Littering — Vermüllung.

“250 Euro für ausgespuckten Kaugummi“. *1)

Wer das öffentliche Gut der Sauberkeit unserer Umwelt, Städte und Gemeinden schätzt, der mag diese Nachricht über ein Bußgeld begrüßen.

Leider wird vermerkt, dass der bekannte Ökonomie-Professor Max Otte diese Nachricht sehr negativ kommentierte: “Max Otte on Twitter: ´250 Euro Bußgeld für ausgepuckten Kaugummi und Milde für Messermörder. Das ist unser gegenwärtiges System: klammer Staat, Gängelung der Bürger und Laissez-Faire bei den großen Dingen`.“ *2)

Der Großinvestor und Vermögensverwalter Prof. Otte hat es vermutlich nicht nötig, sich in Innenstädten zu Fuß zu bewegen. Deshalb hier der auch auf persönlichem Ärger beruhende Versuch, derartige Bußgelder zu verteidigen — trotz der gleichzeitig viel größeren Probleme in unserer Zeit.

Ich war im Bonner Gewühle in ein Kaugummi so getreten, dass dieses an der Wölbung der Schuhsohle vor dem Absatz kleben blieb. Daher war das Missgeschick zunächst kaum zu bemerken. Das änderte sich, als ich mein Auto im Stadtverkehr steuern musste und beim Kuppeln, Bremsen, Gas geben mit dem rechten Schuh ständig an den Pedalen kleben blieb. Dadurch wurde die Fahrt nach Hause in dichtem Verkehr eine Tortur.

Der Ekel dann beim schwierigen Versuch, den Schuh vom Kaugummi zu reinigen. Auch in diese Verlegenheit wird Prof. Otte noch nicht gekommen sein. Im Internet wurde Rat gesucht bei “Frag Mutti“ usw.. Hier für evtl. Betroffene meine Erfahrung: Mit einem Messer ran. Dann abwechselnd erst mit Spüli und dann mit Rapsöl einreiben, einwirken lassen, abkratzen. Nach einer Stunde war das Kaugummi endlich restlos weg. Schließlich noch eine halbe Stunde, um die klebrigen Reste an den Pedalen von Kupplung, Gas und Bremse zu entfernen.

Jawohl, Prof. Otte! 250 € den erwischten Kaugummi-Spuckern aufzubrummen, ist zu begrüßen und nicht zu beanstanden!

Doch jetzt ist der Blick umweltpolitisch zu heben!

Dieser unübersehbare Haufen achtlos hinterlassenen Hundekots, weggeworfener Plastiktüten und -teile, Kaugummis, Zigarettenkippen, Drähte, Netze usw. ist Vermüllung. Aus dem Englischen ist dafür auch hier das Wort “Littering“ gebräuchlich geworden. Mit Littering ist nicht die vermeintlich “kostensparende“ illegale Entsorgung von Haushaltsmüll und Abfällen in Industrie und Gewerbe gemeint. Solche Verbrechen können die Gesellschaft und die Umwelt mit so gewaltigen Kosten und Schäden belasten, dass sie ohnehin strafrechtlich unnachsichtig zu verfolgen und schwer zu bestrafen sind.

Aber auch das “Littering“ der vielen Einzelnen verschmutzt nicht nur unsere öffentlichen Räume und die Natur, die Wälder, die Flüsse, die Meere. “Littering“, das unachtsame Wegwerfen oder Liegenlassen von Müll, tötet auch — Vögel, Kleintiere, Fische — und ist damit ein schlimmer Anschlag auf die Biodiversität.

Da ist dem Prof. Max Otte ein wirklich großer Geist und Zeuge entgegenzuhalten: Jonathan Franzen fordert von engagierten Naturschützern, „dass sie in ihre Definition von Grünsein einschließen, was wir den anderen Arten auf dem Planeten antun; ein bisschen weniger vom Klima reden und ein bisschen mehr über lösbare Probleme … Was mich wütend macht, ist, dass viele der Gefahren, denen die Biodiversität (d.h. Vielfalt des Lebens in der Natur, RS) ausgesetzt ist, anders als der Klimawandel bedeutsam verringert werden könnten“. *3) Wenn wir alle nur verantwortlich und sorgfältig den selbst verursachten Dreck entsorgten. Und nicht durch Littering, das leichtfertige Wegwerfen oder Liegen lassen von Müll, unsere Umwelt und ihre Lebewesen schädigten.

