Lehrt Corona teilen?

Diese scheinbar simple Frage ist in der Coronakrise inhaltsschwerer als auf den ersten Blick erkennbar. Das Schlüsselwort ist “teilen“.

1. Protagonisten des “Teilens“.

Zunächst könnte der Bürger die Personen auf Glaubwürdigkeit prüfen, die ihn zum Teilen auffordern.

Und im Sinne der von diesen Personen vorgegebenen Gerechtigkeit versetzen wir uns in Arbeitnehmer, die eine Durchschnittsrente zu erwarten haben oder in die Lage kleiner Selbständiger, die solo oder mit kleinem Betrieb oder Geschäft, gewöhnlich keinen Rentenanspruch haben und deshalb auf ein angespartes Vermögen für die Sicherung vor Alter oder Krankheit angewiesen sind. Nennen wir sie kurz: K-Bürger. Aus deren Situation und Interessenlage wird im folgenden argumentiert (kleine Einkommen und Altersgelder; angesparter Vermögensbestand zur Vorsorge).

1.1. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel “teilt“ aus.

Gabriel weiß, wo seine Forderung das größte Aufsehen verspricht: in BILD. Dort fordert Gabriel nichts weniger als eine “Vermögensumverteilung“ nach der Corona-Krise. Dazu holt er gewaltig aus: Elend nach dem Zweiten Weltkrieg mit 12 Millionen Flüchtlingen ohne jede Habe: „Unsere Eltern und Großeltern haben schon mal eine Lösung finden müssen – die nannten wir Lastenausgleich.“

Hier soll Gabriels Glaubwürdigkeit in Fragen der Gerechtigkeit nicht angezweifelt werden. Doch ist es aus Sicht des K-Bürgers verständlich, wenn er seine Situation mit der des prominenten Politikers vergleicht: Gabriels permanente Einkommenslage ist gewiss bemerkenswerter als sein Sach- und Geld-Vermögensbestand.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass Berufspolitiker wie Sigmar Gabriel mutmaßlich mehrfache Altersgelder beziehen könnten: Renten und Pensionen aus verschiedenen Ämtern. Glaubwürdige Vorschläge einer “Vermögensumverteilung“ als Lastenausgleich sollten deshalb auch eine gerechte Vermögensdefinition anwenden. Das hieße für den Personenkreis, den hier z. B. Sigmar Gabriel repräsentiert:

Sämtliche Anwartschaften auf Altersgelder werden entsprechend deren Höhe und versicherungsmathematisch (Lebensdauer) bestimmter Bezugszeit abgezinst auf den gegenwärtigen Zeitpunkt. Dieser Vermögensbestand als Gegenwartswert der Ansprüche auf Alterssicherung wäre dann ebenfalls einer Vermögensteuer zu unterwerfen, ebenso wie die angesparten Vermögen zur Altersvorsorge unserer K-Bürger. Solches “Anwartschaftsvermögen“ könnte bei einer Situation, die vielleicht Gabriels Lage vergleichbar ist, in der Größenordnung von 2 bis 3 Mio. € liegen.

Der besondere Vorteil dieses “Anwartschaftsvermögens“ ist, dass es in Sozialhilfe-Notlagen nicht berücksichtigt wird, auch wenn es das “Schonvermögen“ bei weitem übersteigt. Wer wegen vermeintlicher Gerechtigkeit von “Vermögensumverteilung“ redet, sollte zunächst zur Klärung beitragen, dass zum Vermögen und dessen Vorsorgefunktion auch funktionale Äquivalente wie das hier umschriebene “Anwartschaftsvermögen“ gehören sollten.

Ob Sigmar Gabriel daran oder an die hier als K-Bürger bezeichneten Menschen gedacht hat, die als kleine Selbständige mühsam und lebenslang Vermögen zur Sicherung ihrer Familien aufbauen müssen? Seine in BILD posaunte Forderung nach “Vermögensumverteilung“ lässt dies leider nicht erkennen.

1.2. Bischöfe als Prediger für das “Teilen“.

Der Passauer Bischof, Stefan Oster, “forderte“ nicht wie der noch immer machtbewusste Parteipolitiker Sigmar Gabriel. Der Bischof “wünschte sich“: Die Menschen sollten versuchen zu teilen, auch so, dass man es wirklich spüre, „auch materiell“. *2)

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, vertritt eine ähnliche Sichtweise, jedoch sehr viel weniger zurückhaltend als Bischof Oster.

