Politische Enteignung …

… ist die weihnachtliche Botschaft für die Bürgerinnen und Bürger.

Wo: In der BRD. Wie: Mit Zwei-Drittel-Mehrheit der Groko. Initiator und Schirmherr: Bundestagspräsident Norbert Lammert. Wann: 2014, im 151. Gründungsjahr der deutschen Sozialdemokratie!

Wieso politische Enteignung?

Ich will es mit einem ganz einfachen Beispiel erläutern. Im Jahre 1998 sagte mir beim abendlichen Telefonat meine unvergessene Mutter: „Der Dicke muss weg.“ Ich widersprach ihr nicht, gab aber zu bedenken, welche historischen deutschland- und europapolitischen Verdienste Bundeskanzler Helmut Kohl zuzurechnen waren und sind. Damals stand Frau Eva Sohns, geb. Parrau, vor dem 81. Geburtstag.

Nehmen wir daher 81 Jahre als Referenzgröße. Das heißt für heute 21-Jährige, denen wir Atommüll, Schulden etc. für „Deutschlands Zukunft“ (s. Koalitionsvertrag) hinterlassen, dass sie mit einem Zeitraum von 60 Jahren als Wählerin oder Wähler für den Deutschen Bundestag rechnen könnten.

Gemäß der „Initiative“ des protokollbewussten zweiten Mannes im Staat, Bundestagspräsident Lammert, würde die Wahlperiode des Bundestags von 4 auf 5 Jahre ausgedehnt.

Der Beitrag der Groko zur „Zukunft“ der Generation heute 21-Jähriger wäre, wenn sie Lammerts Anregung folgte, eine politische Enteignung dieser jungen Wählergeneration um 20 Prozent. Denn die Zahl der Gelegenheiten, bei Bundestagswahlen die Leistung der Parteien im Bundestag zu bewerten, würde sich ja von 15 (4 Jahre Wahlperiode) auf 12 vermindern. Noch härter würden wir Älteren getroffen, bei denen es bestenfalls um 1 – 3 weitere Gelegenheiten geht, den Deutschen Bundestag zu wählen.

Diesen Anschlag auf unser aller Rechte als Wähler mit „Anpassung“ an 5-Jahres-Perioden bei der Europawahl und bei Landtagswahlen – an einen leider bestehenden Missstand also – zu begründen, zeigt die unfassbare Dreistigkeit dieser „politischen Extra-Klasse“ in Berlin. Getoppt wird dies, indem Politiker die Wähler mit der Behauptung beleidigen, den Bürgern sei doch egal, ob sie den Bundestag alle 4 oder alle 5 Jahre wählen.

Bahnt sich mit solch unsäglichem Plan der ganz große Betrug an Wählern an? Auch an den Mitgliedern der SPD, die mit großer Mehrheit im guten Glauben einem Koalitionsvertrag zustimmten, der mit keinem Wort diesen Eingriff in unsere Bürger- und Wählerrechte verrät?

Diese Fragen sind leider mehr als berechtigt; die Schande ist, dass sie jetzt gestellt werden müssen.

Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel, Herr Vizekanzler Gabriel, Herr Ministerpräsident Seehofer – sorgen Sie bitte umgehend für Klarheit, dass diese Enteignung politischer Rechte in der Bundesrepublik nicht und niemals stattfinden wird.

Verhindern sie diesen dumm-dreisten Anschlag auf unsere Rechte als Wähler! Verhindern sie einen in der Geschichte der Bundesrepublik beispiellosen Konflikt zwischen politisch engagierten Bürgern und der sogenannten „politischen Klasse“ in Berlin.

Sogar von der Opposition im Deutschen Bundestag hört man leider nur pflaumenweiches Gerede, wenn der Skandal bemäntelt wird mit Hinweisen auf „mehr Partizipation und Bürgerbeteiligung“, die mit dem Lammert-Aufruf zu verknüpfen wären. Die um Stellenabsicherung besorgte Beamtenmentalität unserer MdBs ist also fraktionsübergreifend zu konstatieren.

Von den in der Presse genannten Abgeordneten des Deutschen Bundestages interessiert mich als Sozialdemokrat nur ein Wortführer: Der sogenannte „SPD-Innenexperte“ und Präsident des Deutschen Softballverbandes – das ist kein Hinweis auf den Zustand des Kopfes dieses Herrn – Michael Hartmann, MdB.

