Politische Streitkultur – Von Sachsen-Anhalt lernen.

Entgleisungen im politischen Streit? Dafür nicht! – meinen viele Bürger, die beträchtliche Kosten unseres demokratischen Systems zu schultern haben.

Denn solche Auftritte stehen ihren persönlichen Werten und Einstellungen entgegen, mit denen sie sich durch Leben und Beruf bringen müssen. Das dürfte der „politischen Klasse“ im allgemeinen auch bewusst sein.

Insgesamt wird der um ein faires Urteil bemühte Bürger mit den deutschen Politikern zufrieden sein können, sowohl mit ihrer fachlichen Kompetenz als auch mit ihrem Auftreten in Parlament und Öffentlichkeit. Auch der Ablauf von Wahlkämpfen folgt überwiegend dem Leitbild politischer Streitkultur „Konsequent, auch hart in der Sache, aber zivil im Ton“.

Olaf Scholz hat diesen Stil in Hamburg geprägt – unbeirrt sachlicher Auftritt krönte den Wahlkampf mit der absoluten Mehrheit. Blicken wir nach Rheinland-Pfalz. Eveline Lemke, Julia Klöckner, Kurt Beck und Herbert Mertin – sie pflegen „die Politik der runden Tische“ und „die Türen gehen auch wieder auf, selbst wenn sie mit Wucht mal zugeschlagen wurden.“ (Website E. Lemke, 4.10.2010)

Diese erfreulichen Eindrücke bestätigt ein Gespräch zwischen Kurt Beck und Stefan Mappus am beiderseitigen Wahltag (bams, 27.3.2011).

Herr Mappus über Kurt Beck: „Auch wenn wir politisch manchmal nicht zusammen kommen, finde ich den Umgang mit ihm angenehm.“ Kurt Beck: „Wir lösen politische Probleme so leichter“. Gerade an Kurt Becks Bemerkung zeigt sich, wie rational der Anspruch des Bürgers ist, dass vernünftiger Stil im politischen Wettbewerb vorherrsche. Mit welchen Friktionskosten und Ineffizienzen wäre wohl unser ohnehin komplexer föderaler Staatsaufbau belastet, würden die Politiker nicht angemessene Streitkultur im Wahlkampf und nach der Entscheidung neben politischem Streit auch nüchterne Zusammenarbeit pflegen – in der Regierung wie in der Opposition.

„Kultivierten Umgang“ stellt Susanne Arlt vom Deutschlandfunk am 17.3. 2011 fest – drei Tage vor der Landtagswahl im jungen Bundesland Sachsen-Anhalt. Dies gelte für alle Spitzenkandidaten: Jens Bullerjahn (SPD), Reiner Haseloff (CDU) und Wulf Gallert (LINKE).

Wo viel geleistet werden muss, wie z.B. im Aufholprozess der deutschen Einheit, da ist kein Platz für Theater und Gedöns – eine alte Erfahrung.

Und in Sachsen-Anhalt wurde viel geleistet: Starkes wirtschaftliches Wachstum, sinkende Arbeitslosigkeit und einen „nun sicher angelegten Weg aus der Staatsverschuldung“ konstatiert DIE ZEIT (21.3.2011). Durch „Konsolidieren – Investieren – Vorsorgen“ sichere die Politik der Landesregierung „weiteres Vorankommen in Wirtschaft, Bildung und bei fairen Löhnen.“

Jens Bullerjahn gehört wie Olaf Scholz zu den Landespolitikern der SPD, die mit herausragendem Sachverstand ihre Aufgaben lösen. Minister Bullerjahns Finanzpolitik bildet die entscheidende Stütze der auf langfristige Ziele ausgerichteten Politik der großen Koalition.

