten?

Dazu kommen Pläne, deren Kosten uns der ehrliche Finanzfachmann Steinbrück wenigstens teilweise ankündigt: Mindestens 20 Milliarden Euro für Europas Jugend. 80 Milliarden Euro „Investitionen“ für Infrastruktur und Bildung. Und ohnehin 10 bis 11 Milliarden jährlich für „Aufstocker“, meist in Teilzeit tätige Frauen mit Familien. Das sind atemberaubende Größenordnungen bei einem Bundeshaushalt von rd. 300 Milliarden Euro – selbst wenn „Investitions“-Ausgaben über 4 Jahre Regierung „gestreckt“ werden. Obendrein kein „Kaputtsparen“ mehr und mehr Solidarität mit Europas Süden. Eine derartige „Wohlfühl-Party“ auf Kosten der Steuerzahler hatte ich bis dato noch nicht erlebt.

Grund 6: Und dazu kommt – kurz vor der Wahl – das feste Versprechen eines einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro. Das mag den Staat von Zahlungen für eine überschaubare Zahl von vollzeitig arbeitenden Alleinstehenden entlasten. Wo Kinder sind, wird im Niedriglohn-Sektor in aller Regel auch bei einheitlichem Mindestlohn aufgestockt werden müssen. Ein grundsätzlich vernünftiges Verfahren, wenn der Anreiz gestärkt wird, arbeiten zu gehen.

19 Mrd. Euro Kaufkraftzuwachs verspricht Peer Steinbrück mit dem Mindestlohn. Was er verschweigt, ist der wesentlich höhere Zuwachs an Kosten für die Unternehmen und Kleinbetriebe mit sog. „Niedriglöhnen“. Wegen Steuern, Sozialabgaben und zusätzlichen Gemeinkosten!

Deshalb sagt es dieser Party-Crasher. Für die Berater des Kellners Peer: Gemeint ist der in der Ökonomie bekannte „Keil“ („wedge“) zwischen konsumwirksamem Lohnsatz und dem Lohnkostensatz, der die Produktion verteuert, die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe beschädigen kann. Vor allem, wenn in der Folge die Facharbeiter durch Vergleich zum flächendeckenden Mindestlohn sich zu Streiks und militanten Lohnforderungen herausgefordert sehen. Sparen aus Vorsorge ist bei dem Differenz-Keil zwischen hohem „Produktionskostenlohn“ und niedrigerem „Konsumlohn“ in der Berechnung des „Kaufkraftzuwachses“ wohl gar nicht berücksichtigt.

Was Kellner Peer dagegen wieder nicht verschweigen kann, sind lose Bemerkungen im Einvernehmen mit der Köchin über den mangelnden „Kenntnisstand“ der deutschen Gewerkschaften zur Zeit der rot-grünen Bundesregierung 1998 – 2005. Denen sei damals die Tarifautonomie wichtiger gewesen als ein von politischen Parteien versprochener flächendeckender Mindestlohn.

Recht hatten die Gewerkschaften und Recht hätten sie immer noch, wenn sie bei dieser Auffassung geblieben wären! Wie berechtigt die Warnungen namhafter Ökonomen gegenüber Mindestlohn-Versprechungen im Wahlkampf durch die Parteien sind, zeigt schon der sofortige Zwischenruf eines weiteren Party-Crashers, des Vorsitzenden der LINKEN, Bernd Riexinger. Der fordert gleich 10 Euro Mindestlohn. Das reicht als Grund 6 für Party-Crashing. Neben der Formulierung im oben erwähnten Thesenpapier der Köchin, dass die Riexinger-Truppe zur „sozialdemokratischen Familie“ gehöre. Wie gesagt, die Frommen …

Grund 7: Der jederzeit – zu meiner Freude wenigstens – zu Scherz, Satire, Ironie ohne tiefere Bedeutung (Dank an den großen Christian Dietrich Grabbe!) aufgelegte Peer Steinbrück relativiert dann die jahrelangen Opfer, die deutsche Arbeitnehmer durch Lohnzurückhaltung erbrachten. Damit nach der Osterweiterung der EU um Länder mit extrem niedrigen Löhnen deutsche Betriebe wettbewerbsfähig bleiben konnten und nicht abwandern mussten. Flott bemerkt Peer, diese Lohnzurückhaltung habe nur zu „ungleichgewichtigen“, exzessiven Exportüberschüssen auf Kosten der Süd-EU geführt. Er zitiert fröhlich den ganz uneigennützigen Rat der französischen Politikerin Christine Lagarde, die den Deutschen seinerzeit ein Jahr Export-Sabbatical-Pause empfohlen habe.

Da ist leider wieder Party-Crashing dieses Sonntags-Ökonomen angezeigt. In einem Gemeinsamen Binnenmarkt und Euro-Raum verlieren doch wohl die an nationalen Grenzen anknüpfenden Handelsstatistiken zu „exorbitanten“ Exportüberschüssen an Bedeutung. Sonst regen wir uns noch über die Exportüberschüsse Bayerns auf. Wichtig ist, ob die Zahlungsbilanz der Eurozone (gleich ob als Leistungsbilanz oder als Grundbilanz definiert) halbwegs ausgeglichen ist. Das kann für Analysen zum Güter- und Kapitalverkehr mit anderen Währungsgebieten wichtig sein. Nur auf dieser Ebene sind „außenwirtschaftliche Ungleichgewichte“ ernsthaft zu diskutieren, Herr Steinbrück. Und auf Ebene der Eurozone bestehen gravierende außenwirtschaftliche Ungleichgewichte nicht. Mehr nicht zum 7. Grund, Ärger zu machen.

Schließlich freute ich mich nach dem Ende dieser Köchin-Kellner Harmonie-Party zum Thema Mindestlohn, zu dem nun gar nichts Vernünftiges gesagt wurde, über einen ganz mild argumentierenden Party-Crasher. Den wegen sachkundiger Beiträge im TV geschätzten Bonner Politikwissenschaftler Professor Tilman Mayer.
Herrn Professor Mayer verdankt der Bürger das Fazit zum Auftritt der rot-grünen Spitzenkandidaten. Ich versuche, seinen klugen Kommentar sorgfältig, vielleicht nicht genau wörtlich, wiederzugeben:

Das Thema Mindestlohn könnte im Wahlkampf etwas bringen, wenn man alles glaubt, was hier vermittelt wurde.
Wenn man mehr Geld angeboten bekommt, muss man sehr standfest sein, um das abzulehnen.
Wegen der zurückhaltenden Lohnpolitik steht Deutschland als Standort gut da. Aber die Wettbewerbsfähigkeit könnte bedroht sein.

Mit Dank an Herrn Professor Dr. Tilman Mayer schließe ich die Beobachtung des Wahlkampfes ab.