“Konzertierte Aktion“ vs. Inflation?

 

Bundeskanzler Scholz hat gegen die hohe Inflation ein Bündnis von Gewerkschaften, Verbänden, Bundesbank, Wissenschaft und Regierung für “konzertierte Aktion“ zusammengeführt.

Ziel der als “Dialogreihe“ geplanten “konzertierten Aktion“ ist, durch “fairen Ausgleich zwischen den Interessen in einem Geist der Gemeinsamkeit“ Instrumente zu entwickeln, um der Inflation der Verbraucherpreise entgegenzuwirken. Vor allem seien „reale Einkommensverluste abzumildern und eine drohende Preisspirale abzuwenden.“ *1)

1. Statistisches Bundesamt: “hohe Inflation“.

Die jährliche Inflationsrate im Juni 2022 betrug etwa 8 % im Vergleich zum Juni 2021. Vereinfacht ausgedrückt haben sich die von privaten EndverbraucherInnen für ihren Konsum erworbenen Waren und Dienstleistungen im Vergleich zum Vorjahresmonat im Juni 2022 um rd. 8 % verteuert.

Die Europäische Zentralbank (EZB) definiert als stabiles Preisniveau eine jährliche Inflationsrate von 2 %. Diese Zielgröße mittelfristig zu gewährleisten, ist die wichtigste Verantwortung der EZB. Das 2%-Ziel des stabilen Preisniveaus erscheint angemessen: Wegen Qualitätsverbesserungen von Gütern und um einen Sicherheitsabstand gegenüber Erwartungen eines allgemeinen Verfalls  des Preisniveaus (Deflation) zu wahren. Denn bei künftig erwarteten Preissenkungen für sehr viele, hochpreisige Güter würden Kaufentscheidungen in die Zukunft verlagert und heute zu Nachfrageausfall und Rezession führen können.

Zum Verständnis der Messung, Wirkung und Ursache der aktuellen Inflationsrate von rd. 8 % seien die folgenden Feststellungen des Statistischen Bundesamtes kurz hervorgehoben: *2)

  • Der “Verbraucherpreisindex“ betrug im Juni 2022 +7,6 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Der “Harmonisierte Verbraucherpreisindex“ erreichte im Juni 2022 +8,2 % im Vergleich zum Vorjahresmonat.
  • Diese beiden nationalen Teuerungs- bzw. Inflationsraten beziehen sich jeweils auf einen “repräsentativ ausgewählten Waren- und Dienstleistungskorb“ mit einem “Wägungsschema“. Vereinfacht ausgedrückt, wird die Inflationsrate (Preisindex der Lebenshaltung) für einen “Waren- und Dienstleistungskorb“ von rd. 650 Gütergruppen berechnet, die private Haushalte (EndverbraucherInnen) kaufen. Dem “Wägungsschema“ entsprechend sind bei den Preisänderungen die Anteile (“Gewichte“) ihrer Ausgaben für die gekauften Waren- und Dienstleistungsgruppen zu berücksichtigen. Je höher die Ausgaben für eine Gütergruppe, desto stärker wirken deren Preisänderungen auf die Inflationsrate, die somit anzeigt, wie hart die privaten Haushalte von der Teuerung betroffen sind.
  • Das Statistische Bundesamt berechnet neben dem Verbraucherpreisindex für Deutschland (VPI) auch einen Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für Deutschland. „Der HVPI wurde in der Europäischen Union (EU) entwickelt, um Preisänderungen international vergleichen und zu einer Gesamtinflationsrate für Europa und der europäischen Währungsunion zusammenfassen zu können.“
  • “Der harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Länder der europäischen Währungsunion dient vor allem der Europäischen Zentralbank (EZB) als zentraler Indikator zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Preisstabilität innerhalb der Eurozone. Aus Sicht der EZB kann Preisstabilität am besten gewährleistet werden, wenn mittelfristig ein Inflationsziel – gemessen an der HVPI-Teuerungsrate – von 2 % angestrebt wird.“
  • „Die Preise für Waren insgesamt, die unter anderem Energieprodukte und Nahrungsmittel umfassen, erhöhten sich im Juni 2022 gegenüber dem Vorjahr erheblich (+ 14,0 %, davon Verbrauchsgüter: +18,6 %; Gebrauchsgüter: +5,5 %)“ Verschiedene Dienstleistungspreise stiegen deutlich, vor allem „die Wartung und Reparatur von Wohnungen und Wohnhäusern (+12,4 %) sowie von Fahrzeugen (+6,4 %).“
  • Die Inflationsrate werde — so das Statistische Bundesamt —  “erheblich vom Anstieg der Preise für alle Energieprodukte infolge der Kriegs- und Krisensituation bestimmt. Hinzu kommen weiterhin Lieferengpässe durch unterbrochene Lieferketten, auch aufgrund der Corona-Pandemie, sowie deutliche Preisanstiege auf den vorgelagerten Wirtschaftsstufen (rs z. B. Erzeugerpreise). Dadurch verteuerten sich nicht nur die Energieprodukte, sondern auch … viele Nahrungsmittel.“

2. “Konzertierte Aktion“, Stabilitätsgesetz von 1967, Inflationsgefahren.

