Ralf Stegner, SPD, ein Denunziant?

Die schräge Methode, mit der Ralf Stegner, mächtiger SPD-Vize, die Journalistin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer angreift, kann auf denunziatorische Absicht deuten.

Stegner ist ein mächtiger Politiker einer mächtigen Regierungspartei in Bund, Ländern und vielen Gemeinden.

Deshalb ist sein Verhalten gegenüber einer Journalistin, die wirtschaftlich allein von ihrer Überzeugungskraft am freien Markt der LeserInnen lebt, besonders verwerflich.

Und seine Giftigkeiten gegen die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer erscheinen vorsichtshalber juristisch abgesichert. Alle beginnen sie mit „Wenn …“. Immer bleibt die Möglichkeit zurückzurudern, sich auf Missverständnis zu berufen — das dann natürlich Frau Schwarzer zuzurechnen wäre. Solche Methode ermöglicht das Denunzieren ohne sorgfältige Information über den behaupteten Sachverhalt.

Wenn sich Alice Schwarzer nach ihrer Steuerhinterziehungsaffäre und den damit verbundenen abenteuerlichen Rechtfertigungsversuchen neuerdings auch noch hinter die Pegida-Demonstrationen stellt, so zeigt das nur, wie wenig sie noch mit fortschrittlichen Positionen am Hut hat“, sagte der SPD-Bundesvize Ralf Stegner dem Handelsblatt. *1)

Eine wahre „Omnibus“-Herabsetzung ist das. Stegner hat alles reingepackt, um eine Frauenrechtlerin zu erledigen. Die sich in Jahrzehnten einen kleinen Platz in der Presselandschaft Deutschlands hart erarbeitet hat. In der übrigens die SPD-eigenen Medien eine mächtige Stellung einnehmen.

Überdies ist das Vorgehen Stegners parteipolitisch kalkuliert. Stegner sollte die BürgerInnen nicht für so dumm halten, dass sie nicht durchschauten, auf welche Wählergruppe er schielt.

Die Frage ist: Hat sich Frau Schwarzer überhaupt „hinter die Pegida-Demonstrationen gestellt“ (Stegner)?

Der von Herrn Stegner beanstandete Kommentar von Frau Schwarzer „Sie fliehen vor den Islamisten!“ *2) besteht aus folgenden Elementen:

Erstens, dem Kommentar zu einer Umfrage über Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung gegenüber Migranten mit muslimischem Hintergrund, einem Bericht der ZEIT und zu einer Studie des Innenministeriums (knapp 40 Prozent des Textes).

Zweitens, der Forderung, den Flüchtlingen vor dem Islamismus beizustehen, sie hier aufzunehmen. Aber gleichzeitig sollten die Ursachen dieses Flüchtlingsproblems (gewalttätiger Fundamentalismus, RS) benannt werden. Ursachen, die sich nicht nur in Syrien fänden, sondern auch in Teilen von Parallelgesellschaften in Deutschland (30 Prozent des Textes).

Drittens, begrüßt Frau Schwarzer die hohe Integrationsleistung der 80-Prozent-Mehrheit von Muslimen in Deutschland. Und sie kritisiert die Bundeskanzlerin, weil sie Ursachen für defizitäre Integration ausblende: Gewalt gegen Frauen, Hetze in Koran-Schulen, Zwang zur Verschleierung, Propagierung der Scharia-Polizei statt des Rechtsstaates, Bildung salafistischer Indoktrinationszentren (30 Prozent des Textes). Ähnliche Diagnosen finden sich auch bei namhaften Sozialdemokraten wie dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky. An diesen Parteifreund traut sich Stegner offenbar nicht heran …

In diesem letztgenannten Teil des Kommentars von Frau Schwarzer finden sich einige eher kritische Zeilen über den Pegida-Protest: „Zurzeit gehört es zum guten Ton, empört zu sein. Empört über Pegida. Die seien fremdenfeindlich, undemokratisch, rechts! heißt es. Das mag durchaus für die Wortführer und so manche Mitläufer zutreffen. Und es ist eine Tendenz, die sich durch die harsche offizielle Ablehnung offensichtlich verschärft.“ *2)

