Sonntags Ökonomie und Feiertagsökonomen.

Mit der Wirtschaft ist es wie mit dem Wetter, der Gesundheit oder auch z.B. mit der Jagd. Wie es Sonntagsjäger gibt – d.h. den Jagd-Enthusiasten, volle Deckung! – so gibt es auch Feiertagsökonomen.

Alle reden mit, Profis und Amateure. Gut so, denn das ist Ausdruck vielfältiger Zivilgesellschaft. Mitmachen, Positionen erarbeiten, „einmischen“ (sagen uns Politiker gern, solange es ihnen nützt), vom Bürger-Journalisten bis zum Experten. Am letzten Sonntag waren wir alle dabei. Es gab Interessantes zu Schulden, Wirtschaft, Politik. Und die Erkenntnis: Es gibt Feiertagsökonomen mit profunderem Urteil als manch` diplomierte Volkswirte. Doch dazu mehr am Schluss.

1. Im TV-Presseclub.

 Sofort schreckte der Satz auf, „Politiker machen Schulden, um zu gestalten“. Denn für den Gestaltungsdrang reichen die Steuern der Bürger nicht mehr. Es muss bereits das Einkommen der nächsten Generation verplant werden. Herr Holger Zschäpitz (Welt; Cicero) berichtet vom „sparsamen“ Hans Eichel: „Schulden gehören zu meiner Politik dazu“. „Ich gebe Dir“ – diese Art von „Zuwendung“ kann Politiker süchtig und Bürger abhängig machen. Entzieht ihnen den Stoff, die Steuern, das empfahlen Nobelpreisträger Milton Friedman und Präsident Ronald Reagan. Beide wollten sich nicht auf die Bereitschaft zum Sparen verlassen. Daran erinnerte Herr Tschäpitz.

Das gefiel Frau Ulrike Hermann (taz) nicht: Statt Sparen Steuern rauf, bei den Reichen vorzugsweise. Die verdienen ja auch noch an den Schulden. Frau Herrmann warnte: „Wir sparen uns alle in die Rezession!“ Vielleicht hat diese sachkundige Ökonomin Recht. Derzeit ist die Konjunktur fragil. Die kräftigen Importsteigerungen deuten allerdings nicht auf Produktionsabschwung hin.

Mit Schulden finanzierte Staatsausgaben („deficit-spending“) gegen Rezession und zur Finanzierung von Investitionen seien gerechtfertigt, hieß es in der Runde. Der Wirtschaftsethiker der Universität Lüneburg verwahrte sich gar, vielleicht etwas pompös, „einem Gemeinwesen abzusprechen, die Haushaltshoheit wahrzunehmen.“ Ein leicht missverständlicher Satz. Freibrief für Schulden-Politik? Nun, wir haben dank der großen Koalition die Schuldenbremse.

Herr Tschäpitz erklärte uns, warum die Schuldenbremse notwendig ist. DGB-Chef Michael Sommer, ihr großer Kritiker, hat hoffentlich zugehört. Herr Tschäpitz referierte Forschungsergebnisse eines der großen Ökonomen unserer Zeit. Professor Kenneth Rogoff habe festgestellt: Wenn der Stand der Staatsschulden etwa 90 % der jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) erreicht, werde die wirtschaftliche Entwicklung dauerhaft gefährdet. Leuchtet ein: z.B. durch zusätzliche Steuerlast für Zinsen und Schuldentilgung, durch Streichung von Infrastruktur-Investitionen oder auch durch Inflation, die giftigste Steuer, weil sie die fleißigen, aber nicht reichen Leute trifft. Und dadurch schwinden auch die Aussichten künftiger Generationen auf Wohlstand. Deren Einkommen ohnehin schon mit einer Schuldenhypothek belegt sind. Das gibt dem Feiertagsökonomen zu denken. Die Schuldenbremse sollte also Vorgabe für Stabilität in der EU werden.

2. Gemischte Gefühle bei Deutschlandfunk und FAZ.

DLF und die Kulturredakteurin Karin Fischer hatten Professor Michael Krätke, Lancaster University, zum Gespräch eingeladen. Er sei „unkonventioneller Ökonom“, der sich „auch für Fragen der Moral bei Finanztransaktionen interessiert.“ Er vertritt das Fach „Politische Ökonomie“. Das ist kein Feiertagsökonom.

