NRW: rot-grüne Schäbigkeiten.

Joachim Gauck hat in seinen Erinnerungen*) zwei Sätze geprägt:

„Wer Freiheit als Verantwortung lebt, kommt letztlich bei den besten und tiefsten Potenzen an, die in uns Menschen angelegt sind. Und unsere Seelen belohnen uns dafür, wenn wir uns als Herausgeforderte und auf andere Wesen Bezogene verstehen.“ Alice Schwarzer gehört sicher zu den Menschen, für die diese Sätze gelten.

Auch wer wie ich das Werk, dem sich Frau Schwarzer verschrieben hat, nicht wirklich beurteilen kann, wird deshalb keine engherzige Sichtweise gegenüber dieser Persönlichkeit einnehmen. Frau Alice Schwarzer hat aus einem sehr harten Lebensbeginn heraus die Chancen der Freiheit ergriffen. Sie hat sich mit bewundernswerter Kraft und Konstanz einem progressiven gesellschaftlichen Anliegen gewidmet und ein bleibendes Lebenswerk geschaffen. In der neueren gesellschaftlichen Geschichte unserer Demokratie hat sich Alice Schwarzer eine bedeutende Position erarbeitet und erkämpft. Ihr gebührt unsere Hochachtung.

Sichtbarer Ausdruck dessen, was Frau Schwarzer erreichen konnte, sind bekanntlich die Zeitschrift „Emma“ und der Kölner „FrauenMediaTurm“, ein „feministisches Archiv und Dokumentationszentrum“. Medienberichten ist zu entnehmen, dass es im Rahmen der Sparanstrengungen der rot-grünen NRW-Regierung nicht mehr möglich sei, das Kölner Archiv und Dokumentationszentrum in der bisherigen Höhe zu fördern. Das leuchtet zunächst ein.

Die NRW-Regierung unter Ministerpräsident Rüttgers hatte das Zentrum mit 210 000 Euro jährlich unterstützt. Diese Förderung wurde nun von der Regierung Kraft schlagartig um zwei Drittel auf Euro 70 000/Jahr gekürzt. Diesen abrupten Schnitt mögen sich andere Einrichtungen in der Bundesrepublik, die durch Zuwendungen der öffentlichen Hand gefördert werden, einmal vor Augen führen!

In dieser Situation erhielt das Zentrum jetzt eine rettende Zusage von Bundesministerin Kristina Schröder. Ihr ging es um den „Grundkonsens“, „dass wir … Zeugnisse dieser bedeutenden Bewegung als Gesellschaft erhalten, unterstützen und befördern.“ (Kölner Stadt-Anzeiger, ksta.de, Barbara A. Cepielik, 21.02.2012).

Ja, im NRW-Haushalt muss gespart werden. Ein budgetpolitischer Kurswechsel in NRW ist umso dringender geboten, als die Zweifel wachsen, dass NRW die Schuldenbremse einhält, nach der Bundesländer bis 2020 „strukturell“ ausgeglichene Haushalte vorlegen müssen. Das heißt, nur bei schwerem konjunkturellen Einbruch dürfen dann neue Schulden gemacht werden, sonst definitiv nicht.

Auf der Basis eines Gutachtens des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln sagt Herr Pellengahr (Institut Neue Soziale Marktwirtschaft) voraus, dass ohne solchen Kurswechsel die neuen „strukturellen“ (d.h. nicht konjunkturell bedingten) Schulden von NRW bis 2013 40 % der Höhe der neuen Schulden sämtlicher Bundesländer erreichen würden. Sogar die ostdeutschen Bundesländer entsprechen in ihren Sparanstrengungen vollständig den vereinbarten Planvorgaben. NRW unter Rot-Grün sei dagegen das „Schlusslicht“ aller Bundesländer auf dem Weg, die Schuldenbremse zu realisieren.