  • So „sollten Wohlhabende zur Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie mehr beitragen als die übrige Bevölkerung … wenn die Krise vorüber ist, wird es eine riesige Solidaritätsanstrengung brauchen, und ich hoffe, dass wir alle dazu bereit sind. Besonders die, denen es finanziell gut geht.“
  • Von einer Reichenabgabe wolle er nicht sprechen, er selbst sei allerdings dazu bereit, ohne jedes Zögern höhere Steuern zu zahlen, habe Bedford-Strohm betont.
  • Zu „einer möglichen Vermögensabgabe“ sagte Bedford-Strohm, „er wolle sich auf die Form der Lastenverteilung nicht festlegen, er sei weder Politiker noch Wirtschaftsfachmann: Da sollen die Experten bewerten, was nützlich ist und was vielleicht auch kontraproduktiv.“ *3)

Bedford-Strohm wünscht also höhere Sätze der Einkommensteuer für sich selbst und andere Besserverdienende. Damit hat er überraschend deutlich in steuerpolitischen Debatten der politischen Parteien Position bezogen.

Wem eine Portion Zynismus lieber ist als Empörung, verweist auf den Effekt, dass dies die Einnahmen aus der Kirchensteuer erhöhen würde, was erklären mag, dass Bedford-Strohm “ohne jedes Zögern“ dafür eintritt.

Andererseits sind Unternehmen und ihre Arbeitnehmer von der Corona-Krise hart getroffen. Unternehmer, die „für ihre Betriebe und Arbeitsplätze kämpfen, indem sie Eigenkapital einsetzen und vielfach aus privaten Rücklagen zuschießen müssen“, *4) werden die Steuererhöhungen, die der Kirchenmann Bedford-Strohm fordert, weder vernünftig noch christlich finden. Sie werden der Präsidentin des Wirtschaftsrates der CDU, Astrid Hamker, zustimmen, die Bedford-Strohm vorwirft: „Da wird von Ihnen in schwerster Zeit — wieder einmal — Ihr wichtiges Amt statt zur Ermutigung für politische Botschaften missbraucht … Offensichtlich verstehe ich die österliche Botschaft anders als Sie“. *4)

Mag die Christ-Politikerin, Astrid Hamker, als Diplom-Kauffrau und in bedeutenden unternehmerischen Funktionen ausgewiesen, noch Hoffnung auf krisenpolitische Erleuchtung bei Bedford-Strohm hegen. Zu Sigmar Gabriels Austeilungen ist selbst von seinen Parteifreunden in Regierungsverantwortung nichts zu hören. Radikalisiert er sich deshalb in BILD?

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft, Prof. Lars Feld, fordert Steuersenkungen, um Impulse für die wirtschaftliche Erholung zu setzen. Wirtschaftsfachleute halten die Vorschläge Gabriels und der Bischöfe für verstärkten steuerlichen Zugriff in der aktuellen Corona-Krise wie in der kommenden Politik für wirtschaftliche Erholung für unsinnig.

2. Relevantes “Teilen“ in der Coronakrise.

Ein wichtiger Begriff des “Teilens“ wird vermisst, wenn sich etwa folgende Informationen in der deutschen Presse und im TV häufen. Hier eine kleine Auswahl:

  • Die Lage in Amerika: Mehr als 670.000 Infizierte. Weltweit gibt es in den USA die meisten Corona-Erkrankten. (17. April 2020. USA; https://www.swp.de/panorama/coronavirus-usa-aktuell).
  • Covid-19. USA mit den weltweit meisten Corona-Toten. (13. April 2020; https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-usa-).
  • Trauriger Rekord und Trump-Entscheidung. Die USA leiden besonders unter der Corona-Pandemie. Binnen eines Tages starben mehr als 2000 Menschen an den Folgen, 500.000 sind infiziert. (Stand: 11.04.2020; https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-usa-125.html).
  • Coronavirus USA: Riesige Dunkelziffer, viele Tote. Die USA sind das Epizentrum der Coronavirus-Pandemie. (18.04.2020; www.morgenpost.de › vermischtes › article228837147).

Dazu werden Rangfolgen zur Coronavirus-Pandemie publiziert, die diesen Schlagzeilen entsprechen: Bei der Zahl der Infizierten wie bei der Zahl der Verstorbenen führen mit großem Abstand die USA — schauerliches Epizentrum, weil kapitalistisch organisiert?

Diese verantwortungslose, irreführende und womöglich links-ideologisch inspirierte Art der Berichterstattung ist umso gefährlicher, weil sie in Europa ein falsches Sicherheitsgefühl erzeugen kann.