Zunächst lässt er uns die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise noch einmal durchleiden. Und schon kommt die erste gewagte Behauptung: „Staatsschulden (seien) überwiegend durch Rettungsaktionen der letzten zwei bis drei Jahre zustande gekommen.“ Als hätte sich dieser Schuldenberg nicht bereits seit Mitte der 1960er Jahre aufgebaut.

Dann nimmt er sich den Finanzsektor vor. Mit Ausnahme „Grüner Fonds“, gewerkschaftlich kontrollierter Pensionsfonds und des öffentlichen Sparkassensektors sei „das gesamte Geschäft völlig amoralisch“. Nur darauf gerichtet, „in kürzester Zeit den möglichst hohen Gewinn“ zu machen. Wenn es schiefgeht, müsse der Staat, der Steuerzahler retten. „Gesundheit und Bildung“ blieben auf der Strecke, in der ganzen westlichen Welt herrsche „Armut an öffentlichen Gütern“.

Also wieder in den 1950er Jahren angekommen? Oder sieht es vielleicht nur in Lancaster so aus? Und noch etwas fällt mir ein: Professor Krätke, waren es in Deutschland nicht vor allem die Landesbanken, die uns in die Finanzkrise gerissen haben? Die Eigentum des „öffentlichen Sparkassensektors“ sind, den Sie von Ihrem moralischen Urteil ausgenommenen haben? Alle werden von Gewerkschaftlern und Politikern kontrolliert!

Doch jetzt in Fahrt, führt Herr Krätke vor, welche Sorte von Politikern wir in all diesen letzten Jahrzehnten gewählt haben. Seit Mitte der 1970er Jahre hätte Politik durch Deregulierung und Privatisierung die Bühne bereitet für die Tragödie unserer Zeit. Eine regionale Finanzkrise sei deshalb der anderen gefolgt – Mexiko, Asien, Russland bis zur heutigen Katastrophe. Und schmerzlich von mir Feiertagsökonomen empfunden: „Jedem Beobachter war das klar!“ Ja, es gab offenbar nur wenige Beobachter vom Format Krätkes.

Aber an mindestens einen weiteren erinnere ich mich. Das war Ende der 1960er Jahre: Vortrag von Professor Ernest Mandel im WiSo-Hörsaal der Universität Hamburg. Der Ökonom Mandel hat damals schon mit Hilfe von Karl Marx die Weltwirtschaftskrise vorausgesagt. Nur nicht den Zeitpunkt. Wie der Schlecht-Wetter-Prophet, der schließlich immer Recht bekommt.

Auch Professor Krätke lässt Karl Marx, der einen festen Platz in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre hat, nicht ruhen. Marx` Analyse des „maßlosen Wachstums“, des „Akkumulationszwanges“, des Geldkapitals, das „alles niederreißt“ – „man könnte heute einiges von ihm lernen“. Aber natürlich werde nichts gelernt. Re-Regulierung? Alles nur Posaune. Nichts sei geschehen, weil „die Interessenvertreter der Börse mit am Tisch sitzen“. Statt dessen „noch mehr Sparprogramme, die uns alle noch tiefer in die Rezession führen“ (Frau Hermann darf sich bestätigt fühlen). Alles „Umstände, die zu sozialen Explosionen führen“, Hinweis auf Griechenland und Großbritannien bleibt nicht aus. Denn die „Folgen der Krise werden abgewälzt auf Leute, die damit nichts zu tun hatten“. Völlig Unrecht hat er nicht.

Das alles ist nicht Sonntags-Ökonomie, auch nicht Ökonomie. Das ist die von Professor Krätke vertretene „Politische Ökonomie“. Die liefert in dieser Form nicht so sehr wissenschaftlichen Fortschritt, als vielmehr wirkungsvolle Versatzstücke für politische Kampagnen. Dies akzeptiere ich als Feiertagsökonom; denn da haben die Wähler das letzte Wort. Nach den Bildern aus britischen Städten bleibt zu hoffen, dass Professor Krätkes Andeutung „sozialer Explosionen“ bei uns nicht Wirklichkeit wird.