Seine Aussagen übertreffen noch die anderer Politiker zumindest an Dummheit: „Es ist nahezu überfällig, die Wahlperioden des Bundestages auf fünf Jahre zu verlängern. Gründlicheres und weniger vom Wahlkampf getriebenes Arbeiten wären (!, RS) so möglich.“ *1) Dies Argument ist so töricht, dass sich die Frage aufdrängt, ob solch ruhebedürftigen MdBs Wahlen überhaupt zumutbar sind.

Warum sind derartige Aussagen nicht nur dreist, sondern dumm-dreist?

Blicken wir auf ein Land, dessen politische Führung sich wohl – wie MdB Hartmann – auch um „gründliches Arbeiten“ bemüht. Blicken wir auf die USA. Deren Präsident wird alle 4 Jahre gewählt. Und die 435 Mitglieder des „House of Representatives“? Alle zwei Jahre! Kein US-Politiker würde es wagen, kein US-Bürger würde sich bieten lassen, diese Wahlperioden politischer Rechenschaft gegenüber den Bürgern zu verlängern.

Der „gründlichem Arbeiten“ verschriebene MdB Michael Hartmann ist in Rheinland-Pfalz gewählt. Da denke ich an den ehemaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck, heute Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Wo bleiben die deutschen politischen Stiftungen *2), deren Kerngeschäft die politische Bildung für Demokratie ist? Deren „für das Gemeinwesen nützliche Arbeit“ vom Steuerzahler mit rd. einer halben Milliarde Euro im Jahr gefördert wird. Sollten diese bewährten Einrichtungen für Demokratie in unserem Land und in vielen Partnerländern nicht der drohenden politischen Enteignung des Bürgers und Steuerzahlers entgegentreten? Zumal sich diese Frage durch den erfolgreichen sozialdemokratischen Grundsatz „Fördern und Fordern“ aufdrängt?

Und wo um des Himmels willen bleibt die FDP?

Ihre Website erweckt den Eindruck, dass sich die Liberalen noch immer wünschen, frohe Weihnachten gehabt zu haben. Und ihr Ehrenvorsitzender? Hans Dietrich Genscher, der sonst solche Frage stellt, sei die Erholung gegönnt. Von der langwierigen Bemühung, den von sachkundigen Fachleuten und Medien als „Wirtschaftskriminellen“ oder „robber baron“ bezeichneten Chodorkowski nach Präsident Putins Gnadenerlass in die Freiheit zu begleiten.

Wo bleiben die neuen Liberalen? Die Grünen? Ihre profilierteste Kämpferin für Demokratie, Bürgerrechte und Freiheit, Frau Marie Luise Beck, MdB, hatte – wie im TV zu hören und zu sehen war – nichts Wichtigeres zu tun, als glücksbeseelt zu „Ihm“, zu Chodorkowski, ins Hotel Adlon „zu eilen“.

Bei diesen Darbietungen der „politischen Klasse“ in Berlin bleibt dem Bürger nur die Hoffnung auf zwei Verfassungsorgane. Die Hoffnung auf Bundespräsident Joachim Gauck und auf das Bundesverfassungsgericht.

*1) Schwarz-Rot will längere Wahlperiode. Von Markus Decker. Berliner Zeitung, 27.12.2013. Decker: „Bundestagspräsident Lammert spricht sich für eine Legislatur von fünf Jahren aus. Union und SPD begrüßen den Vorstoß. Linke und Grüne fordern jedoch zuvor eine Zulassung von Volksentscheiden auf Bundesebene.“ Deckers verdienstvolle Recherche wird in der Presse – von SPIEGEL, Süddeutsche SZ, bis hin zur ZEIT – aufgegriffen.

*2) Die politischen Stiftungen wollen „zur Gestaltung der Zukunft unseres Gemeinwesens beitragen“. Durch „gesellschaftspolitische und demokratische Bildungsarbeit … Die Politischen Stiftungen sind ein wichtiger Teil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Sie leisten für das Gemeinwesen nützliche Arbeit … , so daß deren staatliche Förderung im öffentlichen Interesse liegt.“
Siehe „Gemeinsame Erklärung zur staatlichen Finanzierung der Politischen Stiftungen“.