Libyen – „Consomption forte“.

Beim vorläufigen „Sieg“ in Libyen dabei zu sein, erzeugt Gedrängel in der deutschen Politik. Und wo gedrängelt wird, geht es ruppig zu. Dabei fällt mancher aus der Rolle.

Dies gilt nicht für den Oppositionsführer Steinmeier. Er hatte bekanntlich Verständnis für die Enthaltung der Bundesregierung bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat zur Resolution 1973 geäußert. Diese Resolution sollte den Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime legitimieren. Herr Steinmeier blieb bei seiner Haltung. Auch Jürgen Trittin stellte seinerzeit fest, dass „Deutschland gemeinsam mit Brasilien und Indien richtig reagiert“ hätte (s. Florian Fuchs, Sueddeutsche.de, 29.8.2011). Dafür bezog er Prügel von Joschka Fischer („Scham“) und Daniel Cohn-Bendit („Klugscheißer“).

Die Position der Bundesregierung und der beiden Fraktionsvorsitzenden lässt sich mit den Überlegungen vergleichen, die Barack Obama 2002 einen Militärschlag gegen den Irak ablehnen ließen: „Dass Saddam sein eigenes Volk abschlachtete, war unstrittig … Ich überlegte jedoch, dass noch kein Ende des Kriegs in Afghanistan erkennbar war. Und ich war mir sicher, dass Amerika durch übereilte .. militärische Aktion die Chance vergab, (durch) konsequent nachdrückliche Diplomatie, verbindliche Inspektionen und treffgenaue Sanktionen … breite Unterstützung für seine Politik aufzubauen.“ (The Audacity of Hope, 2006, S. 294; Übersetzung RS).

Nun hatten sich Präsident Obama, Präsident Sarkozy und Premier Cameron im Fall Libyen für die militärische Lösung entschieden. Dennoch erscheint die Haltung der Bundesregierung  vertretbar, auch nachdem der Militäreinsatz half, dass den tapferen Gaddafi-Gegnern der Erfolg gelang.

Dazu Professor August Pradetto, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. Er urteilt im Rahmen einer Analyse der libyschen Konfliktlage: „Deklaratorisch hat die NATO den Schutz von Zivilisten und die Deeskalation des Konflikts als vorrangige Ziele benannt. Dem entsprechen aber weder die Lageanalyse noch die Strategie und schon gar nicht das Ergebnis des Eingreifens. Vielmehr ist das Vorgehen bestimmt durch die Vorgabe: ein Libyen ohne Gaddafi … Die militärische Verfolgung dieser Zielsetzung ist aber weder mit Resolution 1973 speziell noch mit internationalem Recht allgemein vereinbar.“ Als Ergebnis der militärischen Intervention sieht Pradetto: „Die frühzeitige Unterstützung der Rebellen ließ den Konflikt eskalieren, die Forderung nach einem Regimewechsel schließt Vermittlungsversuche aus, die zu schützenden Zivilisten werden Opfer der Bombardements.“ (A. Pradetto, Der andere Preis der Freiheit, Internationale Politik, 4/2011, S. 53, 58).

Wer diese Analyse teilt, könnte sich über manche Reaktion in der deutschen Politik wundern. So lässt sich Außenminister Westerwelle zum „Respekt“ für das Bomben zwingen. Herr Trittin tarnt seinen leisen Positionswechsel durch persönlich herabsetzende Attacke im TV gegen den Außenminister. Ein bis 2009 amtierender Staatsminister im Auswärtigen Amt trägt diesen Stil sogar ins Plenum des Deutschen Bundestags. Im Plenarprotokoll der 123. Sitzung vom 7.9.2011 finden sich unter „Dr. h.c. Gernot Erler“ folgende Bewertungen zur Person des Außenministers: „Auftreten … Zumutung“, „Außenpolitik … Personifizierung von befremdender Gestalt“, „schiefe Bahn“, „Verlässlichkeit … vertändelt“.

Wie ist solche Gehässigkeit im Deutschen Bundestag möglich? Der Bürger will solche Haltung nicht, eingedenk der Lehren der Weimarer Republik und des Schicksals ihres ersten Präsidenten Friedrich Ebert. Überdies spielt solche politische Unkultur den Extremisten in die Hände. Die harte und konkrete Sachkritik der Sozialdemokraten Klaus Brandner und Dr. Rolf Mützenich an der Politik des Außenministers hob sich vom Stil Erlers ab; denn sie verzichteten auf persönliche Herabsetzung.

