Ökonomen – weise und andere.

Schon in den 1970er Jahren riet Professor Winfried Vogt, keine sozialdemokratische, sondern eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben.

Wie kann der Bürger feststellen, ob die Ökonomen, die über die unendlich komplizierte wirtschaftliche Wirklichkeit debattieren, sich an solch weisen Rat halten?

Die Unterscheidung, ob man die Urteile bestimmter Ökonomen zur Kenntnis nimmt oder besser mit der Kneifzange anfasst, ist keineswegs einfach.

Weil in Medien und weniger seriösen Studien gern mit Etiketten gearbeitet wird, denen dann „falsch“ oder „richtig“, „gut“ oder „schlecht“ angeheftet wird. Beispiele für solch bequemes Abstempeln sind: neoliberal, neoklassisch, keynesianisch. Wer mit solchen Versatzstücken als Mittel arbeitet, um wirtschaftspolitische Positionen herabzusetzen – Kneifzange!

Den urteilsfähigen Ökonomen nimmt man zur Kenntnis, weil er wichtige Sachbeiträge erarbeitet. Völlig unwichtig ist, ob das geäußerte Urteil einem Verband, einer Gewerkschaft, einer Partei oder uns selbst gefällt. Solange sich das Ergebnis auf Fakten und Argumente stützt.

Solche Ökonomen zeichnen sich selbst bei ihren kontrovers beurteilten Positionen durch eine Haltung aus, die ein Urteil anstrebt, das im Sinne Professor Vogts von Vernunft gesteuert ist.

Ein Beispiel, das angenehm beindruckt, bietet uns Professor Peter Bofinger, ein „Wirtschaftsweiser“, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: „Die Wirtschaftswissenschaften seien kein geschlossener Prozess mit klaren Regeln, ´wir fahren wirklich auf dem offenen Meer`“. *1)

Wer so denkt, achtet den Pluralismus wissenschaftlicher und öffentlicher Debatte, ohne den eine demokratische Dikussionskultur undenkbar ist. Professor Arne Heise betont: „Methoden- und Theoriepluralismus ist kein Selbstzweck. Nur in der Konkurrenz um die passgenauere Realitätsinterpretation entstehen wirkliche Erkenntnissprünge“. *2)

Pluralismus und Wettbewerb sind also die zentralen Elemente einer offenen Debatte, die um „vernünftige“ wirtschaftspolitische Beiträge ringt.

Werfen wir nun den Blick auf eine aktuelle Kontroverse.

Der Ökonom Moritz Kraemer, Chefanalyst für europäische Staaten bei der Ratingagentur Standard & Poor’s, gilt als „extremely competent and a first-class expert in government ratings“. Wer mit Kraemer zusammengearbeitet habe, weise alle Unterstellungen einer „political agenda“ zurück. Sein akademischer Lehrer Professor Hermann Sautter urteilt: „I know Moritz Kraemer as a very responsible, objective man and he bases his judgment only on reliable data. It is not in his nature to be subjective or biased. I completely trust his judgment.“ *3)

Moritz Kraemer hat nun in einem S&P-Bericht die Zunahme Euro-kritischer Stimmung und ihren Ausdruck durch den Zuwachs der AfD als Kreditrisiko in der Eurozone thematisiert. *4)

Diese politische Entwicklung – so analysiert Kraemer – könne sich negativ auf den euro-politischen „Bewegungsspielraum der Bundesregierung“ auswirken. Die bisherige Kompromissbereitschaft in der Eurozone, um eine gemeinsame Lösung für Haushaltskonsolidierung und wirtschaftliche Reformen zu finden, habe das „Vertrauen der Investoren in die Eurozone“ gestärkt.

Die AfD-Erfolge könnten eine „härtere Gangart gegenüber anderen Euro-Ländern“ z.B. durch die Union bewirken, um Wähler von der AfD zurückzuholen. Verschärfte Forderungen nach Abbau der Defizite in Staatshaushalten und Kritik an der Politik des billigen Geldes durch die EZB wären die Folge. Dies könnte Investoren veranlassen, wachsende Kreditrisiken in den südlichen Ländern des Euro-Gebietes zu sehen. Das gerade durch „die konstruktive Rolle Deutschlands“ geschaffene „Vertrauen der Investoren in die Euro-Zone“ wäre dann wieder gefährdet. Kraemers Warnung leuchtet dem ein, der sich die Hetze gegen das südliche Europa aus Teilen der CSU vergegenwärtigt.

