Oppermann: Weniger Demokratie!

Wagt es nicht! Ganz stiekum, in einem langen BILD-Interview v. a. gegen die AfD versteckt, fordert Oppermann, Fraktionsvorsitzender der SPD: Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags von vier auf fünf Jahre.

Dies plant sicher nicht nur Oppermann. Die Fraktionsspitzen aller Parteien im Bundestag und die große Mehrheit unserer „Volksvertreter“ werden dabei sein: Komplizen einer politischen Enteignung der wahlberechtigten Bürger!

Gleich nach der nächsten Bundestagswahl 2017 — so Oppermann — sollten wir „einen neuen Anlauf nehmen: … die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängern.“ *1)

Nicht nur setzt sich Oppermann — leider als Vertreter der ältesten demokratischen Partei Deutschlands — über das Urteil namhafter Wissenschaftler, Journalisten und Politikbeobachter hinweg. Die „politische Klasse“ plant die Enteignung der Wähler, weil sie die Mehrheit und das Eigeninteresse der „Volksvertreter“ hinter sich weiß.

Wo bleibt der Widerstand der GRÜNEN, die sich ja nach Absturz der FDP gern als neue liberale Kraft darstellen?

Hören wir die äußerst gewundene Stellungnahme (Dezember 2013) der sonst gar nicht auf den Mund gefallenen Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. *2)

Haßelmann: „Ich sage, für mich hat jetzt im Moment nicht die Frage fünf statt vier Jahre Priorität, sondern die Frage der Wahrung der Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag. Das steht ganz oben auf der Agenda“.

Peter Kapern: Aber warum fällt es Ihnen so schwer, Frau Haßelmann, einfach zu diesem Projekt Verlängerung der Legislaturperiode „Nein!“ zu sagen?

Haßelmann: Wir haben immer vertreten die Auffassung, dass es unbedingt verknüpft sein muss mit mehr direkter Demokratie. So (! Fast barsch wird sie, RS), und das ist eine zentrale Voraussetzung für die Grünen.

Kapern: Das könnte ja ein seltsamer Handel werden, Frau Haßelmann, wenn man jetzt Volksentscheide einführt. Auf der einen Seite, da lesen wir ja beispielsweise, dass sich in der Schweiz nur kleine Minderheiten, jedenfalls nicht sehr viele Menschen, an solchen Volksentscheiden beteiligen, und das im Gegenzug für eine Reduktion der Zahl der Bundestagswahlen dann nur noch alle fünf Jahre, bei denen es heute in Deutschland eine sehr hohe Beteiligung gibt … Warum ist es besser, wenn 30 Prozent der Wahlberechtigten an einem Volksentscheid teilnehmen, besser, als wenn 70 Prozent der Wahlbürger an einer Bundestagswahl teilnehmen?

Haßelmann: Ja, also mein Projekt ist es nicht, alle fünf Jahre zur Bundestagswahl zu gehen. Ich glaube auch, dass es öffentlich im Moment nicht das richtige Signal ist.

Kapern: Dann sind wir gespannt, ob die Grünen am Ende des Tages für oder gegen die Verlängerung der Legislaturperiode sind.

Stimmen angesehener Juristen, die sich gegen die Verlängerung der Legislaturperiode wenden, interessieren führende „Volksvertreter“ wie den Juristen Oppermann offenbar überhaupt nicht.

Der Staats- und Verwaltungsrechtler, Professor Dr. Christoph Degenhart, hatte schon Anfang 2014 nach der „Initiative“ des Bundestagspräsidenten Lammert (CDU), die Wahlperiode des Bundestags auf fünf Jahre auszudehnen, analysiert: *3)

„Es entbehrt nicht einer gewissen Chuzpe: Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung werden über Monate hinausgezögert — dann folgt die Erkenntnis, dass die Legislaturperiode an sich zu kurz sei und deshalb auf fünf Jahre verlängert werden müsse … Ein funktionsfähiges Parlament ist Voraussetzung einer parlamentarischen Demokratie und gerade auch des Regierungssystems des Grundgesetzes mit seinem betonten Anliegen, Regierungsstabilität durch verfassungsrechtliche Sicherungen zu gewährleisten. Auch entspricht es dem repräsentativen Prinzip, eine gewisse Unabhängigkeit der Volksvertretung von momentanen Stimmungsschwankungen anzustreben.