Stabilität bzw. Gleichgewicht unserer Wirtschaft liegt vor, wenn gleichzeitig ein stabiles Preisniveau, ein hoher Beschäftigungsstand, ein außenwirtschaftlichen Gleichgewicht sowie stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum gegeben sind. *3)

Offensichtlich zeigt die Differenz zwischen der aktuellen Inflationsrate von rd. 8 % und der EZB-Zielgröße für ein stabiles Preisniveau von 2 % wie ernst unsere wirtschaftliche Stabilität durch die hohe Inflation bedroht ist.

Bei solch schwerwiegender Gefährdung der Stabilität des Preisniveaus soll „die Bundesregierung Orientierungsdaten für ein gleichzeitiges aufeinander abgestimmtes Verhalten (konzertierte Aktion) der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände“ zur Verfügung stellen. *3)

In “konzertierter Aktion“ auf der Grundlage einer gemeinsamen Informationslage und Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Situation wären im Sinne des Stabilitätsgesetzes situationsgerechte wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen von der Bundesregierung zu treffen und mit den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden sowie der Deutschen Bundesbank und der Wissenschaft abzustimmen.

Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Joachim Nagel, hat die Aufgabe der “Konzertierten Aktion“ umrissen: „Bei der Kon­zer­tier­ten Ak­ti­on geht es um die hohen In­fla­ti­ons­ra­ten und die Frage, was in Deutsch­land die Po­li­tik und die Ta­rif­part­ner da­ge­gen tun kön­nen. Meine Funk­ti­on dort sehe ich darin, die ana­ly­ti­sche Ex­per­ti­se der Deut­schen Bun­des­bank in die Dis­kus­si­on ein­zu­brin­gen.“ *4)

Zugleich warnte Bundesbankpräsident Nagel vor zwei Gefahren der Inflation: *4)

  1. Vor der Ge­fahr, dass sich die hohen In­fla­ti­ons­ra­ten ver­fes­ti­gen … „Die kurz­fris­ti­gen In­fla­ti­ons­er­war­tun­gen seien zu­letzt deut­lich ge­stie­gen. Und das be­treffe so­wohl die pro­fes­sio­nel­len Markt­teil­neh­me­rin­nen und -be­ob­ach­ter als auch die pri­va­ten Haus­hal­te und Un­ter­neh­men.“
  2. Vor der Gefahr, dass sich die mit­tel- bis lang­fris­ti­gen In­fla­ti­ons­er­war­tun­gen über dem EZB-Ziel­wert von 2 % “verankern“. Eine solche “Entan­ke­rung der In­fla­ti­ons­er­war­tun­gen vom 2 %-Ziel“ sei unbedingt zu ver­hin­dern. Andernfalls  würden sich die hohen Inflationserwartungen auf Lohnforderungen und Preisbildung übertragen. Dann könnte eine Preis-Lohn-Preis-Spirale den Inflationsprozess weiter beschleunigen.

Nagel verwies auf die Erfahrungen der USA-No­ten­bank (FED) Anfang der 1980er Jahre: Die FED hatte den Leit­zins bis auf 19 % mit der Folge tiefer Re­zes­sio­nen erhöhen müssen. Wegen der da­mals “entan­ker­ten In­fla­ti­ons­er­war­tun­gen“ konnten nur derart extreme Zinserhöhungen die In­fla­ti­ons­dy­na­mik brem­sen.

Es bleibt zu hoffen, dass diese Warnungen des Bundesbankpräsidenten in den lohn- und preispolitischen Vereinbarungen der Konzertierten Aktion nachhaltig beherzigt werden. Indem durch die Bundesregierung, die EZB, die Lohnpolitik der Gewerkschaften und die preispolitische Überzeugungsarbeit der Unternehmensverbände die Inflation zügig bekämpft wird.

Kann die Inflationsdynamik rasch gebrochen werden?