Einige Ökonomen argumentieren, diese Sorge sei überzogen, da die EZB durch Mario Draghi de facto eine Garantie der Staatsanleihen im Euro-Gebiet zugesagt habe. So z.B. der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer: „Solange diese Garantie steht, spielt es keine große Rolle, ob die Bundesregierung mehr oder weniger Unterstützung für die Krisenländer signalisiert.“ *5) Wer allerdings die kritischen Stellungnahmen von Bundesbankpräsident Jens Weidmann zu diesem Aspekt der EZB-Politik Draghis liest, weiß – wie auch durch Mario Draghis Versicherungen selbst -, dass diese „Garantie“ unter dem Vorbehalt der Erfüllung des Mandats der EZB steht, stabile Preise und Preiserwartungen, 2 % p.a. im Durchschnitt der Eurozone.

Jörg Krämers Beitrag ist als wichtiges, sachliches Gegenargument zur Risikoanalyse Moritz Kraemers zu werten. Auch wenn nicht sicher ist, ob es über einen längeren Zeitraum trägt, wenn im Zuge der außergewöhnlichen Geldvermehrung durch die EZB die Inflation wieder zunimmt.

Nun zur Stellungnahme des renommierten Konjunkturforschers Gustaf Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK): „Das ist ein trauriger Treppenwitz der Ökonomiegeschichte. Ausgerechnet eine jener Agenturen, die mit der Abwärtsspirale ihrer Ratings im Herbst 2009 die Begründung für Austeritätspolitik geliefert hat, fürchtet sich nun vor einem durch die AfD erzwungenen Austeritätskurs.“ Das zeige die „volle Absurdität“ der Arbeit von Ratingagenturen. „Es ist höchste Zeit, dass deren Urteile nicht mehr ernst genommen werden“. *5)

Dies ist nicht nur völlig unsachlich und neben der Argumentation Moritz Kraemers. Das ist überhaupt keine Analyse, sondern eher als billige, nicht ungefährliche Polemik zu werten.

Denn gerade junge Menschen, junge Familien müssen langfristig sparen, Vermögen aufbauen und schützen. Und nicht nur in diesen Zeiten sehr hoher Aktienkurse dabei auch an Staatsanleihen denken. Sie sollten nicht nur überlegen, ob sie in Staatsanleihen investieren, sondern auch in welche. Und ihre Bankberater fragen, welche Staatsanleihen in „sicheren“ Fondspapieren stecken.

Die Sparer sind deshalb gut beraten, die Risikobewertungen von Rating-Agenturen, auch die Analysen eines herausragenden Ökonomen wie Moritz Kraemer zu konsultieren. Und die Meinung von Herrn Gustaf Horn mit äußerster Skepsis („Kneifzange“!) zu hinterfragen.

Es gibt eben weise Ökonomen und andere.

*1) Bofinger: Staat soll sich verschulden; www.mainpost.de, 20.03.2012.

*2) Arne Heise, Das Ende der neoklassischen Orthodoxie? Oder: Wieso ein methodischer Pluralismus gut täte. Universität Hamburg, Department Wirtschaft und Politik, ARBEITSPAPIERE FÜR STAATSWISSENSCHAFTEN – WORKING PAPERS ON ECONOMIC GOVERNANCE Nr 21, März 2007, S.14, dort Fußnote 28: „Und selbstverständlich muss auch in der Besetzung der Gutachtergremien darauf geachtet werden, dass Wissenschaftler der genannten Schulen bzw. Paradigmen hinreichend berücksichtigt werden.“

*3) S&P’s Moritz Kraemer: Europe’s AAA-rated Mr Scissorhands.
By Marc Jones, Frankfurt Mon Feb 13, 2012, http://www.reuters.com/article/2012/02/13/us-europe-ratings-kraemer-idUSTRE81C0K820120213.

*4) INTERVIEW STANDARD & POOR’S. „Die Kritik aus Deutschland wird lauter“. Von Jörg Hackhausen; 24.09.2014; http://www.handelsblatt.com/finanzen/boerse-maerkte/anleihen/interview.

*5) http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2014-09/31493185-oekonomen-kritisieren-s-p-analyse-zur-afd-scharf-003.htm. 24.09.2014.