Pferdefleisch-Etikette.

Wer kann sicher sein, ob die Skandal-Meldungen letztlich als gute oder schlechte Nachricht zu werten sind?

Vor allem, wenn man die deutsche TV- und Medienhysterie beobachtet und an vergangene Geschichten vom Rindfleisch oder Schweinefleisch denkt.

Dieser Bürger-„Journalist“ würde sich mit Grausen ab- und anderem zuwenden, dächte er nicht an die Großherzigkeit eines Hildesheimer Ross-Schlachters, der vor mehr als 55 Jahren dem Fahrschüler alle 4 Wochen einen großen Eimer voll mit Fleischresten schenkte. Der ebenfalls großzügige Busfahrer, Herr Heide, gestattete den Transport des Eimers direkt neben dem Fahrersitz. Also keineswegs unappetitlich der Inhalt für den Schäferhund des unvergessenen Onkels. Und nebenbei: das Geschäft des Ross-Schlachters blitzte vor Sauberkeit.

Nun zum größten Tatort deutscher Heuchelei, den bekannten Akteuren, die sich der TV-Bühne bemächtigen. Dort lärmte Frau Höhn von den Grünen, als wäre sie noch nie für den Schutz der Verbraucher zuständig gewesen. Frau Aigner schien bei solcher Rabulistik dahin zu welken. Ähnliche Erfahrungen soll Peer Steinbrück als Ministerpräsident in NRW mit Frau Höhn erlitten haben. Der sei aber aus der Kabinettssitzung gelaufen, um sich bei einem Pils zu beruhigen.

Dabei lernten wir heute in Phönix-TV von einem Fachmann, dass Lebensmittelkontrolle Ländersache sei und auf der Ebene von Gemeinden und Landkreisen umgesetzt werde. Und nach all den vielen Jahren mit grünen Landes- und Bundesministern für Verbraucherschutz hören wir jetzt von denen die Erkenntnis: Wir müssen uns stärker vernetzen. Und bei jedem Tier über „Geburt, Aufzucht, Schlachtung“ informiert sein (Nicole Maisch, MdB, Grüne). Ahnentafeln zu jeder Wurst …

Als Hilfstruppe für Heuchler aus der Politik marschierten heute einige Persönlichkeiten ins TV, um ausgerechnet Pfifferlinge statt Pferdefleisch unklarer Herkunft zu betrachten. Dazu ein Schauspieler: „Gott sei Dank ist meine Frau Pharmakologin.“ Zählen bei dem schon Pillen zu den Lebensmitteln? Ein paar Kabarettisten und Komiker: „Gott, ist das ein Gammel, ich geh kotzen.“ Und die Landfrauen stöhnten: „Mir wird ganz anders.“

Und natürlich erschienen einige Öko/Bio-Autoren, die altruistisch auf ihre Bücher verwiesen und die Lebensmittelindustrie als profitgierige „Hoch-Risiko-Produktion“ anprangerten. Last but not least, die scharfen Beobachter von Food-Watch: Watch war bei denen zwar ergebnislos, aber dafür setzte es Watsch´n für den Lebensmittelsektor (drakonische Strafen) und die Verbraucher (zu geizig).

Bei einem Fachmann, dem Honorar-Professor Dr. Ulrich Nöhle, TU Braunschweig, machte Phönix-TV gleich auf einen wesentlichen Makel aufmerksam: Der Herr versteht nämlich etwas von den Problemen, denn er ist hauptberuflich als Top-Berater in der „Lebensmittel-, Futtermittel- und Kosmetikindustrie“ tätig. An der TU Braunschweig unterrichtet er „Qualitätsmanagement in der industriellen Lebensmittelherstellung: Grundbegriffe zum Qualitätsmanagement, die Soll-Ansprüche an die gesamte Prozesskette der industriellen Lebensmittelherstellung, von den Agrarrohstoffen bis zum Lebensmittelregal des Handels einschließlich möglicher Abweichungen und Korrekturmaßnahmen seitens der Hersteller und seitens der Lebensmittelkontrolle.“

Herrn Dr. Nöhle kommt das Verdienst zu, dass er uns die Illusionen nahm, mit denen grüne Politik gern spielt. Zu deren Schlagworten „regional, saisonal und vom Bauernhof schräg gegenüber“ als Kaufmotto für unsere Lebensmittel sagte er knapp: „Unbezahlbar“.

Im Gemeinsamen Binnenmarkt der EU mit harmonisierten Rechtsvorschriften operiere in scharfem Wettbewerb ein Lebensmittelsektor mit einem weltweiten „supply chain“-Netzwerk, das Lieferanten von Vorprodukten, Hersteller von Fertigprodukten und Partner für Vertrieb und Handel bis hin zu Regal oder Tiefkühltruhe im Supermarkt umfasst. Unter industriellen Bedingungen würden diese Leistungsprozesse gelenkt, um zu gewährleisten, dass Lebensmittel für den Verbraucher verfügbar und bezahlbar bleiben.

Da mag der Europaabgeordnete Jo Leinen, SPD, leichthin feststellen, das Interesse des Verbrauchers an „Transparenz“ stehe über den Interessen der Industrie. Frau Elvira Drobinski-Weiß, SPD-MdB, mag mit dem Hinweis, dies alles „macht nicht einer allein“ auf einen whistleblower hoffen. Ob ihre Worte Betriebsräte oder Gewerkschaftler in Unternehmen der Lebensmittelbranche beeindrucken oder gar beschämen? Alle die Menschen, die für uns Konsumenten von Lebensmitteln in der „supply chain“-Verkettung hart arbeiten, verdienen nicht, pauschal unter Betrugsverdacht gestellt zu werden.