Die IW-Studie „Konsolidierungscheck“ (IW, Köln, 30.09.2011, S. 39 ff.) kommt zu dem Ergebnis: „Am dramatischsten erscheint die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen. Denn dort findet entgegen den Intentionen der Schuldenbremse eine signifikante Zunahme der strukturellen Defizite statt. Allerdings liegt die letzte Aktualisierung der mittelfristigen Finanzplanung bereits länger zurück. Die gute Entwicklung – sowohl der Wirtschaft, als auch der öffentlichen Haushalte – Ende 2010 und Anfang 2011 ist darin noch nicht berücksichtigt. Es steht zu hoffen, dass in der nächsten mittelfristigen Finanzplanung auf dieser Basis auch strukturelle Verbesserungen des Landeshaushalts erzielt werden können.“

Dieser Ausblick klingt froher als die Realität. Denn seit Mitte 2011 hören wir von Frau Kraft Sonderbares: z.B., dass sie „in soziale Gerechtigkeit investiere“ und die Konjunkturlage das Gegensteuern gebiete, also zusätzliche Staatsausgaben, natürlich „Zukunftsinvestitionen“.

Jedenfalls wäre zu begrüßen, sollte der Sparkurs in NRW jetzt endlich eingeschlagen werden!

Sehen wir also mal etwas genauer auf die rot-grüne Budgetpolitik, gerade mit Blick auf  den brutalen Streichkurs gegen Frau Schwarzers Archiv-Projekt. Wie glaubwürdig erscheint die Begründung des Sparzwangs der grünen Frauenministerin Barbara Steffens und der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, die sie gegenüber Frau Schwarzer anführten?

1. Der Bund der Steuerzahler sieht Anfang September 2011 den Schuldenkurs der Landesregierung unverändert: „´Was vermeintlich immer gut ging – neue Schulden zu machen -, geht nicht ewig gut. Es muss ein Ende haben, sich an der jungen Generation zu versündigen.` Diese mahnenden Worte sollte sich die nordrhein-westfälische Landesregierung, nach Meinung des Bundes der Steuerzahler NRW (BdSt NRW) dringend zu Herzen nehmen und ihren Kurs anpassen. ´Denn bisher hat Frau Kraft eine offensive Verschuldungspolitik vorgegeben`, kritisiert Heinz Wirz, Vorsitzender des BdSt NRW. Macht sie so weiter, wird die Schuldenbremse, die ab 2020 gilt, nicht einzuhalten sein. Und das Land wird sich weiter ´an der jungen Generation versündigen – trotz Investitionen in die Bildung.`“ (www.steuerzahler-nrw.de/, 02.09.2011)

2. Anfang Februar 2012 lesen wir im SPIEGEL (Jan Fleischhauer, 06.02.2012) zur Begründung des Sparzwanges bei dem Vorgehen gegen Frau Schwarzers Projekt: „Das ist grober Unfug, der leicht als solcher zu durchschauen ist. Der Haushaltstitel, in den die Förderung von Schwarzers Archiv fällt, ist gerade um neun Millionen Euro erhöht worden. Das Geld geht jetzt nur an andere Träger, das Frauenkulturbüro in Krefeld zum Beispiel, das dafür einen ´poetischen Erfahrungsaustausch` von Frauen für Frauen oder ein Debattenforum ´zu Themen der Geschlechterrollen beziehungsweise des Feminismus in der Kunst Osteuropas` veranstaltet.“

3. Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, ging in einer Rede am 1. Februar 2012 in der Landeshauptstadt Düsseldorf auf die Finanzpolitik der rot-grünen Regierung ein: Bezug nehmend auf die Vereinbarung, dass die Bundesländer bis 2020 strukturell ausgeglichene Haushalte erreichen müssen, appellierte er an die rot-grüne Landesregierung: „Ein großes und lange Zeit finanzstarkes Land wie Nordrhein-Westfalen sollte das Ziel aber eigentlich schon vorher erreichen können. Ähnlich wie Deutschland im Euro-Raum könnte Nordrhein-Westfalen als einwohnerstärkstes Bundesland eine Vorbildrolle für die anderen Länder einnehmen.“

