Politik-Marketing.

Jede Organisation im Wettbewerb steht in vielfältigem Austausch: nicht nur mit Lieferanten, Kunden, Konkurrenten, sondern auch mit vielen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.

Gleich, ob es sich um Unternehmen oder politische Parteien handelt, „das Management von Austauschvorgängen und Austauschbeziehungen ist die Ecksteindisziplin … und von zunehmendem Interesse für Unternehmen und Nonprofit-Organisationen in der ganzen Welt. Alle Organisationen sehen sich mit der Aufgabe konfrontiert, einen Mehrwert für Zielmärkte zu kreieren, deren Bedürfnisse und Wünsche sich ständig verändern.“ *1)

Damit hat Professor Philip Kotler die Aufgabe des Marketing innerhalb der Organisation umrissen: Das Marketing integriert auf der Führungsebene „zahlreiche separate Funktionen, die sich auf Konsumentenbedürfnisse und Kundenzufriedenheit auswirken, also auf den Verkauf, die Werbung, die Marketing-Forschung, die Neuproduktentwicklung, den Kundendienst und die physische Distribution“ der Waren oder Dienstleistungen, die von der Organisation in den „Zielmärkten“ angeboten werden *1)

Die Marketingaufgabe ist für Kotler nicht darauf beschränkt, zu möglichst hohen Gewinnen für Unternehmen oder vielen Wählerstimmen für politische Parteien beizutragen.

Alle Organisationen in Staat, Politik, Verbänden, in Wirtschaft und Gesellschaft haben langfristig nur dann Bestand, wenn sie nicht nur gegenüber Mitarbeitern und Kunden, sondern auch gegenüber „der allgemeinen Öffentlichkeit ihre Legitimität behalten“. *1)

Diese Legitimität jeder Einrichtung und Organisation aber – so Philip Kotler – „wurzelt in der Bereitschaft … mit den Ressourcen .. die Lebensqualität der Gesamtgesellschaft optimal zu verbessern.“ *1)

Hier konnte nur der grundlegende Gedanke Professor Kotlers zu Zweck und Rolle des Marketing in modernen Organisationen referiert werden: Der Erfolg von Organisationen gründe nicht nur darauf, Marketing-Techniken zu beherrschen, sondern auch auf einer Orientierung am Gemeinwohl bzw. der „Lebensqualität der Gesamtgesellschaft“ (Kotler).

Gerade für politische Parteien erscheint diese umfassende Sicht Kotlers zum Marketing bedeutsam.

Die Landtagswahl in Sachsen mag dies illustrieren. *2)

Dass die FDP in Sachsen als durchaus verdiente Regierungspartei nicht wieder in den Landtag kam, muss ihren Spitzenkandidaten, den ausgewiesenen Werbe- und PR-Fachmann Holger Zastrow, hart getroffen haben. Als Wirtschaftsminister hätte Zastrow die gute Wirtschaftslage Sachsens glaubhaft für die FDP geltend machen können. Warum gelang dies nicht?

Man kann nur vermuten: Die Westerwelle-FDP hatte zwar Marketing-Techniken beherrscht, wie ihr starker Wahlerfolg 2009 belegt. Aber ihr Regierungshandeln in der schwarz-gelben Koalition erschien frivol. Zum liberalen steuerpolitischen Fokus, der ihren Erfolg bei Wählern wesentlich erklärte, wurde so gut wie nichts geleistet. Das FDP-Personal in der Bundesregierung wurde von enttäuschten Wählern gewogen und zu leicht befunden.

Marktwirtschaftlich geprägte Liberale und auch wertkonservative FDP-Wähler wandten sich in Scharen von der FDP ab. Sie sahen in der FDP keinen Garanten mehr für ihre Vorstellung von „gesamtgesellschaftlicher Lebensqualität“: Trotz guten Werbe-Marketings 2009 hatte die Westerwelle-FDP den von Philip Kotler betonten Legitimitätsaspekt für ihre Zielgruppen nicht im Blick.

Deutschland verlor ein politisches Korrektiv zum sozial und auf Umverteilung orientierten Mainstream. Diese Mentalität hatte der liberale sächsische Wirtschaftsminister Holger Zastrow gern als „zuviel DDR in der Bundesrepublik“ kritisiert. Zastrow, der im Wahlkampf 2014 liberal-konservative sächsische Eigenständigkeit betonte, konnte jedoch seine Landespartei dem Sog des bundesweiten Vertrauensverlustes nicht entziehen, der die FDP derzeit unter der 5 %-Hürde hält.