Skepsis erscheint angebracht. Selbst „Kanzler Olaf Scholz rechnet noch lange Zeit mit einer hohen Inflation. … ´Die Preise werden auch nicht schnell wieder sinken, sondern das wird lange ein Problem bleiben, mit dem wir lange zu kämpfen haben.`“ *5)

Ein Grund für die von Scholz erwartete lange Dauer der hohen Inflation könnte sein, dass die Bundesregierung nicht bereit scheint, eine Senkung der privaten und staatlichen Ausgaben einzuleiten. Die gesamtwirtschaftliche Nachfrage müsste verringert werden, um sie an das reduzierte Güterangebot anzupassen, das durch den Krieg Russlands und durch unterbrochene Lieferketten verursacht wird. In dieser angebotsseitigen Krisenlage, von der niemand weiß, wie lange sie dauert, wächst auch der Kostendruck bei Vorprodukten (z. B. Energie, Rohstoffe) für viele Unternehmen. Die Beibehaltung der Nachfrage durch die staatliche Infrastruktur-, Sozial- und Klimapolitik erleichtert den Unternehmen, den Kostendruck auf die Preise zu überwälzen, damit wird der Inflationsprozess verlängert. Auch die EZB scheint nicht bereit, die Inflation durch Erhöhung der Zinsen so zu drosseln, dass mit sinkender Nachfrage das Risiko einer Rezession drohen könnte. *6)

Angesichts dieser Aussichten wird von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) politische Instabilität befürchtet: „Wenn die Preissteigerungen viele Menschen hart treffen und wir zusätzlich im Herbst noch eine starke Corona-Welle erleben, dann ist das Potenzial für Mobilisierung und Radikalisierung da … Dann werden Populisten und Extremisten ihre Chance wittern, ähnlich wie in der Hochphase der Corona-Proteste.“ *7)

Ist die “Konzertierte Aktion“ als “Dialogreihe“ der zentralen wirtschafts-, sozial- und finanzpolitischen Akteure für glaubwürdige Inflationsbekämpfung so öffentlichkeitswirksam, dass ein breites Bündnis von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft den Extremisten den Boden für eine Hetzkampagne wegen der Inflation entziehen kann?

Dies wird wesentlich von überzeugenden Ergebnissen und damit den Erfolgsaussichten der kommenden Beratungen von Gewerkschaften, Unternehmen, Wissenschaft und Politik abhängen.

3. Erfahrungen mit der “Konzertierten Aktion“ ab 1967.

Die Hoffnung auf Erfolg der “Konzertierten Aktion“ in der Bekämpfung der Inflation legt nahe, auf die Erfahrungen mit diesem politischen Verfahren ab Ende der 1960er Jahre kurz einzugehen. Zudem wird bei der Initiative von Bundeskanzler Scholz für eine “Konzertierte Aktion, um gegen steigende Preise zu steuern“, in den Medien vielfach an die Konzertierte Aktion ab 1967 erinnert: *8)

„Der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller wollte .. die Anti-Krisenpolitik in einer Konzertierten Aktion mit Arbeitgebern und Gewerkschaften abstimmen … (und) mit eigenen Maßnahmen Preisentwicklung und Wirtschaft beeinflussen. Konsens mit den Sozialpartnern sollte in der Sache helfen — und Demokratie und Gemeinsinn festigen. Das will auch Scholz — sein Motto: „Wir müssen uns unterhaken und zusammenhalten.“

Die von SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller begonnene “Konzertierte Aktion“ bestand von 1967 bis 1977. Sie musste sich zuerst mit einer Rezession und dann mit hohen Inflationsraten auseinandersetzen: So betrug die Inflationsrate in der Rezession 1967 1.9 %, 1968 1.6 %. Mit dem Konjunkturaufschwung und zweistelligen gewerkschaftlichen Lohnforderungen, vor allem durch die ÖTV des Öffentlichen Dienstes, stieg sie kontinuierlich bis 1973 auf 7.1 %. *9) Damals hatten die Gewerkschaften die Inflation als Argument genutzt, „um Lohnerhöhungen von bis zu 14 Prozent durchzusetzen“ *10). Eine Lohn-Preis-Spirale, die von der Konzertierten Aktion nicht verhindert wurde, war das Ergebnis und in der Folge die Rezession von 1975.

Im Laufe jener Zeit (1967 – 1977) wurde die “Konzertierte Aktion“, also das Zusammenwirken von Staat, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden zunehmend belastet, was Lehren für die derzeitige “Konzertierte Aktion“ anregen könnte. (Die folgenden Punkte beruhen auf eigenen Recherchen, Gesprächen mit Fachleuten).