Was Herr Weidmann dann feststellen muss, kann er nur noch durch Ironie abmildern. Genau besehen, wird das Bild einer Landesregierung gezeichnet, für die wohl der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, der Initiator der Schuldenbremse, irrelevant ist. Vorsichtig formulierend, konstatiert der Bundesbankpräsident: „Der Konsolidierungsbedarf in NRW ist aber weiterhin sehr groß … das Land NRW steht vor großen finanzpolitischen Herausforderungen, und ich kann Finanzminister Walter-Borjans nur dabei unterstützen, nachdrücklich auf eine stringente Haushaltspolitik zu dringen. Insofern begrüße ich Ihren (Herrn Minister Walter-Borjans, RS) angekündigten ´Ehrgeiz zur Konsolidierung`, auch wenn der im Dezember vorgelegte mittelfristige Finanzplan diesen bisher allenfalls eingeschränkt erkennen lässt.“

Was sagt nun der von Frauenministerin Steffens vorgeschobene und Alice Schwarzer entgegengehaltene Sparkurs und dessen vom Bundesbankpräsidenten ironisch kommentierte Wirklichkeit über die „rot-grüne Frauenregierung NRW“?

Auch dazu lassen sich ähnlich lautende Würdigungen finden:

1. „Ein wenig offenes Spiel. Überhaupt kann man anders miteinander umgehen und Zuschüsse langsam senken, damit die Verantwortlichen überhaupt eine Chance haben, private Sponsoren zu finden. Heuchlerisch ist das Argument, die Mittel für den Frauenturm flössen nun in Frauenhäuser. Die Landesregierung treibt ein verdecktes Spiel mit Alice Schwarzer“ (Kölner Stadtanzeiger, ksta.de, Peter Pauls, 01.02.2012).

2. Jan Fleischhauer (SPIEGEL, 06.02. 2012) folgert: „Was also hat Alice Schwarzer sich zu Schulden kommen lassen? Sie hat sich nie das Maul verbogen, auch wenn es um den Teil des politischen Spektrums ging, der sich selbst als progressiv empfand. Das ist das Vergehen, für das sie nun zur Rechenschaft gezogen wird. In Wahrheit geht es darum, Rache zu nehmen.“

3. Die ZEIT (16.02.2012) verwendet im Zusammenhang mit der „Frauenregierung der Hannelore Kraft“ das Wort „Intrige“, widerlegt diffamierende Behauptungen der NRW-Frauenministerin Steffens über Frau Schwarzers Projekt, und protokolliert deren „trostlos klingende Würdigung von Schwarzers Lebenswerk: ´Es gehört nicht zum Fördertatbestand des Frauenministeriums, Archive zu fördern`“ (Moritz von Uslar).

Vergleicht man das Verhalten der Bundesministerin Kristina Schröder mit dem der NRW – „Frauenregierung“, ist zu erinnern und zu würdigen, was Frau Schröder von der Kämpferin Schwarzer auf eine Feminismus-Kritik hin zu hören bekam: Frau Ministerin Schröder sei „ein hoffnungsloser Fall. Schlicht ungeeignet. Schröder möge doch, wetterte Schwarzer, ´Pressesprecherin der neuen, alten, so medienwirksamen rechtskonservativen Männerbünde werden`“. (vgl. Kölner Stadt-Anzeiger, ksta.de, Barbara A. Cepielik, 21.02.2012).

Und dennoch, Frau Schröder hat das Archivprojekt Schwarzers gerettet! Dafür kann Frau Kristina Schröder, neben ihrer politischen Entscheidung, noch zu menschlichem Format gratuliert werden. Hut ab!

In beschämendem Gegensatz dazu steht die Haltung der „progressiven“ Riege anscheinend rachelüsterner Damen in der rot-grünen NRW-Regierung – da fehlen einem Sozialliberalen glatt die Worte!

*) Joachim Gauck, Winter im Sommer – Frühling im Herbst, München 2009, S.337.