Blicken wir dahin, wo der Betrug, das Fleisch von Pferden, Eseln und Mulis als Rind zu etikettieren, aufgedeckt wurde, blicken wir nach Irland und Großbritannien.

Eine ausgezeichnete Abfolge von Analysen und Daten zum „Pferde“-Fleisch-Skandal bietet die Zeitung Guardian (guardian.co.uk/news/datablog/2013/). Danach habe The Food Safety Authority of Ireland zuerst DNA von Pferd/Esel/Muli („Equidae meat“) im vermeintlichen Rinderhack entdeckt. Seitdem haben wir das Theater.

Woher und in welchen Mengen kommt das sog. Pferdefleisch nach Deutschland? Der Guardian gibt uns einen Überblick über die Lieferungen aus EU-Ländern. Danach erhielt Deutschland zwischen Januar und November 2012 1.440.800 kg aus den folgenden EU-Ländern: Belgien 1.108.000 kg, Irland 95.800 kg, Polen 75.300 kg, Rumänien 58.800 kg, Niederlande 38.200 kg, Italien 34.000 kg, Frankreich 23.700 kg, Spanien 3.300 kg, Luxemburg 2.700 kg, Großbritannien 1.000 kg. Bei diesen Mengen-Relationen könnte man die Schurken eher in Belgien (77 % der an uns gelieferten Menge) als in Rumänien (4 %) vermuten, wenn sich Handelswege von Rind- und Pferdefleisch überlagern.

Über die genauen Handelsstationen hinter diesen Statistiken über den Handel mit „Pferde“-Fleisch ist kaum etwas bekannt, stellt der Guardian fest. Wenn deutsches Verbraucherverhalten in den letzten drei Jahrzehnten sich ähnlich gewandelt hat wie britisches, dann werden pro Kopf etwa doppelt soviel Burger, Frikadellen und „meat pies“ verzehrt und fast die sechsfache Menge an Fertiggerichten u.ä. mit Fleisch. Dh. der Anwendungsbereich für falsch etikettierte  Fleischprodukte und damit für Betrug hat gewaltig zugenommen.

Falsch bezeichnetes Fleisch ist Betrug. Was mag ein Mensch empfinden, dem seine Religion den Genuss von Schweinefleisch verbietet und der aus der Presse erfahren muss, was er möglicherweise seit Wochen gegessen hat? Pferde wiederum sollen regelmäßig mit dem entzündungshemmenden Mittel Phenylbutazone („bute“) behandelt werden, berichtet Felicity Lawrence im Guardian (14.02.2013).

Kein Pferd, das mit „bute“ behandelt wurde, darf in Großbritannien, dem Land des Pferdesports, je für menschlichen Konsum geschlachtet werden, gleich wie lange die Behandlung zurückliegt. Der Grund sei ein Risiko für eine seltene Form der Anämie, das aber laut britischer Food Standards Agency (FSA) sehr gering sei. Diese Anämie könne als sehr seltener Nebeneffekt bei einer Therapie für Menschen mit „bute“ eintreten. Beim Menschen würden jedoch Dosierungen angewendet, die wesentlich höher seien als jede bisher in der Nahrungskette gefundene Spur von „bute“.

Man weiß wenig über die Handelswege des Pferdefleisches zum Endverbraucher. Man weiß wenig darüber, womit die Pferde behandelt wurden, deren Fleisch nach Deutschland aus EU-Ländern oder aus Übersee (dann wieder v.a. via Belgien) kommt. Ebenso wenig sei über „sichere“ Grenzwerte für Medikamente wie „bute“ im Fleisch bekannt, ist im Guardian zu lesen.

Was bleibt dem Bürger, der mit wachsendem Zynismus wohlfeile Politikformeln hört, mit denen er abgespeist wird wie mit den „Fertiggerichten“ im Supermarkt?

Mut macht der Blick ins Vereinigte Königreich. Da kann man beobachten, was wirklich wirkt. Es ist der Zorn der Bürger, der Verbraucher, die mit dem Portemonnaie abstimmen!

Elf der größten britischen Handelsketten, die Lebensmittel verkaufen, haben einen Offenen Brief publiziert. Sie verstünden und teilten Ärger und Wut der Konsumenten. „Wir arbeiten rund um die Uhr, um die umfassendsten Tests von verarbeitetem Rindfleisch durchzuführen, die jemals in irgendeinem Land der Welt gemacht wurden. Wir unternehmen alles für erneuertes Vertrauen in die Lebensmittel, die unsere Kunden kaufen und essen.“ (Übersetzung RS).

Statt sich über NGO-Gedöns und Wahlkampfgerede zu ärgern, sollte der Bürger seine Macht erkennen: Jetzt hat die Fastenzeit begonnen. Kauft keine Fleischprodukte, gönnt euch Fisch, Kartoffel- oder Gemüsesuppe, wenn es sein muss. Damit ihr euch im Juni am Strand oder im Schwimmbad sehen lassen könnt.

Aber vor allem zeigt den Produzenten und Händlern eure Käufermacht, bis sie mit euch so anständig umgehen wie die britischen Lebensmittelketten mit dem Offenen Brief an ihre Kunden: Etiquette in Britain!