3.1. Problem der Öffentlichkeit.

Der auch damals bestehende öffentliche Charakter der Konzertierten Aktion als “Dialogreihe“ habe zunehmend zu “Reden aus dem Fenster“ geführt. Einzelne Verbände hätten die Einigungsversuche mit “vorfabrizierten“ Stellungnahmen über die von ihnen gewünschten Ergebnisse des “Dialogs“ belastet. Dadurch sei der sachbezogene Gesprächscharakter verloren gegangen, auch weil die Teilnahme an der Konzertierten Aktion schließlich für die gesamte Lobby zu einer Prestigefrage wurde.

3.2. Gescheiterte Hoffnung auf Bindung an Wissenschaft und Gemeinwohl.

Mit der Konzertierten Aktion sei politisch die Vorstellung verbunden worden, dass durch wissenschaftlich gestützte “Versachlichung“ der Gespräche ein “Druck der öffentlichen Meinung“ aufgebaut werden könnte. Von diesem “Druck der öffentlichen Meinung“ wurde erhofft, das Verhalten der Verbände in Wirtschaft und Gesellschaft an das “Gemeinwohl“ binden zu können. Empfehlungen des Sachverständigenrates Wirtschaft, dem die Rolle als “neutrale wissenschaftliche Instanz“ zugewiesen war, seien jedoch im Streit der Interessenverbände häufig abgelehnt worden. Die auf Interessen ihrer Mitglieder gestützten Verbände akzeptierten bei der Bewertung politischer Optionen, etwa zur Bekämpfung der Inflation, keine Empfehlung von “neutraler wissenschaftlicher Warte“. Der Sachverständigenrat Wirtschaft als “neutrale wissenschaftliche Instanz“ sei im Interessenkonflikt der Verbände zerrieben worden.

3.3. Strukturelle Benachteiligung der Gewerkschaften. 

Den Unternehmensverbänden sei es gelungen, durch bloße Teilnahme an der konzertierten Aktion die Bereitschaft für Kooperation zu demonstrieren. Überdies hätten sie ihre Aufrufe zur Mäßigung sozial- und lohnpolitischer Ansprüche genutzt, um sich gegenüber den Gewerkschaften als Verteidiger des “Gemeinwohls“ darzustellen.

So sei in den Gewerkschaften die Einsicht gewachsen, in der Konzertierten Aktion schon deshalb benachteiligt zu werden, weil sie strukturell und rollengemäß im gesellschaftspolitischen Verteilungskampf der fordernde Teil sind. Insbesondere für den DGB sei die Konzertierte Aktion zur permanenten Belastung geworden. Denn dass der DGB in die Mitverantwortung für die Ergebnisse der “konzertierten Aktion“ eingebunden wurde, widersprach dem gewerkschaftlichen Prozess der Willensbildung, der von den Einzelgewerkschaften ausgeht.

Dem DGB, aber auch den maßgeblich beteiligten Vertretern der ÖTV (heute Verdi) und der IG Metall wurde von kleineren Gewerkschaften und radikaleren Politikern immer wieder “Kumpanei mit der Bundesregierung“ vorgeworfen. Diese Polemik lastete auf dem gewerkschaftlichen Aktionsspielraum in der “Konzertierten Aktion“ und verengte ihn.

3.4. Scheitern der Konzertierten Aktion 1977.

Die Verfassungsklage von Unternehmensverbänden gegen das Mitbestimmungsgesetz von 1976 beantworteten die Gewerkschaften mit dem Austritt aus der “Konzertierte Aktion“. Damit war dieses Instrument für gesamtwirtschaftliche Abstimmung politischen Handelns gescheitert. Größere Trauer scheint seinerzeit darüber nicht aufgekommen zu sein ….

4. Konzertierte Aktion und Inflationsbekämpfung: offene Fragen.

Könnte die derzeitige Konzertierte Aktion als Versuch der Bundesregierung beurteilt werden, harten Entscheidungen der Nachfragedrosselung auszuweichen, durch die sich hohe Inflation zügig verringern ließe? Teilen die beteiligten Gewerkschaften und Unternehmensverbände dieses mutmaßliche Regierungsinteresse? Dominiert bei diesen Akteuren das Interesse an einer hohen, stabilen Inflationsrate, z. B. um höhere Steuereinnahmen politisch zu nutzen, um Steigerungen der Preise und Löhne zu „automatisieren“, um Schulden zu entwerten?

