Sotschi, Terror, große Gesten.

Keine fünf Wochen mehr bis zum Beginn der Olympischen Winterspiele in Sotschi.

Und ausgerechnet Mörder zwingen uns Sportfans (im Sessel vorzugsweise) an Präsident Putins Seite.

Denn Terror gegen unschuldige Bürgerinnen und Bürger in der Russländischen Föderation verlangt von uns internationale Solidarität. Auch mit Präsident Putin, aber vor allem mit den Menschen in Russland. Selbst dann, wenn staatliche Brutalität in den Konfliktregionen des Nordkaukasus oder andere Bedrohungen von Menschenrechten schwer auf unserem Russlandbild lasten.

Der wiederholte und systematische Terror gegen Menschen in Russland, die auf öffentliche Transportmittel angewiesen sind, wie jetzt in Wolgograd, muss auch in den westlichen Demokratien auf Abscheu stoßen.

Umso mehr als wir den Terror in Moskau im Oktober 2002 erinnern – gegen Menschen, die nur das Musical „Nord-Ost“ genießen wollten. Oder das Verbrechen gegen die Schulkinder von Beslan im September 2004.

Die russischen Opfer des Terrors verdienen nicht nur unser Mitgefühl. Die Terroristen und ihre Hintermänner „müssen zur Verantwortung gezogen werden“, wie Außenminister Steinmeier zu Recht erklärt.

Zugleich fordert uns die Verbundenheit mit Russland und seinen Menschen heraus, den Terror nicht nur mit Worten zu verurteilen. Weil die Untaten von Wolgograd sich gegen das völkerverbindende Olympiafest in Sotschi richten, sollte die freie Welt ein starkes Zeichen der Solidarität mit dem Sport und mit dem Austragungsort Sotschi setzen.

Und dieser solidarische Impuls führt den Orientierung suchenden Bürger zu zwei bemerkenswerten Positionen.

Amnesty International (AI) steht nun wirklich an der Spitze des Einsatzes für Menschenrechte in der Welt. Und eindeutig fällt daher die Analyse von AI zu Russland aus: „Die Menschenrechtsorganisation kritisierte, dass sich die Lage der Menschenrechte in Russland seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin im vergangenen Jahr weiter verschlechtert habe. So seien demokratische Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ´drastisch beschnitten` worden … Seit 2011 seien über 100 Demonstrationen von der Polizei verboten oder aufgelöst worden.“ *1)

Dennoch hat sich AI „ ´einhellig` darauf geeinigt, keinen Boykott zu fordern.“ Vielmehr ruft AI auf, „dass diejenigen, die nach Sotschi reisen, Menschenrechte im Gepäck haben und sie dort auch auspacken“. *1)

Wie weitblickend diese Positionierung von AI war, macht eine institutionelle Stellungnahme der Washington Post (WP) deutlich. Die „Editorial“ genannte Position der WP als Institution wird ausschließlich von Mitgliedern des „Editorial Board“ (Beirat der Herausgeber, RS) verantwortet. Diese Persönlichkeiten sind grundsätzlich nicht an der redaktionellen Arbeit der Zeitung beteiligt, damit deren Unabhängigkeit gewährleistet bleibt. Die institutionelle Stellungnahme, das „Editorial“ der WP, wendet die Grundsätze und Werte der Institution auf besonders bedeutend erachtete Ereignisse oder Situationen an. *2) Solche Stellungnahmen sind für transatlantisch denkende Demokraten wichtig, weil sie unsere Wertegemeinschaft festigen können.

Am heutigen Tag orientiert uns das Editorial der Washington Post: „Der Versuch der Terroristen, die olympischen Spiele durch Gewalt zu zerstören, ist eine Untat, die von allen zivilisierten Staaten zurückzuweisen ist. Länder, die sich anschicken, Sportler nach Sotschi zu entsenden, sollten jetzt nicht länger zögern. Ungeachtet des autokratischen Herrschaftsgebarens von Herrn Putin stärken alle, die an den Spielen in Sotschi teilnehmen, Russlands nächste Generation – junge Menschen, die mehr Freiheit, die den Rechtsstaat und die Verbindung mit der globalen Zivilgesellschaft suchen. Dies ist ein wertvolles Projekt, das nicht durch Gewalt beschädigt werden darf.“ *3)

Wurde die Ankündigung unseres Bundespräsidenten Joachim Gauck, die olympischen Winterspiele in Sotschi nicht zu besuchen, von unseren Medien vorschnell zu „einem ´klaren Zeichen`, einem ´mutigen Schritt` oder auch .. einer ´kraftvollen Geste`“ stilisiert? *4) Solche Entscheidungen könnten auch überdacht werden …

*1) Naomi Conrad, Amnesty gegen Boykott von Sotschi, DW.DE, 04.12.2013.

*2) http://www.washingtonpost.com/opinions/the-posts-view/2011/12/07/gIQAoEIscO_page.html.

*3) Washington Post, Editorial Board, Terrorism must not be allowed to mar the Sochi Games, Tuesday, December 31 (Übers. RS). Den Hinweis auf diesen Beitrag verdanke ich der exzellenten internationalen Presseschau des Deutschlandradios.

*4) Warum Gauck wirklich nicht nach Sotschi fährt. Von Stefan Braun, Süddeutsche.de, 10. Dezember 2013.