Präsentation eines Staatsoberhauptes.

Wir wurden Zeuge der „Präsentation“ durch sechs Parteivorsitzende. In ihrer Mitte Joachim Gauck, der Kandidat, der sichtlich Achtung nur gegenüber der Bundeskanzlerin empfindet.

Sein thematisches Programm ist seit Jahren bekannt. In seinen Erinnerungen *) hat er es zusammengefasst: „Freiheit und Verantwortung … sind eine permanente Herausforderung. Die einen fühlen sich in ihrem Element. Sie werden Bürgermeister, gründen Firmen, erforschen unbekannte Kontinente, eine der Befreiten wird Regierungschefin. Andere aber sehen sich überfordert, werden kleinmütig, fühlen sich bestätigt in ihrer Auffassung, dass es wirkliche Freiheit nicht gebe, der Sozialstaat nicht sozial sei und die Chancengleichheit ein Traum bleibe. Deutschland hat in den letzten Jahren zu sehr auf diese Kleinmütigen und Zweifler geschaut“ (a.a.O., S. 337).

Diesen Herausforderungen zu begegnen, hatte Johannes Rau das Wort geprägt: „Versöhnen statt Spalten“. Und Joachim Gauck ist in diesem Geiste als hoch anerkannter „Demokratielehrer“ tätig.

Gauck bezeichnet die Haltung des Verzichts auf Freiheit im Tausch „für ´fürsorgliche` Politik“ als „denkfaul und erfahrungsresistent … angesichts von Finanzkrise und Verunsicherungen durch eine globalisierte Welt“. Und er stellt klar: „Wer den Kapitalismus abschaffen will, schüttet das Kind mit dem Bade aus … Wer Freiheit will, muss sie auch in der Wirtschaft wollen“ (a.a.O., S. 337 f.). Dass kollektivistische Nostalgie heute keine Option mehr für das Leben der Menschen ist, wird Joachim Gauck nicht müde, den Bürgern zu erklären.

Mit „Basta“ hatte diese Erkenntnis schon Gerhard Schröder vor fast einer Dekade mit seiner Agenda 2010 umgesetzt. Aber „Basta“ reichte nicht; Joachim Gauck hilft nun vielen Menschen, vor allem in Ostdeutschland, die harte Realität zu erkennen und dadurch zu bewältigen.

Das Ende staatlicher Schuldenpolitik, die differenzierten Fachdebatten zur Währungsunion, eine Innenpolitik, die von Außen- und Sicherheitspolitik nicht mehr zu trennen ist, die vielschichtige globale Agenda, die nur durch vertiefte europäische und transatlantische Zusammenarbeit sowie Kooperation mit den „neuen Gestaltungsmächten“ (früher Schwellenländer genannt) zu leisten ist – dies alles bedarf zukunftsorientierter Deutung und Vermittlungsarbeit.

Wer wollte bestreiten, dass Joachim Gauck für den Dialog mit den Bürgern auch über solche Themen geeignet ist?

Und doch, als wir ihn bei der „Präsentation“ sahen, zwischen den Parteivorsitzenden, wer machte sich Illusionen über die Loyalität dieser „politischen Klasse“?

Schlimm genug, das wichtigtuerische „Schreiten“ Röslers mit anzusehen, der es der Regierungschefin gezeigt haben will. Der nun Joachim Gauck als Halt für eine sinkende FDP entdeckt und bejubelt.

Das hohle Geschwätz der beiden Vorsitzenden der Grünen bei der „Präsentation“ anhörend – hätten wir nicht verstanden, wenn Joachim Gauck einfach aufgestanden und gegangen wäre?

War nicht schon seine Präsentation als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten 2010 machtpolitischem Ränkespiel geschuldet? Und war sie nicht diesmal vor allem dem Kalkül gefolgt, die Bundeskanzlerin vorzuführen?

Wo werden die Strategen des Spiels mit unseren Institutionen stehen, wenn „Freiheit und Verantwortung“ von Joachim Gauck gegen die Verlogenheiten liberaler, konservativer und linker Politik gestellt werden? Schon jetzt werden die Unterteufel der Parteien von der Kette gelassen. Und nicht nur diese machen sich schon übel bemerkbar.

Der Kanzlerin kann zugestanden werden, dass sie den „Demokratielehrer“ Gauck auf seinem selbst gewählten Gebiet für wirksamer und geeigneter hält als im Amt des Bundespräsidenten. Einem 150% – „Job“, insbesondere, wenn die kommenden internationalen sicherheits-, klima-, wirtschafts-, finanz- und währungspolitischen Entscheidungen und Agenden berücksichtigt werden. Sie wird auch klar sehen, was innenpolitisch auf Joachim Gauck zukommt.

Herr Gauck selbst ließ bei der „Präsentation“ erkennen, dass er sich überrumpelt, überwältigt fühlte. Sein Glauben hält Ressourcen bereit, das stereotype „ein Mann – ein Wort“ zu überwinden.

Wer diesen großen Mann verehrt, würde seine Haltung nicht ändern, auch wenn Herr Gauck seine durch Manipulation und Machtpolitik erzwungene „Präsentation“ überdenken könnte.

*) Joachim Gauck, Winter im Sommer – Frühling im Herbst, Erinnerungen, München 2009. Jetzt erst recht: Pflichtlektüre für jeden in der politischen Bildung Engagierten!