Die sächsische FDP hat zwar mit dem Spitzenkandidaten Holger Zastrow außergewöhnliches Engagement im Wahlkampf gezeigt. Ihr Werben um öffentliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz war jedoch vergebens.

Auch eine eindrucksvolle Show – Zastrow führte eine FDP-Motorradkolonne an – verfing nicht. Vielleicht war dies sogar ein PR-Fehler. Der amerikanische Marketing-Experte Seth Godin bemerkt zu Show-Effekten: „Wir wünschen uns Prominente, Marken und Teams, die mehr zeigen als bloße Show. Die Leute erwarten, dass sie Teilhaber der Show sind“. *3)

Werbung, die auf Effekte für Aufmerksamkeit zielt, muss nach Seth Godin also darauf achten, dass die Zielgruppen das Ereignis annehmen, sich damit identifizieren können. Vielleicht wurde die Biker-Show von den Wählern als reiner Gag zur FDP-Selbstdarstellung gewertet. Auch dies mag ausbleibende Identifikation mit der sächsischen FDP erklären.

Weit überzeugender wirkte dagegen die Werbe-Show mit dem Küchentisch, über den der neue SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig mit den Wählern sprach. Der Küchentisch als Symbol für Dialogbereitschaft! Diese originelle Werbe-Idee schien bei Sachsen anzukommen. Immerhin gelang der SPD ein Zuwachs von 2 Prozentpunkten, auch wenn dieser hinter den Erwartungen zurückblieb.

Wertkonservative, marktliberale Protesthaltungen gegen die stark sozial gefärbte Große Koalition in Berlin mögen den sensationellen Sprung der Allianz für Deutschland (AfD) mit fast 10 % in den sächsischen Landtag erklären. Ferner mobilisiert die AfD Ängste vor deutschen Zahlungs-Risiken bei der Stabilisierung der Eurozone, vor „ungeregelter Zuwanderung“ und vor Kriminalität. Die AfD propagiert auch ein konservatives Bild von Ehe und Familie.

Insgesamt trifft der SPD-Vorsitzende Gabriel noch auf Zustimmung der etablierten Parteien und in den Medien, wenn er das erfolgreiche Politik-Marketing der AfD als „rechtspopulistisch“ bezeichnet. Das rechtfertigt jedoch nicht Äußerungen von SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, von der die AfD mit nahezu diffamierenden Ausdrücken belegt wird: „fremdenfeindlich“, „deutschlandfeindliche Euro-Politik“ oder „rechte Suppe, die sich da zusammenbraut“.

Die etablierten Parteien im Deutschen Bundestag mögen die Protestpartei AfD herabsetzen und ihr ein baldiges Ende wünschen. Diese Haltung könnte jedoch das Gegenteil bewirken, wenn sich bei den Bürgern der Eindruck verfestigt, dass die Parteien im Bundestag eine bequeme, kartellhafte Ausgrenzung und Diffamierung gegenüber der AfD betreiben.

Blickt man unvoreingenommen auf die Führung der AfD und auf das Umfeld der Sympathisanten, so stellt man fest, dass diese neue Partei mit dem Vorsitzenden Professor Bernd Lucke erstaunlich viele Persönlichkeiten von Format und Erfahrung zusammenführen konnte. Selbst der bedeutende Sozialdemokrat, Wirtschaftspolitiker und Bankier Professor Wilhelm Hankel war zur AfD gewechselt, bevor er Anfang 2014 verstarb. Er war als besonders profilierter Kritiker der Krisenpolitik für die Eurozone hervorgetreten.

Die AfD mag derzeit noch chaotische Züge aufweisen, aber das intellektuelle Niveau und das Ansehen ihres Führungspersonals und ihrer bekannten Förderer unterscheiden die AfD völlig von der jungen, schnell untergegangenen Piraten-Partei.