Prof. Max Otte sollte auch eine Analyse des österreichisch-schweizerischen Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Ernst Fehr, herausragender Pionier der Verhaltensökonomie, über das Littering zur Kenntnis nehmen. *4) Die Untersuchung von Ernst Fehr und Mitarbeitern bestätigt eindrucksvoll die Aussage von Jonathan Franzen, dass der Schaden an der Biodiversität, der z. B. vom Littering der Menschen ausgeht, „bedeutsam verringert werden könnte.“ *3)

Wie sich das Littering und seine negative Wirkung auf die Gesellschaft, die Umwelt und die biologische Vielfalt bzw. Biodiversität nach Prof. Fehr begrenzen lässt, kann hier nur als vereinfachender Überblick zu vier Gedanken Fehrs erläutert werden.

  • Das Bewusstsein der Menschen frühzeitig schon bei den Kindern und Jugendlichen durch Bildung und Aufklärung stärken, dass Littering des Einzelnen der Gesellschaft und der Natur schweren Schaden zufügt.
  • Das sozial erwünschte Verhalten des Einzelnen — nicht littern, Abfälle nicht wegwerfen oder liegen lassen — öffentlich anerkennen. Und dies erwünschte Verhalten dadurch stärken, dass gefördert und erleichtert wird, wenn Menschen freiwillig die soziale Norm und das öffentliche Gut der Sauberkeit achten und dies in lokalen Gemeinschaften durch praktische Bürger-Initiativen beweisen.
  • Wird Unsauberkeit, die gegen das sozial erwünschte Verhalten verstößt, besser öffentlich beobachtbar gemacht, könne dies als abschreckendes Beispiel dienen. Das zeige der Broken-Window-Effekt (“Effekt der zerbrochenen Scheibe“), also “dass dort, wo bereits erste Scheiben eingeschlagen sind, die Wahrscheinlichkeit weiterer eingeschlagener Scheiben steigt. Im Kontext des Litterings beschreibt der Broken-Window-Effekt also, dass an Orten mehr gelittert wird, an welchen bereits erste Gegenstände gelittert wurden.“ An solchen Orten müsse besonders durchgreifend auf Sauberkeit geachtet werden.
  • Vorsicht bei Maßnahmen, die unterschiedslos alle Menschen treffen — z.B. Gebühren, Preisaufschläge etwa bei Verpackungen, die den Handel und andere Geschäfte belasten. Also Vorsicht bei Maßnahmen, die sowohl Verbraucher treffen, die sich bewusst und bemüht “sauberkeitskonform“ verhalten, als auch solche, denen die Norm der Sauberkeit gleichgültig ist. Die Müll achtlos wegwerfen und stattdessen von der Sauberkeit und der Sorgfalt anderer profitieren (Trittbrettfahrer-, Free-riding-Verhalten). Dies könnte bei den Menschen, die sich die Mühe für Sauberkeit im öffentlichen Raum machen, das Gefühl bestärken, unfair behandelt zu werden. Und schleichend deren Engagement und die erwünschte soziale Norm der Sauberkeit schwächen. Gleichgültige Trittbrettfahrer bei den Bemühungen anderer Menschen für öffentliche Sauberkeit wiederum könnten ihre Umwelt-Schlamperei damit rechtfertigen, dass sie sich einreden, schließlich hätten sie gezahlt.

Wie groß der von vielen achtlosen Menschen verursachte Schaden durch Littering ist, wissen die Städte und Gemeinden. Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) hat eine Langzeitstudie (2005 bis 2017) “Wahrnehmung von Sauberkeit und Ursachen von Littering“ der Berliner Humboldt-Universität herausgegeben, die den verhaltensökonomischen Ansatz Prof. Fehrs bestätigt. *5)