Es werden nur absolute Zahlen verwendet: Infizierte und Tote. Und schon zeigen sie alle auf das kapitalistische Epizentrum USA. Auch in den USA hat Präsident Trump diese Verantwortungslosigkeit anfänglich begangen, allerdings um die Lage herunter zu spielen. Im Gegensatz zu den deutschen Medien sind angesehene amerikanische Lern-Psychologen jedoch eingeschritten und haben — im wahrsten Sinne des Wortes — auf die Wichtigkeit zu “teilen“, zu dividieren, hingewiesen. *5)

Eben weil es bei Ländervergleichen auf die Relationen ankommt. Deshalb ist Denkfaulheit nicht entschuldbar. Zu teilen, zu dividieren ist die Zahl der an Covid-19-Verstorbenen durch die Zahl der Covid-19-Infizierten. Diese Relation drückt die Sterberate aus.

Nun können die Sterberaten länderweise verglichen werden: *6)

USA: 37 298 Tote geteilt durch 712 946 bestätigt Infizierte ist gleich 0.0523.  Multipliziert mit 100 ergibt sich eine Sterberate von 5.23 %. D.h. von 100 Infizierten sterben 5 Menschen.

Sieht man von Deutschland (3.09 %) ab, ist der schauerliche Eindruck des globalen Epizentrums der Corona-Pandemie eher nicht in den USA, sondern in der Europäischen Union zu sehen.

Belgien: 14.67 %; Frankreich: 12.62 %; Italien: 13.19 %; Niederlande: 11.40 %; Schweden: 10.93 %; Spanien: 10.45 %.

Deshalb ist gerade in der EU von Urlaubsreisen in die Partnerländer abzuraten. Es erscheint weniger gefährlich, sich im ländlichen Raum der USA zu erholen als in der EU.

So bleibt zu hoffen, dass die Corona-Krise uns lehrt zu teilen, im hier doppelt gebrauchten Sinne des Wortes!

*1) LASTENAUSGLEICHS-GESETZ WIE NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG. Gabriel fordert Vermögens-Umverteilung nach Coronakrise. 17.04.2020. Es wird eine Zeit nach der Corona-Krise geben. Und schon jetzt stellt sich die Frage, wie Deutschland die enormen Kosten, die in der Krise entstanden sind, stemmen kann; https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/lastenausgleich-nach-corona-krise-gabriel-fordert-vermoegens-umverteilung-70104176.bild.html

*2) Kirchenvertreter rufen zu Nächstenliebe in Corona-Krise auf. 14.03.2020; https://www.kirche-und-leben.de/artikel/kirchenvertreter-rufen-zu-naechstenliebe-in-corona-krise-auf/

*3) Covid-19. Bedford-Strohm fordert wegen Coronavirus-Krise finanziellen Beitrag Besserverdienender. 11. April 2020; https://www.deutschlandfunk.de/covid-19-bedford-strohm-fordert-wegen-coronavirus-krise.1939.de.html?drn:news_id=1119662. Ferner: WIRTSCHAFT. „KEINE ILLUSIONEN MACHEN“. Bedford-Strohm will Reiche nach Corona-Krise mehr belasten. Stand: 11.04.2020; https://www.welt.de/wirtschaft/article207201565/Keine-Illusionen-machen

*4) Brief an EKD-Ratsvorsitzenden. Wirtschaftsrat der CDU: Bischof Bedford-Strohm missbraucht Amt für politische Botschaft. Dienstag, 14.04.2020; https://www.focus.de/politik/deutschland/brief-an-ekd-ratsvorsitzenden-wirtschaftsrat-der-cdu-bedford-strohm-missbraucht.

*5) Math misconceptions may lead people to underestimate the true threat of COVID-19. April 8, 2020. Clarissa A. Thompson, Jennifer Taber, Karin Coifman, Pooja Sidney. (RS: Die Autorinnen sind Professoren für Psychologie); https//theconversation.com/math-misconceptions-may-lead-people-to-underestimate-the-true-threat-of-covid-19-134520? RS Hinweis: Die Autoren zeigen durch den Vergleich der Sterberaten aufgrund verfügbarer Daten, dass die Covid-19-Infektion mindestens 10-mal tödlicher verläuft als die Grippe-Infektion.

*6) RCP Coronavirus Tracker. Coronavirus (COVID-19) Global Deaths. (Aufgerufen 18.04.2020); https://www.realclearpolitics.com/coronavirus/.