Mörderstaaten — Augen zu.

Wer Realpolitik gestaltet, also internationale Zusammenarbeit für unsere wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen verantwortet, der muss wohl die staatlichen Partner nehmen wie sie sind.

Hier wird keinem unserer zuständigen Minister und Politiker vorgeworfen, dass sie die Massenhinrichtungen in Saudi-Arabien und die darauf folgenden Ausschreitungen im Iran zurückhaltend kommentiert haben.

Überdies bestätigt sich wieder die Erfahrung, dass vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen selten oder nie Hilfe bei internationalen Konflikten zu erwarten ist. Vor allem unsere oppositionellen grün-linken Außenpolitiker fordern zwar, dass Deutschland internationale Verantwortung in Konflikten übernehme. Sie machen dies jedoch häufig oder immer von der Zustimmung des ineffektiven UN-Sicherheitsrates abhängig, dessen „Ständige Mitglieder“ durch ihr Veto-Recht Entscheidungen verhindern können.

Dieser UN-Sicherheitsrat hat nun der Welt wieder einmal ein beeindruckendes Ausmaß kollektiver Heuchelei vorgeführt: Strengste Verurteilung der Angriffe auf die saudi-arabischen diplomatischen Vertretungen im Iran — aber kein Wort zu den saudischen Massenhinrichtungen.

Der Orgie staatlicher Gewalt durch die Saudis fiel auch Sheikh Nimr zum Opfer. Dieser schiitische Prediger sei als Aktivist des Arabischen Frühlings und durch Protest gegen die Verfolgung des schiitischen Glaubens im sunnitischen Saudi-Arabien hervorgetreten. Das kostete den Geistlichen al-Nimr das Leben. *1)

Die fünf “Ständigen Mitglieder“ des UN-Sicherheitsrates vertreten nun einmal ihre Realpolitik: China, Frankreich, Russland, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten. Vereint als Atommächte, vereint in komplizierten globalen und regionalen Gegnerschaften, vereint als Großheuchler im Informationskampf um die Weltöffentlichkeit.

Was Demokraten der internationalen Zivilgesellschaften verärgert — nicht wenige Medien spielen mit bei dieser gegnerschaftlichen Rücksichtnahme.

Dies war leider heute Mittag in der besonders geschätzten ORF-Sendung ZIB zu besichtigen. Der hochqualifizierte Ressortleiter Außenpolitik im ORF-TV, Andreas Pfeifer, erklärte uns heute den UN-Sicherheitsrat.

Ja, so war Pfeifer zu verstehen, es möge schon verwundern, dass dort zwar iranische Angriffe auf saudische Vertretungen verurteilt würden, jedoch über die massenhaft vollstreckten Todesstrafen im Königreich Saudi-Arabien geschwiegen werde.

Man müsse aber bedenken, dass man im UN-Sicherheitsrat ungern über die Todesstrafe spreche. Denn schließlich werde die Todesstrafe in UN-Mitgliedsstaaten wie China, USA, Iran, Saudi-Arabien usw. praktiziert.

Das ist aus zwei Gründen starker Tobak, um die Zumutung für das ZIB-TV-Publikum so auszudrücken.

Erstens, gibt es die folgende „Rangordnung“ (Berichtsjahr 2014, Amnesty International) in der globalen Hinrichtungshäufigkeit. China: mindestens 1000; Iran: mindestens 289; Saudi-Arabien: mindestens 90; Irak: mindestens 61; USA: genau 35; für Libyen und Syrien konnten verlässliche Schätzungen nicht ermittelt werden. *2)

Zweitens, erscheint die Äquidistanz in den Hinweisen Pfeifers nahezu skandalös. Die Todesstrafe in den USA lehnen wir zwar ab, aber dort wird bekanntlich nicht wegen politischer Proteste oder wegen „Gotteslästerung“, sondern wegen Mord hingerichtet. Und Pfeifer müsste es besser wissen, hat er doch als Auslandskorrespondent in Washington D.C. gearbeitet!

Die Amerikaner sind selbst schuld: Beteiligten sich im UN-Sicherheitsrat an der zwar notwendigen Verurteilung der Angriffe auf saudische Vertretungen im Iran, verschweigen jedoch die politische Willkür bei den Hinrichtungen in Saudi-Arabien.

Für die mutigen persönlichen Worte gegen die Hinrichtungen in Saudi-Arabien dankt die demokratische Welt dem UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon!

So ist eben Realpolitik. Auch für demokratische Länder. Internationale Zusammenarbeit für Interessen, wirtschaftliche wie sicherheitspolitische, ist ein besonderes Geschäft: Not too clean!

*1) UN condemns attack on Saudi embassy in Iran but fails to mention executions; http://www.independent.co.uk/news/world/politics; 05.01.2016.

*2) Saudi Arabia omitted from UK’s death penalty strategy ‚to safeguard defence contracts‘. Oliver Wright, Political Editor; 05.01.2016; http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/.

Nachtrag 14.01.2016. Steinmeier verteidigt seine Reise nach Saudi-Arabien. Wie gesagt, dies Vorhaben des Außenministers wird hier nicht kritisiert. Wohl aber Steinmeiers Haltung als Außenminister: Bei Absage von Reisen in Länder, deren Politik Deutschland nicht teile, hätte er „in der Tat mehr Zeit, unsere prima Beziehungen zu Luxemburg zu pflegen“. Meint Steinmeier, damit in Deutschland zu punkten? Mit alter deutscher Arroganz gegenüber kleinen Nachbarländern? Möge Herr Asselborn, der Außenminister Luxemburgs, im EU-Ministerrat Herrn Steinmeier bei nächster Gelegenheit erklären, wie dort entschieden wird! (Zitat aus: Tagesspiegel Morgenlage Politik, 14. Januar 2016, Standpunkt, nach n-tv.de).