Diese Randbemerkung ist aber nur die Überleitung zum Fazit Schwarzers. Sie konstatiert ein in der deutschen Bevölkerung verbreitetes „Unbehagen an der offensiven islamistischen Agitation, der Propagierung der Scharia. Es ist das berechtigte Unbehagen an dieser neuen Form des Faschismus.“ *2)

Analysen mit ähnlicher Tendenz zur Bewertung der Pegida-Proteste finden sich bei angesehenen Politikwissenschaftlern.

Prof. Dr. Werner Patzelt arbeitet auf Grundlage seiner örtlichen Forschung vier wesentliche Merkmale der Pegida-Bewegung in Dresden heraus *3):

Erstens: „In Dresden geht tatsächlich ein Teil des Volkes auf die Straße — und nicht nur eine Horde von Rechtsextremisten. Da findet man alles von jungen Erwachsenen bis zu Rentnern, von der Mittelschicht bis zu den niedrigeren Schichten, von Leuten mit guter Bildung bis zu solchen mit einfacher Bildung. Von der politischen Mitte bis zum rechten Rand. Das ist im Grunde eine Volksbewegung der Politikerverdrossenen, bereichert um Demonstrationstourismus aus anderen Teilen Deutschlands.“

Zweitens: „Ferner haben die Organisatoren von Pegida von Anfang an erfolgreich versucht, ihre Veranstaltungen nicht von Rechtsextremisten kapern zu lassen. Ihre Ordner sind allen Demonstrationsteilnehmern entschieden entgegengetreten, die auch nur versuchten, rechtsextreme Plakate zu zeigen oder rechtsextreme Losungen zu rufen. Medial verbreitete Behauptungen, derlei würde bei den neuen Dresdnern Montagsdemonstrationen „gebrüllt“, sind bislang gegenstandslos.“

Drittens: „Im Übrigen haben jene Demonstranten, die man in Dresden vor die Kameras lockt, zunächst einmal einen recht hohen inneren Erregungspegel. Deswegen sind sie ja zu Pegida gekommen! Und natürlich handelt es sich bei ihnen meist um ganz normale Leute, die keinerlei Übung darin haben, über so komplexe Dinge wie Einwanderung oder Kulturwandel in sorgsam gewählten, differenzierten, alle Fettnäpfchen umsichtig vermeidenden Begriffen zu reden. Sie verwenden vielmehr genau jene Schlagworte und Redefloskeln, welche auch an ihrem Arbeitsplatz und in ihrem Freundeskreis verwendet werden — jene Art des Redens also, welche die Wächter politisch korrekten Diskurses dort sehr wirkungsvoll unterbinden, wo sie Macht haben, nämlich in der Medienöffentlichkeit und in der Politik. Bei den Pegida-Demonstrationen aber haben sie keinerlei Macht, denn dort sind normale und einfache Leute zu keinem anderen Zweck zusammen, als eben zu zeigen, dass es sie gibt — und ihre selbstdefinierten Interessen auch.“

Viertens: Die „Masse und Wucht (der nicht-rechtsradikalen Pegida-Demonstranten) zeigt uns klar, dass unser etabliertes Parteiensystem im Vergleich mit den Bürgerpräferenzen deutlich nach links verschoben ist — und das als „akzeptabel“ geltende politische Aussagespektrum desgleichen. Nur wer genau das als eine zentrale Ursache von Parteien- und Politikerverdrossenheit erkennt, wird das Pegida-Phänomen verstehen.“

Vor diesem wissenschaftlichen Befund Professor Patzelts erscheinen die Randbemerkungen von Frau Alice Schwarzer zu Pegida im Rahmen ihres Anliegens, Frauen vor islamistischer Gewalt zu schützen, durchaus angemessen.