Gelingt es der AfD im Sinne Philip Kotlers, in ihrer politischen Arbeit jenseits populistisch wirksamer Marketing-Techniken Vertrauen zu gewinnen, könnte sie bei der Bundestagswahl 2017 Erfolg haben. Mit „Vertrauen gewinnen“ ist gemeint, dass sich die AfD-Politik im Urteil ihrer Zielgruppen auch am Gemeinwohl orientiert, oder – wie es Professor Kotler ausdrückt – glaubwürdig im Sinne dieser Zielgruppen zur „Lebensqualität der Gesamtgesellschaft“ beiträgt.

Bei dem unbestreitbaren geistigen Rang vieler der AfD verbundenen Persönlichkeiten sollten sich die etablierten Bundestagsparteien nicht darauf verlassen, dass die AfD lediglich zu populistischer, kurzfristiger Effekthascherei fähig ist.

Eine ernsthafte politische Auseinandersetzung mit diesem neu in den politischen Markt eintretenden Konkurrenten steht aus. Das könnten Bürger den langjährig mit Steuermitteln aus guten Gründen geförderten Parteien anlasten, auch den ihnen nahestehenden politischen Stiftungen. Die Analyse eines politischen Konkurrenten, insbesondere eines erfolgreichen neuen Wettbewerbers, gehört zum Handwerkszeug des politischen Marketing.

Bequem diffamierende Schlagworte, wie sie Frau Fahimi verwendet hat, werden eher kontraproduktiv wirken, wenn es dabei bleibt. Ebenso wird das Ignorieren oder Kleinreden seitens der Union der AfD gewiss nicht schaden. Einer aus Steuermitteln stark geförderten, lang etablierten „politischen Klasse oder Elite“ ist solches Verhalten gegenüber einem neuen Wettbewerber und dessen Wählern nicht würdig.

Die FDP und die ihr nahestehende Friedrich Naumann Stiftung „Für die Freiheit“, die von Herrn Dr. Wolfgang Gerhardt geleitet wird, sind natürlich ganz besonders gefordert. Denn für sie ist es eine Existenzfrage! Die Wählerwanderung zur AfD in Sachsen hat die FDP entscheidend getroffen: Obwohl die sächsische CDU (rd. 40 %) etwa das Vierfache an Wählern mobilisiert wie die dortige FDP es noch 2009 schaffte (10 %), verlor die CDU 2014 mit 33 Tausend Wählern nicht einmal doppelt so viele an die AfD wie die FDP mit 18 Tsd. *4)

Gerade weil die AfD von Medien und den politischen Wettbewerbern überwiegend als „rechtspopulistisch“ wahrgenommen wird, gehört der neue Konkurrent unter die analytische Lupe. Diese Mühe sind die etablierten Parteien der Kultur unserer Demokratie und ihrer politischen Märkte schuldig. *5)

*1) Philip Kotler, Marketing-Management, Deutsche Übersetzung von Heidi Reber, 4. Auflage, Stuttgart 1989, S. 16f.

*2) Landtagswahl Sachsen 2014 in Prozent (Änderung zu 2009 in Prozentpunkten): CDU 39,4 (minus 0,8); LINKE 18,9 (minus 1,7); SPD 12,4 (plus 2); FDP 3,8 (minus 6,2); Grüne 5,7 (minus 0,7); AfD 9,7 (plus 9,7). (Quelle: http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2014-08-31-LT-DE-SN/index.shtml).

*3) Seth Godin, The best lesson from Fantasy Football’s success, Seth’s Blog, August 26, 2014. Übertr. RS. Das Zitat von Godin drückt das Konzept der „ownership“ als Grundlage für Kundenbindung aus.

*4) AfD-Wahlerfolg in Sachsen: „Die CDU hat’s vergeigt“; info@euractiv.de vom 01.09.2014. Die Zahlen der Wählerwanderung zur AfD hat Infratest dimap ermittelt: Danach verloren die LINKE 15 Tsd., die SPD 8 Tsd. und die Grünen 3 Tsd. Wähler an die AfD. Weitere Wähler holte die AfD von „Sonstigen“ (40 Tsd.), Nichtwählern (16 Tsd.) und NPD (13 Tsd.). Der Beitrag der AfD, die NPD aus dem sächsischen Landtag zu entfernen, ist wohl nicht ohne Verdienst.

*5) Nur weil ich andere zur politischen Analyse der AfD statt denkfauler Diffamierung auffordere, sei ausnahmsweise der Hinweis auf mein Blog „Extremismus aus dem Elfenbeinturm“ vom 18. April 2013 erlaubt.