Labor Day.

Wer nimmt nicht gern die Gelegenheit wahr, das zu machen, was ihm/ihr am liebsten ist — nix, nada, nothing? „Starte mit einem neuen Ritual zur Ehre des Labor Day und seines ursprünglichen Geistes. Nimm Dir einen Tag frei!“ *1)

Dieser Rat sollte genutzt werden, um die internationale Gewerkschaftsbewegung zu ehren, der alle arbeitenden Menschen Fortschritte verdanken: in ihrer Bezahlung, zum Schutz ihrer Gesundheit und in ihrem Recht auf Mitbestimmung am Arbeitsplatz, auch in ihrer sozialen Sicherung.

Seit 43 Jahren Mitglied der Gewerkschaft, die heute ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) heißt, erinnere ich den Abend etwa 1960 in Hildesheim, als der Entschluss fiel, irgendwann Mitglied einer Gewerkschaft zu werden.

Die Volkshochschule Hildesheim, geleitet von Herrn Schloesser, hatte zu einer abendlichen Vortragsveranstaltung eingeladen. Mit den Rednern Fritz Berg, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), und Otto Brenner, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall. Auf dem Fahrrad hin rd. 17 km von Schulenburg zum Veranstaltungsort in Hildesheim. Spätabends retour.

Beide Persönlichkeiten kontrastieren in der Erinnerung an jenen Abend auffallend: Herr Berg eher dominant-bärbeißig, Herr Brenner zurückhaltend-intellektuell wirkend.

Für meinen Geschmack würdigte Herr Schloesser Herrn Berg vielleicht eine Spur devot, während Otto Brenner Dank für „ein bemühtes Referat“ gespendet wurde, was mich nicht wenig entrüstete. Heute scheint mir, dass Herrn Schloesser im konservativen Hildesheimer Umfeld eine innovative Leistung gelungen, und dass er mit der Einladung an Otto Brenner durchaus ein Wagnis eingegangen war.

Ich ging jedenfalls zu Otto Brenner, dankte ihm für die lehrreichen Ausführungen über die Entwicklung der deutschen Arbeitsbeziehungen, der Mitbestimmung und der gewerkschaftlichen Zukunftsziele und bat ihn für die schulische Politik-AG um sein Redemanuskript.

Ohne Umstände lächelte Herr Brenner und gab mir seinen Redetext. Bei der späteren Lektüre erwartete mich eine Überraschung: Etwa zehnmal stand dort das Wort „Kampf“ — immer mit Bleistift durchgestrichen und durch das Wort „Ringen“ ersetzt. Der kluge Otto Brenner wusste, wo er sprach …

Zurück zum Labor Day — in den USA ein nationaler Feiertag an jedem ersten Montag im September. Er erinnert an den 5. September 1882, als der Feiertag erstmals in New York City von der dortigen Central Labor Union ausgerufen wurde.

Die gewerkschaftlichen Organisatoren hatten ein strategisches Ziel: den unter siebentägiger 60-Stunden-Woche schuftenden Arbeitern ihre gemeinsamen Interessen durch ein gemeinschaftliches Ereignis, den Labor Day, deutlich zu machen. Viele kleine zersplitterte Gewerkschaften sollten so ihre Kräfte bündeln, um „eine kritische Masse und Macht zu erreichen.“ *1)

Ehren wir daher am Labor Day die Gewerkschafter in der Welt, die seit weit über einem Jahrhundert für die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen kämpfen, ringen!

Vergessen wir nie: Für ein besseres Leben und bessere Arbeitsbedingungen haben ungezählte Gewerkschafter Leben und Gesundheit geopfert. Und viele Gewerkschafter leben noch heute gefährlich.

Deshalb sollte uns Jay L. Zagorskys Frage „Have we forgotten the true meaning of Labor Day?“ zum Nachdenken anregen. Über Gerechtigkeit in unserer Welt.

*1) Have we forgotten the true meaning of Labor Day? September 2, 2016. Jay L. Zagorsky, Economist and Research Scientist, The Ohio State University; https://theconversation.com/ (Übersetzung RS).