Staatsoberhaupt — unwürdige Propaganda.

Leider hat Bundespräsident Joachim Gauck gegen eine zweite Amtsperiode entschieden. Gerade Bürger, die Freiheit und Demokratie als wertvoll für ihr Leben achten, bedauern dies sehr. Und solche Bürger mögen sich unwürdige Propaganda im Vorfeld der Neuwahl des Staatsoberhauptes verbitten.

Ich habe Bundespräsident Joachim Gauck verehrt. Vor allem aus den folgenden politischen Gründen:

Joachim Gauck war der bisher erste parteilose Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Gauck selbst hat sich politisch verortet: „nicht links, nicht rechts, sondern geradeaus“. *1)

Gerade am gestrigen Tag der Deutschen Einheit beeindruckten noch immer seine erinnerten Worte über das Deutschland des Grundgesetzes. Über die „Kostbarkeiten, die dort, wo ich vorher gelebt habe, nur in schäbigen Resten oder überhaupt nicht existierten … Wo ich jetzt lebe, habe ich Grundrechte, garantiert durch die Verfassung: Gewissensfreiheit, Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit, die Freiheit der Berufswahl, Versammlungsfreiheit, Forschungs- und Veröffentlichungsfreiheit. Wo ich jetzt lebe, gründen Menschen von sich aus Vereine, Bürgerinitiativen, Gewerkschaften und Parteien und übernehmen Verantwortung in ihnen. Kritik, Diskurs und Dissens gelten als Normalfall der politischen Kultur und nicht als politisch-ideologische Diversion, Untergrundtätigkeit oder politische Straftat.“ (a.a.O., S. 331).

Wertschätzen wir diese „Freiheit, die ich meine“ (Joachim Gauck)!

Am 12. Februar 2017 wählt die 16. Bundesversammlung ohne Aussprache die Persönlichkeit, die Joachim Gauck als unser aller Staatsoberhaupt folgen wird. Diese Bundesversammlung besteht nach Artikel 54, Satz (3) Grundgesetz aus den 630 Mitgliedern des 18. Deutschen Bundestages sowie 630 Mitgliedern, die von den Parlamenten der Länder gewählt werden.

Der Präsident des Bundestags beruft die Bundesversammlung ein. Bundestagspräsident Norbert Lammert hatte anlässlich der 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010 diese Verfassungsinstitution unseres föderalen Staates sehr treffend als „Feierstunde der Demokratie und des Parlamentarismus“ charakterisiert. *2)

Der Bürger sieht der „Feierstunde der Demokratie und des Parlamentarismus“ am 12. Februar 2017 mit großer Erwartung und Achtung vor unserem Staat entgegen. Und ein Gleiches erwartet er auch von Politikern und vor allem von den Mitgliedern der kommenden Bundesversammlung. Denn diese verantworten die Wahl des Oberhauptes unseres Gemeinwesens, unserer Bundesrepublik.

Gewiss erfordert dies schwierigste Verhandlungen zwischen den politischen Parteien. Auch mögliche Kandidatinnen und Kandidaten für das höchste Amt mögen sich positionieren. Aber wir Bürger müssen auf Verantwortlichkeit und würdigem Umgang im Rahmen dieser staatspolitischen Wahlhandlung bestehen, sonst wird unsere „Feierstunde der Demokratie und des Parlamentarismus“ entwertet.

Und am wichtigsten ist demokratisch gesinnten Bürgern der Respekt vor dem verfassungsrechtlichen Gebot, dass unser Bundespräsident kein „plebiszitärer Präsident“ ist, sondern ein „parlamentarischer Präsident“. *3)

Das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland wird also ganz bewusst nach unserem Grundgesetz nicht „plebiszitär“ durch die wahlberechtigte Bevölkerung gewählt, sondern über die Bundesversammlung, d.h. über den parlamentarischen Weg.

Die bitteren Erfahrungen der Weimarer Republik haben dies die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes gelehrt.

Und deshalb verdient ein Mitglied der kommenden Bundesversammlung scharfe Kritik: Ausgerechnet Katarina Barley — Juristin, Abgeordnete im 18. Deutschen Bundestag, SPD-Generalsekretärin — verletzt schon jetzt ihre Verantwortung für die 16. Bundesversammlung.

Ausgerechnet diese hochrangige Sozialdemokratin erlaubt sich das, wovor sie heuchlerisch warnt: „parteitaktische Spielchen“. *4)

Sie spielt in unverantwortlicher Weise mit dem, was unser Grundgesetz aus historischer Einsicht ausgeschlossen hat. Frau Barley spielt im Zusammenhang mit der kommenden Wahl unseres Bundespräsidenten mit „plebiszitärer“ Parteipropaganda: „Die Mehrheit der Bundesbürger spreche sich für Steinmeier als Präsidentschaftskandidaten aus“, behauptet Barley. *4)

Nicht nur hat Frau Barley falsch gerechnet. Denn die offenbar von ihr genutzte Emnid-Umfrage *5) besagt, dass „die Mehrheit der Bundesbürger“ von 61 Prozent eben nicht Herrn Steinmeier (39 Prozent) bevorzugt. In der manipulativ zusammengestellten Emnid-Liste finden sich u.a. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU, 29 Prozent) und auch TV-Moderator Günther Jauch (13 Prozent). Das Mitglied der kommenden 16. Bundesversammlung Katarina Barley, MdB, verhält sich in dieser Funktion sogar gegen unser Grundgesetz (Art. 54), das für unsere Staatsordnung den “plebiszitären“ Präsidenten ausgeschlossen hat.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sollte seiner Generalsekretärin Frau Barley „die parteitaktischen Spielchen“ (Barley) mit „plebiszitären“ Informationen/Umfragen im Vorfeld der Wahl des Bundespräsidenten untersagen.

Unser aller Staatsoberhaupt stehe jenseits unwürdiger Parteipropaganda!

*1) Joachim Gauck, Winter im Sommer — Frühling im Herbst. Erinnerungen. In Zusammenarbeit mit Helga Hirsch. München 2009. S. 231.

*2) Eröffnungsrede von Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert anlässlich der 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010; http://www.bundestag.de/bundestag/praesidium/reden/2010/05/248814.

*3) Model/Creifelds, Staatsbürger-Taschenbuch. 33. Auflage, München 2012, S. 227.

*4) NEUE OSNABRÜCKER ZEITUNG. NOZ: SPD-Generalsekretärin: Steinmeier wäre ein hervorragender Präsident. 01.10.2016.

*5) DTS-Meldung vom 02.10.2016. Widerstand in der SPD gegen gemeinsamen Kandidaten mit Union.

Wenig aussagefähig und durchaus manipulativ erscheint die Emnid-Liste (Quelle: BILD am Sonntag) schon deshalb, weil fünf Persönlichkeiten der CDU/CSU nur zwei Sozialdemokraten (Außenminister Steinmeier und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz) gegenüberstehen. Das zersplittert die Stimmen für Emnid-hypothetische Unions-Kandidaturen gegenüber denen der SPD.