Pharisäer.

Schon zur Zeit Jesu tobten die scheinheiligen Hetzmeuten der Moral.

Damals gab es wohl keine Steuermoral, dafür aber eine Ehemoral. Also stürzten sich gewisse Ethik-Gelehrte und Pharisäer auf eine gestrauchelte Ehefrau und forderten ohne Erbarmen, sie zu steinigen. Die Antwort Jesu: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“ (Joh.8.7.).

Heute – so jedenfalls die Grundlage des modernen Scheidungsrechts – gibt es keine Ehemoral, dafür aber viele Ethiker und Pharisäer der Steuermoral.

Die Pharisäer sind in der Politik häufig, Pendants damaliger Schriftgelehrter haben gelegentlich Lehrstühle für Wirtschaftsethik. Welche von diesen oder jenen die größten Pharisäer sind, sei dahingestellt.

Heutige Pharisäer schüren zum Problem der Steuerhinterziehung ein Klima von Neid, Angst, Heuchelei und Hexenjagd.

Das Ergebnis: Menschen mit unbestreitbar großen Verdiensten, die nach Steuerdelikten die rechtlichen Konsequenzen bereits getragen haben, werden von der Moral-Hetzmeute nunmehr öffentlich hingerichtet. Das gibt es aus guten Gründen jedenfalls nicht bei Gewaltkriminellen, die ihre Strafe abgesessen haben.

Theo Sommer oder Alice Schwarzer blieben in diesem von einigen Politik-Pharisäern oder Wirtschaftsethikern erzeugten Hetzklima offenbar ohne rechtzeitigen Rat. In der Medien-Kampagne haben sie die Nerven verloren und sich zu unsinnigen Erklärungen hinreißen lassen. Im Grunde ist ihre dünnhäutige Verwirrung verständlich, weil das „Gemeinwohl“ und ähnlich hochherzige Anliegen häufig Themen ihrer zu Recht vielbeachteten Publikationen und Vorträge waren. Damit haben sie sich angreifbar gemacht.

Die Hilflosigkeit beider Persönlichkeiten hat dann die Hetzmeute der Heuchler richtig angestachelt. Und hier und heute gibt es niemanden, der die Mahnung ausspricht: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“.

Denn die Wahrheit ist, dass es kaum jemanden gibt, der nicht schon Steuern vermieden oder hinterzogen hat. Es sei denn, sie hat in der DDR gelebt. Und ist nach der Wende Politikerin oder Beamtin geworden. Und ohne Nebentätigkeiten zurecht gekommen. Wer dagegen v.a. in Westdeutschland jemals als Schüler oder Student, aus Not oder für ein Auto oder für seinen Lebensunterhalt „gejobbt“, wer je längere Zeit selbständig gearbeit hat, wird nicht immer die gesetzlich gebotenen Steuern gezahlt haben.

Lassen wir es bei diesem Punkt bewenden. Lassen wir auch die mehr oder weniger kreativ an ihren Steuererklärungen fummelnden Bürger in Ruhe. Lassen wir den Bereich der häuslichen Dienstleistungen. Lassen wir den Bereich der Mehrwertsteuer auf die vielen kleinen Service-Leistungen.

Stattdessen seien hier zwei Großrepräsentanten des Pharisäer- und Ethik-Gelehrtentums genannt, die im TV den Mund gar zu weit öffneten.

Da ist Frau Katrin Göring-Eckardt, MdB, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Sie wirft nicht nur ohne Erbarmen Steine auf Alice Schwarzer, sondern schwadroniert unter „Jesus.de“ auch noch, dass die „Kirche sich einmischen“ müsse (05.02.2014). Atemberaubende Scheinheiligkeit!

Der Wirtschaftsethiker Professor Ulrich Thielemann tritt nach dem Urteil sachkundiger Ökonomen zwar nicht durch wirtschaftswissenschaftliche Fachbeiträge hervor, dafür aber durch Manifeste und Memoranden. Das ist sicher sein gutes Recht. Gleichwohl bestätigt er die Einschätzung von Fachökonomen, indem er sich an die Seite der Pharisäer stellt und im TV Steine wirft: „Staatsfeindlichkeit, Verachtung des Gemeinwohls, Gier nach Reichtum“ lautet sein moralisches Verdikt. Es richtet sich nicht nur gegen „die Reichen“.