Warum verlor das Instrument der Konzertierten Aktion ab Anfang der 1970er Jahre an Zustimmung? Kam damals auch die Öffentlichkeit zum Ergebnis, von der Politik irregeführt worden zu sein? Irregeführt mit dem Mythos des “Gemeinsinns, des Gemeinwohls“, des grundlegenden “Konsenses“ in Krisenzeiten auch zwischen um Macht konkurrierenden Parteien und gesellschaftlichen Interessengruppen?

Sollten Konflikte zwischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere zwischen den Tarifgegnern, den Gewerkschaften und den Unternehmensverbänden, als notwendig und dem marktwirtschaftlichen System gemäß akzeptiert werden? Sollte die Regierung zwar konsultieren, aber dann entscheiden, statt Interessenkonflikte zwischen Parteien, die um Macht konkurrieren, sowie Gewerkschaften und Unternehmensverbänden mit „Gemeinwohl“-Rhetorik zu übertünchen?

Steht die Konfliktrealität zumindest in der mittelfristigen Perspektive der Inflationsbekämpfung durch Konzertierte Aktion im Widerspruch zur Rhetorik von Bundeskanzler Scholz „Wir müssen uns unterhaken und zusammenhalten“? *8)

*1) Die Bundesregierung. Konzertierte Aktion im Kanzleramt gegen hohe Preise. Gemeinsam die Inflation bewältigen. 4. Juli 2022; https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/konzertierte-aktion-2059532

*2) Statistisches Bundesamt. Pressemitteilung Nr. 296 vom 13. Juli 2022; https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/07/PD22_296_611.html (Hervorhebungen RS).

*3) Siehe: Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582), das zuletzt durch Artikel 267 der Verordnung vom 31. August 2015 (BGBl. I S. 1474) geändert worden ist“, insbesondere § 1 und § 3; https://www.gesetze-im-internet.de/stabg/StabG.pdf (Hervorhebungen RS).

*4) Bundesbankpräsident Dr. Joachim Nagel. Wohin steuert die Geldpolitik? Virtuelle Keynote-Rede beim Frankfurt Euro Finance Summit. 04.07.2022; https://www.bundesbank.de/de/presse/reden/wohin-steuert-die-geldpolitik–894054

*5) Julia Weiss, … Scholz sagt weitere Entlastungen wegen hoher Preise zu: Kanzler Olaf Scholz rechnet noch lange Zeit mit einer hohen Inflation.12.07.2022, morgenlage-newsletter@tagesspiegel.de

*6) Henning Vöpel. Die EZB in der Stagflationsfalle. Warum eine neue Eurokrise droht und eine „kontrollierte Rezession“ helfen kann. cepAdhoc Nr. 8 | 2022 28. Juni 2022; https://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Studien. Vöpel plädiert u. a. für folgende Beiträge der EZB zur Inflationsbekämpfung: „indem sie das Niveau der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage reduziert, damit bei sinkendem Angebot kein inflationswirksamer Nachfrageüberhang besteht (schon jetzt kann man sehen, dass eine bislang zurückgestaute Inflation durch die Angebotsschocks plötzlich inflationswirksam geworden ist).“ Ferner sollte die EZB beitragen, „ die Weltwirtschaft in eine ´kontrollierte Rezession` zu schicken, in der die Anpassungen an die Angebotsschocks vollzogen und gleichzeitig die Inflation bekämpft werden kann.“ (Prof. Dr. Henning Vöpel ist Vorstand der Stiftung Ordnungspolitik und Direktor des Centrums für Europäische Politik. Von 2014 bis 2021 hatte Vöpel als Direktor und Geschäftsführer das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) geleitet).

*7) Innenministerin sieht wegen Inflation Gefahr durch Extremisten. Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 22.07.2022.

*8) DISKUSSION UM ENTLASTUNGEN. Kanzler Scholz startet Konzertierte Aktion, um gegen steigende Preise zu steuern. 04.07.2022; https://www.stern.de/wirtschaft/steigende-preise–kanzler-scholz-beraet-sich-mit-verbaenden-und-wissenschaftlern-32507672.html.

*9) Inflationsrate in Deutschland von 1950 bis 2021. Veröffentlicht von J. Rudnicka, 24.01.2022; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4917/umfrage/inflationsrate-in-deutschland-seit-1948/

*10) Hohe Inflationsrate. Die Angst vor der Lohn-Preis-Spirale. Von Notker Blechner, tagesschau.de Stand: 30.11.2021. Sparer und Verbraucher erleiden derzeit Monat für Monat neue Inflationsschocks. Die EZB beruhigt und prophezeit für 2022 niedrigere Teuerungsraten. Doch was passiert, wenn die Lohn-Preis-Spirale einsetzt? https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/bleibt-die-inflation-so-hoch-101.html