Wie erklärt sich nun das fast obligatorische „Danke und Respekt für das Bomben“ von der Bundeskanzlerin über den Vizekanzler Rösler, den Außenminister Westerwelle bis zu Herrn Trittin? Professor Pradetto gab kürzlich zu bedenken, dass der Konflikt keineswegs beendet sei; weitere Gewalt um die Pfründe der Ölvorkommen sei in der Stammesgesellschaft Libyens zu befürchten (stern.de, 25.August 2011; Interview Friederike Ott). Vorläufige Schätzungen nennen als Opfer bereits mindestens 50 000 getötete Kämpfer und Zivilisten (DIE WELT, 31. August 2011, nach Angaben u.a. des Roten Kreuzes).

Wie also versteht man den Dank und Respekt für den Krieg im Lichte dieser Opferzahlen und der Sorge um weitere Gewalt? Man mag die Erklärung der vielfältigen Positionierungen irgendwo zwischen zwei polaren Extremen finden: einerseits, dem opportunistischen Bedürfnis auf der Seite der Sieger zu sein und andererseits dem heroisch gestimmten Blick über die Trümmer des Tyrannensturzes auf eine lichte Zukunft.

Die Europäer hoffen, dass Frieden und Versöhnung in Libyen Wirklichkeit und nicht Illusion werden. Da mag es helfen, wenn sich die politischen Eliten unabhängig von ihrer Bewertung der Kampfeinsätze im Risiko des Beginns auf die Seite der Sieger stellen. Wird nicht viel nützen, „Pech für Berlin“, meint Roland Nelles (SPIEGEL ONLINE, 22. August 2011). „Frankreich, Großbritannien, die USA … werden sich zufrieden zurücklehnen und nun für die Zeit danach einen substantiellen Einsatz von Deutschland verlangen … Wäre man von Beginn an beim Militäreinsatz dabei gewesen, hätte man jetzt eine passable Ausrede.“ Originell der Gedanke, aber hier scheint das Hamburger Pfeffersack-Kalkül zu weit zu gehen. Alle werden dabei sein wollen, das weltweit achtgrößte Ölland wieder aufzubauen.

Nun zur „heroischen“ Perspektive auf Opfer und Sieg. Ein Blick in die Geschichte zu Friedrich Schiller (freiburgs-geschichte.de/1636 – 1648). Er schreibt zur Schlacht bei Freiburg 1644: Der Condé von Enghien „musste sich zum Rückzug entschließen, nachdem er 6 000 seiner Leute umsonst hingeschlachtet hatte. Kardinal Mazarin vergoss Tränen über diesen großen Verlust, den aber der herzlose … Condé nicht achtete. Eine einzige Nacht in Paris, hörte man ihn sagen, gibt mehr Menschen Leben, als diese Aktion getötet hat.“

Dazu der Dichter und Frontsoldat Ernst Jünger: „Diese Haltung der Schlachtenführer, die hinter der Verbrennung die Veränderung sieht, hat mich von jeher ergriffen, als Zeichen einer Lebensgesundheit, die den blutigen Schnitt nicht scheut. Sie konzentriert sich mit klassischer Kürze in dem … Wort von der Consomption forte, vom starken Verzehr, das Napoleon zuweilen in … der Schlacht zu murmeln pflegte, … während die Front unter dem Angriff von Reitergeschwadern und dem Beschuss der vorgezogenen Artillerie wie unter einer Brandung von Stahl und Feuer zerschmilzt.“ (E. Jünger, Das abenteuerliche Herz, Aus den Strandstücken 2, Klett-Cotta, Stuttgart 1994, S. 57, Hervorhebung RS).

Sollten etwa einige unserer militanteren Politiker und Politikerinnen in dieser Weise auf die Opfer sehen? Nicht wahrscheinlich! Nicht wenige sind – nach dem „Sieg“ – zwar schon immer für den Militäreinsatz gewesen. Aber kämpfen sollten nur die Soldaten unserer amerikanischen, britischen und französischen Bündnispartner. Wir stehen mit beiden Beinen im „post-heroischen“ Zeitalter.