Wirtschaftlich interessierte Bürger mögen sich – von solchen Moral-Darstellern angeregt – fragen: Welche Größenordnung hat eigentlich die Steuervermeidung der großen Masse im Vergleich zu der bei den „Reichen“? **) Bei wem ist der Schätzwert der Steuervermeidung – Mehrwert- und Einkommensteuer, Schwarzarbeit und Schwarz-Beschäftigung häuslicher Dienstleister – im Verhältnis zum Einkommen höher: beim „Normalverdiener“ (30 Tsd. € Jahreseinkommen) oder bei den „Reichen“?

Oder: Was sagt denn die Wirtschaftsethik zur zunehmend aggressiv propagierten „Steuermoral“ gerade jener, die ihren Lebensunterhalt aus dem Staatssäckel beziehen? Die an Sparen beim Staat weniger interessiert scheinen als am steuerlichen Zugriff?

Stellt sich dem „staatsfreundlichen“ Wirtschaftsethiker Thielemann überhaupt die Frage, ob die Werte der Freiheit und der Selbstverantwortung der Staats-, Steuer- und Abgabenquote „wirtschaftsethische“ Grenzen setzen? Oder reicht ihm für seine Steuerethik, „Investitionen“ zu fordern für die „Endlosschleife“ (Wolfgang Bosbach, MdB): Gemeinwohl, Bildung, Infrastruktur, soziale Gerechtigkeit, Kommunen, Kultur etc., etc.?

Mit diesen Fragen soll natürlich nicht die Steuerhinterziehung relativiert, sondern das Phärisäertum in Frage gestellt werden.

Steuerhinterziehung ist ein Gesetzesbruch, eine Straftat. Punkt. Dafür sind Steuerfahnder, Staatsanwälte, Gerichte und die Politik als Gesetzgeber zuständig.

Schafft endlich eine vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium bereits vor 10 Jahren empfohlene einfache, gerechte (Freibeträge!) flat-rate-Einkommensteuer. D.h. einen Steuersatz für sämtliche Einkommen ohne Ausnahme, also mit breitester „Bemessungsgrundlage“ für das steuerpflichtige Einkommen.

Natürlich muss dieser Steuersatz etwa das gleiche Steueraufkommen sichern. Die Sachverständigen kalkulierten, dass der Steuersatz wegen der breiten Bemessungsgrundlage dennoch relativ niedrig ausfallen würde. Damit könnten auch die kleinen Selbständigen – Künstler, Handwerker – ihre derzeit extrem mühselige Steuerpflicht leisten, ohne ständig vor dem Finanzamt zu bangen.

Die Politik könnte sodann die „Nacherklärungen“ und „Selbstanzeigen“ abschaffen sowie die Verjährungsfristen für strafrechtliche Verfolgung und steuerliche Nachforderungen verlängern. Das würde die Freude an Kapitalerträgen trüben, die in ausländischen Steuer-Paradiesen eingestrichen werden.

Dies erfordert allerdings zunächst harte Arbeit im Unterschied zu den bequemen Moral-Aufrufen, die wir Bürger uns von Politikern verbitten. Erstens, weil sie von uns für legislative bzw. exekutive Arbeit und nicht für Moralpredigten bezahlt werden. Und zweitens, weil uns derzeit hochrangige Politiker einiges an Scheinheiligkeit bieten.

Richtig ausgekocht erscheinen die Herren André Schmitz (SPD), zurückgetretener Staatssekretär in Berlin, und Helmut Linssen (CDU), ehemaliger NRW-Finanzminister. Beide sind strafrechtlich mit weißer Weste davongekommen.

Ein steuerrechtlicher Künstler ist sicher der Herr Linssen. Das qualifiziert ihn zum hohen Amt des Schatz-Meisters der CDU. Ihm war ein großmeisterliches Spiel mit Schätzen in karibischen Briefkastenfirmen und mit deutschen Verjährungsfristen gelungen.

