Putins gongo.

Eine sogenannte „government-organized non-governmental organization“ mit dem Namen „Dialog der Zivilisationen“ wird als neues politisches Bildungs- und Forschungsinstitut in Berlin tätig werden. Bisher überwiegen skeptische Stellungnahmen — das hat sicher gewichtige Gründe.

Der Gründungspräsident des Instituts, Wladimir Jakunin, ist langjährig und hochrangig ausgewiesen als: Präsident der russischen Eisenbahn, Geheimdienst-Offizier und Vertrauter Präsident Putins.

Der Name ist Programm. Dazu urteilt Marie-Luise Beck, MdB (Grüne), als Fraktionssprecherin für Osteuropapolitik, dass dies zu Putins Eurasischer Union passe: „Man beachte den Plural. Wer von unterschiedlichen Zivilisationen spricht (stellt) die Universalität der Menschenrechte und auch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention gemeinsam formulierten Grundlagen infrage“. *1)

Nicht nur infrage! Steht blanke Verachtung der westlichen zivilisatorischen Werte hinter der „Zivilisation“ der autoritären „Machtvertikalen“ Putins?

In keinem Staatslenker haben sich viele Verehrer russischer Kultur dermaßen getäuscht wie in Wladimir Putin — nach seiner großen Rede im Deutschen Bundestag 2001.

Heute stehe die russische Innenpolitik für ein „Klima der Angst“ (Irina Sherbakowa). *2)

Nicht nur wegen der Morde an Menschen, die für mutigen Protest ihr Leben gaben: Die Journalistin Anna Politkowskaja (ermordet 2006), Kreml-Gegner Alexander Litwinenko (in London 2006 mit Polonium vergiftet wegen seiner Anschuldigungen zum Mord an Frau Politkowskaja), und 2015 wurde der charismatische Oppositionspolitiker Boris Nemzow dicht beim Kreml erschossen.

Irina Sherbakowa, russische Bürgerrechtlerin und Historikerin, beklagt eine Toleranz für „Hasspropagandisten“ als Ursache einer „Atmosphäre, dass es möglich ist, die Menschen, die man als Oppositionelle einschätzt, anzugreifen.“ *2)

Noch gefährlicher für Europa ist Putins militärische Aggressionspolitik unter der Maxime: „Für mich sind nicht Grenzen und Staatsterritorien wichtig, sondern das Schicksal der (russischen) Menschen.“ *3)

Nach dem, was sich Putin an Verbrechen gegen das Völkerrecht in der Ostukraine leistete, ist diese Aussage Putins eine unverhüllte Drohung gegen die baltischen NATO-Partner Estland und Lettland mit einem Anteil von je etwa 30 Prozent sowie Litauen mit 10 Prozent ethnischen Russen im Land.

Nach Zerstörung des Friedens in Europa durch Bruch des Völkerrechts und einer Reihe von Verträgen, von denen sicherer Frieden in Europa erwartet wurde, ist die Weltöffentlichkeit nun Zeuge einer namenlos barbarischen Kriegführung Russlands an der Seite des Massenmörders Assad in Syrien.

Der ehemalige Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), analysiert: „Ich glaube, dass das Vorgehen Russlands in der Ukraine und jetzt in Syrien dazu beigetragen hat, dass eigentlich niemand mehr sich auf das Wort von Putin und Lawrow verlassen möchte. Das ist außenpolitisch eine gefährliche Situation, weil Russland ist zwar jetzt wirtschaftlich kein bedeutender Staat, hat ein Bruttosozialprodukt in der Größe von Italien, aber militärisch ist es ein Staat, mit dem man nicht in eine direkte militärische Konfrontation kommen will — und ich füge hinzu — möglichst auch nicht kommen sollte. Vor diesem Dilemma steht die Welt: Wie geht man mit einem solchen Staat um, auf dessen Wort man sich nicht verlassen kann?“ *4)

„Dialogpartner“ Russland auf dem Weg zum Schurkenstaat?

Solche Bedenken und Fakten mögen befürchten lassen, dass im östlichen Berlin, in edelster Lage am Gendarmenmarkt, mit dem „Dialog der Zivilisationen“ ein besonders wirkmächtiges Zentrum für Putins Informationskrieg installiert werde. Wer das (Ost-)Berliner Politik-Publikum etwas näher kennt, ist sicher, dass es auch nicht an Abnehmern solcher Informations-Produkte fehlen würde.

Dennoch teile ich diese Befürchtungen vorerst nicht, möchte sogar hoffen, dass hier ein Dialog-Instrument entsteht, das längerfristig positiv auf die zivilisatorische und wirtschaftliche Entwicklung Russlands zurückwirken könnte.

Im Aufsichtsrat und im Beirat der Experten sind international angesehene Persönlichkeiten vertreten, die sich kaum für „Propaganda und Desinformation“ (Aufsichtsrat Peter W. Schulze) *1) hergeben werden.