Mit der Wahl des Deutschen Bundestags auf vier Jahre bringt Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG diese divergierenden Anliegen des parlamentarischen Regierungssystems in Konkordanz. Der vom Grundgesetz gefundene Ausgleich hat sich in der Vergangenheit durchaus bewährt, und nicht zuletzt die unter erheblichem Zeitdruck erfolgte Rettungsgesetzgebung in Banken- und Eurokrise hat ebenso wie die Gesetzgebung zur Energiewende gezeigt, dass Bundesregierung und Bundestag auch komplexe Vorhaben kurzfristig zu bewältigen in der Lage sind … (RS: Sogar die Deutsche Einheit gelang der Kohl-Genscher-Regierungskoalition zügig Ende 1989/90 gegen Widerstand aus der SPD (durch Oskar Lafontaine als SPD-Kanzlerkandidat) ohne Debatte über eine Verlängerung der Legislaturperiode).

Im Ergebnis ist eine Verlängerung künftiger Wahlperioden auf fünf Jahre also verfassungsrechtlich möglich, verfassungspolitisch aber wenig sinnvoll. Sie ließe das demokratische Prinzip des Art. 20 Abs. 2 GG nicht unberührt — der Grundsatz der Volkssouveränität, das demokratische Recht des Staatsvolks, seinen Willen in Wahlen kund zu tun, würde geschwächt.“

Auch demokratiebewusste Nicht-Juristen werden dieses Urteil Professor Degenharts begrüßen.

Aber den SPD-Politiker und Juristen Oppermann scheinen sogar die folgenden politischen Einsichten eines Grundkurses im Öffentlichen Recht nicht zu erreichen. Dort wurde gegen eine Ausdehnung der Legislaturperiode mit Hilfe des Argumentes der Regierungsstabilität angeführt: „Die Stabilität einer Regierung ist auch herstellbar, wenn Entscheidungen richtig vermittelt werden; gerade dies ist Aufgabe der Politik in einer Demokratie. Das Volk ist mithin unmittelbare Quelle der Legitimation des Parlaments, nicht nur „störender Faktor“ bei Wahlen.“ *4)

„Weniger wählen bedeutet weniger Demokratie“ *5), schrieb der Jurist und Journalist Heribert Prantl schon im Dezember 2013.

Als Sozialdemokrat kann ich Oppermanns Vorstoß nur negativ bewerten. Was ist bloß aus der SPD Willy Brandts geworden — der Partei eines Willy Brandt, der „Mehr Demokratie wagen!“ zum Leitbild seiner sozialliberalen Regierung von 1969 erhoben hatte!

Was ist aus der SPD geworden, die in Unternehmen und Gesellschaft für mehr Mitbestimmung der Bürger eintritt? Die nach den Worten des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel eine „demokratiekonforme“ Wirtschaft will? Und gleichzeitig — wenn es um die eigenen Ämter als „Volksvertreter“ geht — dem Wähler „weniger Demokratie“ (H. Prantl) zumutet?

Mich hatte schon Lammerts Vorstoß für eine Legislaturperiode von fünf statt vier Jahren im Dezember 2013 empört: Angenommen ein Wähler sei über 60 Jahre aktiv. „Der Beitrag der Groko zur „Zukunft“ der Generation heute 20-Jähriger wäre, wenn sie Lammerts Anregung folgte, eine politische Enteignung dieser jungen Wählergeneration um 20 Prozent. Denn die Zahl der Gelegenheiten, bei Bundestagswahlen die Leistung der Parteien im Bundestag zu bewerten, würde sich ja von 15 (4 Jahre Wahlperiode) auf 12 vermindern. Noch härter würden wir Älteren getroffen, bei denen es bestenfalls um 1 – 3 weitere Gelegenheiten geht, den Deutschen Bundestag zu wählen.“ *5)

Aber auch die massive „politische Enteignung“ der Jugend scheint Herrn Oppermann nicht weiter zu beschäftigen. Na klar: Auf der Zukunft der Jugend lasten ohnehin schon der Atommüll, die Renten- und die Pensionsberge und sonstige „Investitionen in Gerechtigkeit“ sowie die Schuldenpolitik dieser „Enkel“ Willy Brandts. Warum die Last junger Leute nicht wenigstens mit weniger Wahlen mindern??