  • Mit dem “Food-to-go-Trend“ landen neben Kaugummi, Hundekot, Zigarettenkippen usw. zunehmend Einwegverpackungen und Einwegbecher durch “Littering, das be- oder unbewusste Wegwerfen oder Liegenlassen von Abfall,“ in den öffentlichen Raum.
  • Hauptverursacher von Littering sind junge Erwachsene zwischen 21 und 30 Jahren, gefolgt von Jugendlichen (14 bis 20 Jahre) und älteren Erwachsenen (über 50 Jahre).“ Gründe für das Littering seien häufig Bequemlichkeit, Faulheit und Gleichgültigkeit dieser Haupverursacher. „Vor allem bereits verschmutzte Orte, öffentliche Plätze, Gehwege aber auch und vermehrt Grillplätze seien stark von Littering betroffen.“
  • Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung (BSR) betont: Im Kampf gegen Littering sind „unsere Frauen und Männer in Orange täglich für die Stadtsauberkeit im Einsatz, in einigen Gegenden sogar mehrmals am Tag. Rund 23.000 BSR-Straßenpapierkörbe sorgen dafür, dass die Menschen auch unterwegs ihre Kleinabfälle bequem und zuverlässig entsorgen können. Und für unser Pilotprojekt Parkreinigung ernten wir großen Zuspruch aus der Stadtgesellschaft. Neben der operativen Arbeit kümmern wir uns auch um die Steigerung des Verantwortungsbewusstseins der Berlinerinnen und Berliner. Unser Umweltbildungsprogramm für Kita- und Grundschulkinder ist eines der größten der Stadt. Mit regelmäßigen Sauberkeitskampagnen und frischen Ideen, zum Beispiel dem Abfalleimer-Roboter ‚Reiner‘, sensibilisieren wir außerdem die Leute für eine saubere Stadt.“

Das von Prof. Max Otte vielleicht zu recht kritisierte “Laissez-Faire bei den großen Dingen“ *2) und den großen Problemen unserer Zeit rechtfertigt jedoch nicht Ottes Fehlurteil, Sanktionen gegen das Littering als “Gängelei der Bürger“ herabzusetzen. Das ist eine absurde Wahrnehmung sowohl des Littering-Problems als auch der Verantwortlichkeit verschiedener Ebenen der Zuständigkeit in unserem föderalen Staatsaufbau — Bund, Länder, Gemeinden.

Das Berliner *5) kommunalpolitische, bürgernahe Motto im Kampf gegen das Littering — “Sammeln, Sinne schärfen, Sanktionieren“ — sollten wir Bürger begrüßen und im täglichen Verhalten unterstützen. Für das öffentliche Gut der Sauberkeit in unseren Gemeinden und ihrer Umwelt, das nicht nur jedem Bürger nutzt, sondern auch der Biodiversität, dem vielfältigen Leben in unserer Natur.

*1) DER SPIEGEL  (21. April 2019) definiert “Littering“ als unachtsames Wegwerfen von Müll (z.B. Kaugummi, Kaffeebecher, Zigarettenkippen). Siehe: Härteres Vorgehen gegen Umweltsünder; https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/bussgelder-fuer-verschmutzung-250-euro-fuer-ausgespuckten-kaugummi-a-1263848.html

*2) Deutsch-US-amerikanischer Ökonom und Vermögensverwalter, dessen finanzwirtschaftliche Ausführungen so beachtenswert, wie seine politischen Stellungnahmen umstritten sind. Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Otte und *1)

*3) Der US-Schriftsteller und Naturschützer Jonathan Franzen glaubt nicht mehr an eine Lösung der Klimakrise. „Das Spiel ist aus. Der Petro-Konsumismus hat gewonnen“, sagte Franzen der „Welt“ (Samstagsausgabe). New York (dts Nachrichtenagentur) — Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 26.07.2019; http://australienjournal.com/2019/07/28/jonathan-franzen-glaubt-nicht-mehr-an-loesung-der-klimakrise/ . Siehe auch: JONATHAN FRANZEN ÜBER DAS KLIMA. „Interessantes Wetter habt ihr da in Europa“. Veröffentlicht am 26.07.2019. Von Wieland Freund Feuilletonredakteur; https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/plus197516589/Jonathan-Franzen-ueber-den-Klimawandel-Das-Spiel-ist-aus.html

*4) Littering in der Schweiz – Studie zur Wirksamkeit von Massnahmen unter Berücksichtigung verhaltensökonomischer Erkenntnisse. FehrAdvice & Partners AG 31. März 2014; http://littering-schweiz.ch/wp-content/uploads/2014/04 Studie_Littering_in_der_Schweiz.pdf (Hervorhebungen, RS).

*5) Pressemitteilung. Gesellschaftsphänomen Littering — Studie der Berliner Humboldt-Universität. „Sammeln, Sinne schärfen, Sanktionieren“. Berlin, 25.04.2018; https://www.vku.de/fileadmin/user_upload/Verbandsseite/Presse/Pressemitteilungen Studie_Littering_Humboldt_Uni_Zusammenfassung.pdf (Hervorhebungen, RS).