Aufsichtsrat Peter W. Schulze und Experte Alexander Rahr sind in der deutschen Fachöffentlichkeit für Russland bekannt, herausragende Kenner des Landes und dort bestens vernetzt. Herrn Professor Dr. Schulze wird nachgeredet, „Kollegen bescheinigen ihm einen zunehmenden und tief reichenden Antiamerikanismus.“ *5)

Ganz abgesehen davon, dass es in den USA mehr „Anti-Amerikanismus“ gibt als sonst wo, ist dies blühender Unsinn. Peter W. Schulze ist ein für jede Idee offener und besonders diskussionsfreudiger Politikwissenschaftler. Als Auslandsmitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung hat er in Großbritannien, den USA und in Russland hoch geschätzte Arbeit geleistet.

„Pink Floyd und Gorbatschow“ — war schon Ende der 1980er in London sein Motto und Programm für den Fall der Mauern und den Brückenbau zu Russland. Dr. Schulze ist Kosmopolit, der in Russland eine zweite Heimat gefunden hat. Wenige haben fachlich so fundiert und kritisch die Verhältnisse in Russland analysiert wie Dr. Schulze für die Friedrich-Ebert-Stiftung und für die Universität Göttingen.

Auch was über den Gründungspräsidenten des Instituts „Dialog der Zivilisationen“, Professor Dr. Wladimir Jakunin, bekannt ist, lässt auf bedeutendes intellektuelles Format und genaue Kenntnis der Entwicklungsprobleme Russlands schließen.

Abschließend möchte ich meine Hoffnung an die Arbeit des Berliner Bildungs- und Forschungsinstituts „Dialog der Zivilisationen“ etwas konkretisieren.

Nutzt die Forschungs- und Bildungsarbeit für Wandel in Russland.

Zeigt in der Analyse des Kontrastes zum westlichen System: Die „Machtvertikale“ der russischen Staatsordnung, das „top down“, fördert Uniformität des Denkens, anpasserischen Opportunismus und Korruption.

Ein „Klima der Angst“ — eine Staatsführung durch Befehl und Gehorsam — schwächt nicht nur die zivilgesellschaftliche Debatte, die für Korrektur von Missständen notwendige Kritik an der Führung. Das “top-down“-System schwächt auch die selbständige unternehmerische Initiative, die wirtschaftliche Innovation und das ökonomische Wachstum.

Werbt im streitigen „Dialog der Zivilisationen“ dafür, dass in Russland das vertikale Steuerungsprinzip des Befehls schrittweise durch die dezentrale Steuerung des freien Wettbewerbs ersetzt wird: in Wissenschaft, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Russland braucht für seine Entwicklung und Zukunft sicher mehr marktwirtschaftliches „bottom up“ statt machtvertikales „top down“!

Durchaus überzeugende Anfänge sind ja bereits gemacht. Wozu heute knappe Ressourcen durch militärische Abenteuer verschwenden, wenn solche gewaltigen Zukunfts-Aufgaben in Russland zu bewältigen sind?

Vielleicht gelingt ein Wandel von Mentalitäten und System in Russland eher durch Impulse von außen.

Putins gongo? Wait and see!

*1) Putin lässt Denkfabrik in Berlin gründen. Ein Vertrauter des Kreml-Chefs zieht die Fäden. Oligarchen sind für die Finanzierung zuständig. Ziel ist der „Kampf um die Köpfe“. DIE WELT, 30. Juni 2016, S. 8.

*2) NGO „Memorial“ in Russland. „Das wirkt zerstörend auf die Arbeit“. Die Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Memorial werden in Russland nun als ausländische Agenten geführt. „Das ist eine Diffamierung, das wirkt zerstörend auf die Arbeit“, sagte die Bürgerrechtlerin und Historikern Irina Scherbakowa im Deutschlandfunk. In Russland herrsche zunehmend ein Klima der Angst. Irina Scherbakowa im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann; http://www.deutschlandfunk.de/ngo-memorial-in-russland. 07.10.2016.

*3) BILD-INTERVIEW MIT DEM RUSSISCHEN PRÄSIDENTEN. Von: NIKOLAUS BLOME, KAI DIEKMANN UND DANIEL BISKUP (FOTOS). 11.01.2016.

*4) Abbruch der Syrien-Gespräche. „Russland hat sich nicht an seine Zusagen gehalten“. Der ehemalige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz findet es verständlich, dass Washington die Friedensverhandlungen zu Syrien abgebrochen hat. Er sagte im Deutschlandfunk, jetzt könne sich Russland nicht mehr hinter der Aussage verstecken, dass es eigentlich Frieden wolle.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Christine Heuer; http://www.deutschlandfunk.de. 05.10.2016.

*5) Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. Juni 2016, Nr. 25, S. 6.