Für Krawall aber wird mindestens in Berlin und Hamburg schon plakatiert und gebrandschatzt. Und auch die FAZ scheint sich zu sorgen. In einem Beitrag vom 13. August, „Die Logik des Krawalls“, wird der Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth zitiert. Seine Untersuchung „sozialer Unruhen der vergangenen 90 Jahre in Europa“ habe einen bedrohlichen Befund ergeben: „Wenn der Staat seine Ausgaben um einen Prozentpunkt kürzt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Demonstrationen, Aufständen und revolutionären Umstürzen kommt, um das Eineinhalbfache.“

Um Himmels willen, darf der Staat nicht sparen und kürzen, auch nicht bei guter Konjunktur? Soll der Staat weiter austeilen zu Lasten der Zukunft? Herr Professor Voth ist kein Feiertagsökonom. Denn ein Feiertagsökonom weiß, dass solche Wahrscheinlichkeitsaussagen umso weniger belastbar sind, je unspezifischer die gemessenen Größen definiert sind, die in die Analyse eingehen. Hier aber kommen alle möglichen, diffusen Begriffe in eine Kiste: von Demos bis Umsturz und das über 90 Jahre Wandel! Wandel, der die politischen und sozio-ökonomischen Einflussfaktoren auf menschliches Konflikt-Verhalten permanent verändert hat. Was wir nun erfahren sollen, aber bereits wissen, ist: Gibt´s weniger Geld als erwartet, folgen immer Gemecker, Demos oder Krawall etc. Ganz gegen meine Neigung zur Zurückhaltung: So, wie in der FAZ präsentiert, ist der zitierte Satz blühender Unsinn! Deshalb ist er hier fett gedruckt. Fragt professionelle Statistiker! Und bleibt bloß bei der Schuldenbremse!

3. Erholung beim Philosophischen Quartett.

Mit gespielter Besorgnis stellt Herr Safranski eine Tatsache fest und eine Frage in den Raum. Damit ist dieser Könner schon beim Kern der Finanzdebatte.

Das Transaktionsvolumen des Finanzsektors übersteige das der Realwirtschaft um den Faktor Sieben! Dies sollte den Feiertagsökonomen nicht überraschen: Sechs Dekaden Expansion der Wirtschaft, der Einkommen, der Ersparnisse, der Geldvermögen stehen dahinter. Das Problem sind die Unberechenbarkeit und das Fehlen von „Verkehrsregeln“ (Helmut Schmidt) bei solcher Manövriermasse.

Dann der Sorgenpunkt: Wie lange müssen wir arbeiten, um alle Schulden abzuzahlen? Diese Frage beunruhigt den Feiertagsökonomen nicht übermäßig. Der Schuldenstand sollte durch Sparen, notfalls Kürzen von Staatsausgaben oder Steuererhöhungen in ein verkraftbar stabiles Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) gebracht werden. Das können auch unsere Euro-Problemstaaten bei ernsthafter Mühe und mit unserer solidarischen Hilfe in weit weniger als einem Jahrzehnt schaffen. Für dieses Stabilitätsziel sind im Euroraum ca. 60 % Schuldenstandsquote angesetzt (Stabilitäts- und Wachstumspakt). Wenn diese Quote von 60 % künftig stabil bleibt, sind wir schon zufrieden, Herr Safranski.

Dann lautet die Stabilitätsregel für geordnete Zukunft: Wenn im günstigen Fall die jährliche Wirtschaftsleistung mit 3% wächst, dann sollten auch die Staatsschulden nicht schneller steigen. D.h. der staatliche Schuldenzuwachs, das Haushaltsdefizit, sollte also – sicherheitshalber auch bei schlechter Konjunktur – nicht mehr als 3% der Wirtschaftsleistung betragen. Bei Wirtschaftswachstum sollten keine Defizite, sondern Budgetüberschüsse realisiert werden.

Der ganze Ärger im Euroraum resultiert daraus, dass sich einige Länder seit langem eine Schuldenquote von weit über 100% statt 60% und ein Staatsdefizit von 10 bis 15% statt maximal 3% leisten. Und die Groß-Heuchler verfluchen die „Spekulanten“ und Rating-Agenturen, wenn diese ihre Pflicht tun und sagen: Wer von mir Geld leihen will, den möchte ich fragen dürfen, ob er noch kreditwürdig ist. Danke für den guten Rat. Sagte uns nicht vor etwa einem Jahr ein TV-Wirtschaftspädagoge mit dem seit 2008 ängstigenden Namen Lehmann, er beabsichtige den Kauf griechischer Staatsanleihen? Hoffentlich haben seine Fans nicht auf ihn gehört!