Ralf Stegner hat politische und wirtschaftliche Macht gegen die völlig machtlose Journalistin Alice Schwarzer mobilisiert. Mit einer an Heimtücke grenzenden Auslegung ihres Kommentars.

Und dies erlaubte sich Stegner als Spitzenrepräsentant der mächtigen Regierungspartei SPD, die zugleich über ein mächtiges Medienimperium verfügt und über großen Einfluss in öffentlichen Rundfunk- und TV-Beiräten.

Deshalb ist die Diffamierung der Journalistin Alice Schwarzer durch den mächtigen SPD-Vize Stegner eine Schande, eine schwerwiegende Belastung für unsere politische Streitkultur. Dieses Verhalten Stegners ist der ältesten demokratischen Partei Deutschlands, ist der deutschen Sozialdemokratie unwürdig.

*1) PEGIDA UND DIE FOLGEN. Alice Schwarzer zeigt Verständnis für Anti-Islam-Demos. http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/pegida-und-die-folgen; 07.01.2015. (Bei Stegners Methode konditionaler Satzverbindungen steht in einem Satz die Wenn-Bedingung, im nächsten Satz die Schlussfolgerung, RS). Hervorhebung RS.

*2) Sie fliehen vor den Islamisten! DATUM 6. Januar 2015. VON Alice Schwarzer; http://www.aliceschwarzer.de/artikel/.

*3) PROTESTBEWEGUNG. Patzelt: „Ausdruck von Parteien- und Politikerverdrossenheit“. Datum 23.12.2014. Autorin Greta Hamann. Werner J. Patzelt ist Politikwissenschaftler an der Technischen Universität in Dresden. Er erforscht die Entwicklungen der „Pegida“ seit Beginn der Demonstrationen und begleitet sie mit seinen Studierenden wissenschaftlich; http://dw.de/p/1E9Rq.

Nachtrag 10. Januar 2015.

Heute erwog ich, einer persönlichen Einladung von Karl Lempert, change.org, zu folgen und eine Petition gegen Pegida zu unterschreiben. Dies stelle ich jetzt zurück. Warum?

Der Grund ist die in Medien viel zitierte Aussage von Bundesjustizminister Heiko Maas gegen zusätzliche sicherheitspolitische Maßnahmen: „Auch die schärferen Gesetze in Frankreich haben das Massaker von Paris leider nicht verhindern können.“ **1). 

Vorratsdatenspeicherung und Verschärfung bestehender Gesetze für die Sicherheit in Deutschland sind gerade im Lichte des Terrors in Paris zunächst sorgfältig zu prüfen. Sicherheitspolitischer Aktionismus ist auch jetzt nicht angebracht.

Aber ein so törichtes Argument wie das uns von Minister Maas zugemutete beleidigt jeden politisch mitdenkenden Bürger. Mit solch verquerer Maas-“Logik“ wäre auch die Aussage vereinbar: Frankreich hat seit Jahren die Ausbildung seiner Polizei verbessert. Dies hat die Anschläge nicht verhindert. Also fangen wir mit solchen Maßnahmen in Deutschland gar nicht erst an.

Bürger erleben immer wieder, dass Politiker sich gegenüber “den Leuten“ in einer Weise äußern, als hätten die Bildungsreformen der letzten 50 Jahre nur Idioten produziert.

Auch deshalb mag es zu Bewegungen wie Pegida gekommen sein. Und deshalb stelle ich meine Unterschrift gegen die Pegida vorerst zurück. Sorry, Karl Lempert. Meine Unterschrift kommt später, vielleicht.

**1) GROKO-ZOFF UM SICHERHEITSGESETZE. Union geht auf Justizminister Maas los. VON RALF SCHULER UND ROLF KLEINE, 10.01.2015; http://www.bild.de/. Experten werfen Justizminister Heiko Maas mangelnden Sachverstand vor: Vorratsdatenspeicherung sei kein Präventions- bzw. Verhinderungs-, sondern v. a. ein Ermittlungsinstrument, um terroristische Netzwerke auch nach einem Anschlag aufzuspüren.