Zynismus beiseite — es gibt sogar ein Entschädigungsangebot für politische Enteignung: Volksabstimmungen, Referenden, Plebiszite. Nach den jüngsten Erfahrungen damit in Europa (z.B. Brexit) dürfte dies Instrument als Kompensation für eine verlängerte Legislatur auf Bundesebene bei den Wählern die größte Skepsis auslösen.

Nicht nur demokratiepolitische Enteignung der Bürger laste ich Thomas Oppermann an.

Darüber hinaus begeht er in BILD eine politische Torheit ungewöhnlichen Ausmaßes. Oppermann beschuldigt die Alternative für Deutschland (AfD): „Weite Teile der AfD verachten unsere Demokratie“. Gleichzeitig liefert er der AfD mit seiner Ankündigung, die Legislaturperiode für den Bundestag auf fünf Jahre zu verlängern, eine politische Steilvorlage.

Wenn die AfD-Führung klug genug ist, wird sie jetzt als Demokratie-Schützer auftreten. Und als einzige Alternative für Deutschlands Demokratie Oppermanns Plan politischer Enteignung der Bürger scharf zurückweisen.

Weniger Demokratie? Wagt es nicht!

 

*1) BILD-INTERVIEW MIT SPD-POLITIKER OPPERMANN. Eine Koalition mit der AfD überlebt die Union nicht. Von: HANNO KAUTZ und ROLF KLEINE. 16.10.2016.

*2) Verlängerung der Wahlperiode „nicht das richtige Signal“. 28.12.2013. Deutschlandfunk. Bundestag. Haßelmann: Verlängerung der Wahlperiode „nicht das richtige Signal“. Die Grünen sehen eine Ausdehnung der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre skeptisch. Wenn dann müsse sie verbunden sein mit der Einführung von mehr Elementen der direkten Demokratie wie Volksentscheide, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, im Deutschlandfunk. Britta Haßelmann im Gespräch mit Peter Kapern. (Aus dem Gespräch wurden Kernsätze ausgewählt, Hervorhebungen RS)

*3) Verlängerung der Wahlperiode: Bundesregierung für ein halbes Jahrzehnt? Von Prof. Dr. Christoph Degenhart. 03.01.2014; http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wahlperiode-fuenf-jahre-bundesregierung-lammert/. (Hervorhebungen RS)

*4) Universität Würzburg Wintersemester 2007/08. Konversatorium Grundkurs Öffentliches Recht I -Staatsorganisationsrecht- Fall 4: Verlängerung der Legislaturperiode; http://www.jura.uni-wuerzburg.de/fileadmin/02160200/_temp_ Fall_4_Legislaturperiode_Loesung.pdf. (Hervorhebungen RS).

*5) Politik. 29. Dezember 2013. Mögliche Verlängerung der Legislaturperiode. Wahltage sind Festtage.

Die große Koalition möchte die Wahlperiode des Bundestags von vier auf fünf Jahre verlängern. Doch weniger wählen bedeutet weniger Demokratie. Der Plan von Union und SPD wäre nur unter einer Bedingung akzeptabel – wenn die Beteiligung der Bürger an anderer Stelle gestärkt wird. Ein Kommentar von Heribert Prantl; www.sueddeutsche.de.

*6) Vgl. mein Blog „Politische Enteignung … AM 28. DEZEMBER 2013.“ (Nur wegen der unerfreulichen Ankündigung Oppermanns (SPD) verweise ich auf diese eigene Kritik an Lammert (CDU) u.a.).