Auf den Bahamas und in Panama habe er Presseberichten zufolge kräftig gebunkert. Und sich schließlich den Behörden so offenbart, dass er bei der bestehenden Verjährungsfrist für Strafverfolgung „nur seine Zinserträge für die Jahre 2001 bis 2005 (habe) nachweisen müssen. In dieser Zeit hatte er mit seinem Geld im Ausland jedoch keinen Gewinn gemacht. ´Ich bin aus dem Verfahren makellos rausgekommen`, sagte er dem stern.“ *1)

„Makellos“ heißt wohl für Schatzmeister Linssen, dass er gar nichts zahlte, keine Strafe, keinen Strafzins, reinweg nichts an Steuern auf ein sattes, langjährig „investiertes“ Karibikvermögen.

Bei diesen beiden ertappten Politikern, Schmitz und Linssen, wird es sicher nicht bleiben. Die Bewertung beider Fälle aus den GroKo-Parteien ist deshalb vorsichtshalber „differenziert“ – bei der eigenen Truppe handelt es sich um „Fehler“, bei den anderen um „Verbrechen“.

Uns dummen Steuerzahlern hilft ohnehin nur: Zahlen und heiter bleiben! Halten wir uns bei soviel Moral in der Politik und bei den Pharisäern an den christlichen Herrn Linssen: „Oh Gott. Oh Gott, oh Gott“ – habe der ausgerufen, als der stern ihm auf die Schliche kam.*1)

*1) BRIEFKASTENFIRMA. CDU-Schatzmeister bestreitet Steuerhinterziehung; zeit.de, 4. Februar 2014.

**) Nachtrag 8.02.2014: Durch Schwarzarbeit im häuslichen Umfeld entgehen jährlich Steuereinnahmen (15 Mrd. €) und Sozialabgaben (35 Mrd. €) also insgesamt 50 Mrd. € ; durch verschwiegene Kapitalerträge im Ausland etwa 3 – 5 Mrd. € im Jahr (Schätzwerte nach Professor Friedrich Schneider; vgl. Karsten Seibel, Fiskus, welt.de, 8.02.2014).

***) Nachtrag 9.02.2014 für einige jüngere Leser, die mit der Diskussion um den Einkommensteuertarif nicht vertraut sind, und nachfragten. Auch ein einheitlicher Steuersatz, sagen wir z.B. ein Viertel bzw. 25 %, kann mit „progressiver“ Einkommensteuer – dh. einer mit steigendem Einkommen prozentual wachsenden Steuerlast – verbunden werden. Das geschieht durch Freibeträge. Nehmen wir einen einheitlichen Freibetrag pro Jahr von z. B. 25 Tsd. €. Vergleichen wir jetzt die prozentuale Steuerlast bei verschiedener Einkommenshöhe, z.B. 25 Tsd. €, 50 Tsd. €, 100 Tsd. €, 200 Tsd. €. Entsprechend ist bei diesem Freibetrag das steuerpflichtige Einkommen: Null €, 25.000 €, 75.000 € und 175.000 €. Dann ergibt sich jeweils bei 25% Steuersatz eine Steuerschuld von: Null €, 6.250 €, 18.750 €, 43.750 €. Oder eine prozentuale Steuerschuld – bezogen auf das jeweilige Ausgangseinkommen von 25 Tsd. € bis 200 Tsd. € – von: 0 %, 12,5 %, 18.8 %, 21,9 %. Solch ein Einkommensteuertarif („flat-tax“) wurde u.a. von sozialdemokratischen Finanzwissenschaftlern oder auch von Prof. Paul Kirchhof vorgeschlagen und rechtlich detailliert ausgearbeitet. Er ist einfach, berücksichtigt gerecht die steuerliche Leistungsfähigkeit und macht Einkommensübertragungen auf andere Personen oder Jahre, Kontroversen über Ehegatten-Splitting und was sonst an steuerrechtlichen Erleichterungen oder Tricks zu Gebote steht, überflüssig. Jeder, der ein Einkommen – Gehalt, Leistungs-Bonus, Honorar aus Werkvertrag, Entgeltzulagen für Sonntagsarbeit oder Überstunden, Einkommen aus Vermietung oder Verpachtung, Zinsen, Dividenden, Gewinne – erwirtschaftet, weiß, welchen Prozentsatz davon er dem Fiskus schuldet. Im Beispiel 25 %, frei nach Peer Steinbrück: Besser 25 % von X, als 45 % von Nix!