Herr Professor Vogl, ein Kulturwissenschaftler, zeigt, dass er diese Zusammenhänge nicht nur versteht, sondern auch meisterlich in Worte fassen kann: Die Finanzmärkte seien durch das Risiko, die Erwartungen und die Zeit bestimmt. Gerate die Zukunft „in Unordnung“, „verwerfe“ sich die Zeit, dann werden Zahlungstermine unnachsichtig fällig gestellt, dann schlage „die Stunde der Wahrheit“, dann werde „Bilanz“ gezogen. Dann „erheben sich Gespenster“, wie das Gespenst der Finanz- oder Schuldenkrise.

Wie die Religion lebe der Markt als Regulierungsmechanismus vom Glauben, vom Vertrauen. Deshalb, so Professor Vogl, seien „Politik und Interventionskraft“ nötig, um Märkte zu schaffen. Märkte brauchten immer einen starken Staat, der den Ordnungsrahmen setze und garantiere. So habe der „Ordoliberalismus“ Alexander Rüstows und Walter Euckens die zweite ökonomische Aufklärung bewirkt: Nämlich den „Kapitalismus zu verabschieden, ohne in Planwirtschaft zu fallen.“

Dieser Ordnungsrahmen, merkte der Ökonom Gabor Steingart an, habe mit der Entwicklung der globalen Wirtschaft nicht Schritt gehalten. Dies ist häufig und von gewichtigen Persönlichkeiten zu hören. Man sehe es mir nach: Ist dies nicht eine Null-Aussage? Nicht selten wird sie für Regulierungs- oder Zwangseingriffe missbraucht, um die Schulden-Frivolität, die nahezu alleinige Ursache allen heutigen Übels, weiter zu treiben. Außerdem sind ordnungspolitische Reformen und Nachjustierungen in einer integrierten Weltwirtschaft nicht im nationalen Alleingang und auch nicht in kurzer Zeit zu schaffen.

Denken wir an den schlimmsten Augenblick der Finanzkrise zurück, als sich im Oktober 2008 nach der Lehmann-Pleite die „Gespenster“ des Ruins zeigten. Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück warfen sich beherzt in die Bresche der festen Burg des Vertrauens. Sie garantierten unseren Ordnungsrahmen und die Einlagen der Bürger bei den Banken mit ihrem Wort. Dazu Herr Steingart heute: „Die Zusage war nichts wert.“ Auch von dieser Aussage mag man etwas halten oder gar nichts.

Jedenfalls hat Herr Steinbrück am 1. August in der FAZ im Gespräch mit Bloggern folgendes zu der Garantieerklärung in der Krisenpanik ausgeführt. „Die jetzige Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland beträgt, je nach Zählweise, mindestens 1,8 Billionen. Wir hätten noch einmal dieselbe Summe aufnehmen müssen.“ Wir wären, so Herr Steinbrück, sukzessive „angekommen bei einer … Schuldenstandsquote von 180 bis 190 Prozent. Japan hat 210. Ich will das überhaupt nicht verharmlosen. Aber ich bin auch nicht der Auffassung, dass darüber nun die ganze Republik zerrissen worden wäre.“  Die meisten Bürger haben der Garantie durch Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück damals sicher entscheidenden Wert beigemessen und ihnen vertraut. Eine Sternstunde deutscher Wirtschaftspolitik!

Schön, dass Herr Sloterdijk abschließend dem Steuerzahler ein freundliches Wort widmet, der in der „Stunde der Gespenster und der Wahrheit“ (Vogl) für alle Garantien einstehen muss. Der Steuerzahler sei „im Verhältnis zum Gemeinwesen die gebende Seite, nicht nur der duldende Teil.“ Dies ergänzt Herr Vogl durch ein Zitat von Professor Niklas Luhmann: „Wer immer strebend sich bemüht, den kann man auch besteuern.“ Ja, ruft Herr Safranski, „mein Selbstbewusstsein ist gestiegen, weil ich Banken rette!“

Bessere Feiertagsökonomen als diese drei Herren gibt es nicht! Sie stecken manchen Berufs-Ökonomen in den Sack. Danke ans TV! Hoffentlich sehen wir sie bald wieder!