Diese Politik für die Entwicklung des Landes hat der Sozialdemokrat Bullerjahn wesentlich geprägt durch das unter seiner Führung seit 2002 entwickelte und fortgeschriebene Projekt „Sachsen-Anhalt 2020“. Das Projekt 2020 betont mit Zukunftskonzepten für Wirtschaft/Arbeit, Bildung und Familie gerade jene Politikfelder, auf denen das Urteil der Wähler über die Kompetenz der SPD bei der Bundestagswahl 2009 besonders beklagenswert war (vgl. Infratest dimap; tagesschau.de). Deshalb wünschen sich viele Sozialdemokraten eine starke bundespolitische Rolle für Jens Bullerjahn – wenn es geht schon vor 2020.

Auch der kommende Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Dr. Reiner Haseloff, steht als Partner Jens Bullerjahns in der großen Koalition zu der bewährten „politischen Kultur des vernünftigen Miteinanders und der Problemorientierheit“ (Website Dr. Reiner Haseloff, Gute Politik kann etwas bewegen). Und mit dieser Haltung geht er im Deutschlandfunk über den Ausdruck „Kuschelwahlkampf“ mit den Worten hinweg: „Das ist kein Nachteil, das ist genau das, was wir in die deutsche Einheit einbringen wollten.“

Wie so oft zeigt sich auch hier ein Vertreter der Wissenschaft von der Politik wissender als jene, die den Karren ziehen. Susanne Arlt zitiert im Deutschlandfunk am 17.3.2011 den Magdeburger Politikprofessor Wolfgang Renzsch mit der Befürchtung, die Wahlbeteiligung könne bei der Landtagswahl am 20.3.2011 nach nur 44 % (2006) noch weiter absacken. „Nach 20 Jahren Demokratie wachse zum einen der Frust darüber, dass man als kleiner Bürger sowieso nichts ändern könne ..“ und „Der Wahlkampf hat keine Schärfen … das bringt keine Stimmung über, dass man wählen gehen müsste.“ Leuchtet schon ein.

Doch den die Schärfe des Streits vermissenden Professor korrigierte die Schärfe der Realität: Die Wahlbeteiligung stieg von 44 % auf 51 %. Der Professor hatte nicht nur den „Fukushima-Effekt“ vom 11.3.2011 übersehen. Obwohl diese Katastrophe den Anstieg der Wahlbeteiligung wohl nicht allein erklärt: denn die Grünen hatten dadurch zwar einen relativ hohen Zuwachs (+3,6 %), schnitten jedoch insgesamt mit 7 % moderat ab. Vor allem die CDU, aber auch die SPD mobilisierten vorherige Nicht-Wähler, die Sozialdemokraten doppelt so viele wie die Grünen. Zwischen den Parteien blieb die Wählerwanderung vergleichsweise gering. Also ein ganz anderes Bild als in Westdeutschland.

Herr Dr. Haseloff deutet dem Politikwissenschaftler die Realität in Sachsen-Anhalt so: „Es wird immer von Kuschelwahlkampf gesprochen, aber das ist falsch. Wir haben die letzten Male einen westdeutschen Wahlkampf geführt, und dabei ist die Wahlbeteiligung stetig gesunken. Diesmal haben wir einen kultivierten Wahlkampf geführt. Es muss nicht unter die Gürtellinie gehen. Und am vergangenen Sonntag ist die Wahlbeteiligung gestiegen, und die NPD konnte aus dem Landtag gehalten werden.“ (Sonntagszeitung, Interview, 27.3.2011).

Und dann liefert der Christdemokrat Haseloff eine geradezu zwingende Erklärung für den hier und jetzt schon erlaubten Schluss zu unserem Thema: „Von Sachsen-Anhalt lernen, heißt politische Kultur und Augenmaß lernen!“ Auf die Frage der Sonntagszeitung „Was ist gut im Osten?“ kommt die Antwort: „Die ostdeutsche Frau. Durch die Diktaturerfahrung setzt sie andere Prioritäten. Zum Beispiel diskutiert sie nicht stundenlang über Biofleischsorten, sondern es geht um Fleisch oder Nicht-Fleisch. Sie ist nüchterner.“