Sachverstand und Panik-Orchester.

Beides bot Phönix-TV heute dem Bürger, der immer noch um ein Urteil zur Krisenpolitik in der Eurozone ringt.

Dazu, d.h. zum Sachverstand, passte, dass dieser Dokumentationskanal eindrucksvoll von den verehrten Brüdern Herrn Bernhard und Herrn Hans-Jochen Vogel gewürdigt wurde.

Das Journalistengespräch im Presseclub erwies sich leider als Panik-Orchester. Es begann schon mit der Einstimmung durch den Dirigenten, Herrn Schönenborn: „Bundeskanzlerin ausgetrickst“. Und dann schlägt das Gewitter beim Bürger ein.

Die Expertin im Fach Verhandlungsführung, Frau Pinzler (ZEIT), meint anscheinend, Bundeskanzlerin Merkel hätte beim Gipfel der Regierungschefs in Brüssel schon zu Beginn Kompromißbereitschaft ohne „rote Linien“ demonstrieren müssen. Herr Casdorff (Tagesspiegel) hält dem immerhin entgegen, wer so anfange, könne das Verhandeln gleich bleiben lassen.

Herr Reinhard Müller (FAZ) konstatiert zum Brüsseler Euro-Rats-Gipfel: „Wir geraten immer stärker in die Haftungs- und Schuldenunion“. Fraglich schien der Runde, ob der Bundestag „noch Stopp sagen“ könne. Die Angst sei „nicht ganz falsch“, war zu hören, dass „deutsche Steuerzahler für marode spanische Banken zahlen müssen“.

Frau Weidenfeld krönte dies: Der Rettungsschirm ESM wurde zur „Bad Bank“ der Euro-Zone gemacht. Dort würden Gouverneure ohne jede Rechenschaftspflicht entscheiden. Dies sei die „Rutschbahn“ (Schönenborn), auf die uns Bundeskanzlerin Merkel befördert hat. „Wir sind auf der Kippe, auf dem Weg in die Schuldenunion“ (Weidenfeld). „Bis zu dreistellige Milliarden-Beträge“ seien „innerhalb einer Woche abrufbar“ bei diesem „auf Ewigkeits-Dauer“ geschlossenen ESM-Vertrag, so erschreckt uns noch Herr Casdorff.

Dann erhebt der Presseclub die Vulgarität der Linken Frau Enkelmann, MdB, im Bundestag in den Rang des Zitierfähigen: „Verarschung des Parlaments“. Nun hatte es die Runde geschafft, den Bereich des Ökonomischen zu verlassen. Und über die Notwendigkeit einer Volksabstimmung zu diskutieren.

Dazu hören wir, ZEIT-gemäß, von Frau Pinzler über uns Bürger: „Wir sind viel gebildeter, wollen mehr mitbestimmen. Ich bin da sehr positiv.“ Für Herrn Casdorff ist Volksabstimmung etwas rätselhaft eine Frage „politischer Hygiene“. Welcher Ja-Nein-Enthaltung-Text wäre wohl „hygienisch“? Da Frau Weidenfeld meint, der Euro habe den deutschen Arbeitnehmer, den kleinen Bürger „zum Verlierer gemacht“, weiß sie auch, was bei solcher „Hygiene“ herauskommt: „Das Volk würde Nein sagen.“ Vor allem, wenn es vorher solche Debatten erlebt.

Dieser Bürgerjournalist lehnt die Volksabstimmung auf dem Gebiet gesamtstaatlicher Verantwortlichkeit ab. Denn das wäre die Gelegenheit für ökonomisch mächtige Interessengruppen, massiv einzusteigen. Spezialinteressen gegen die heterogene, große Zahl aller Bundesbürger – da obsiegen die „Wenigen über die Vielen“ (Tony Blair). Gegenüber solcher Gefahr haben wir unsere demokratische Ordnung, die politischen Parteien, die Bundestagswahlen.

Fast unbemerkt wurde in dieser Debatte ein politisches Risiko für die Sozialdemokratie erkennbar. Der Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, am 29. Juni im Deutschen Bundestag: „Wir finden die Wachstumsbeschlüsse des EU-Gipfels richtig … Nichts von dem, was wir jetzt erreicht haben – Wachstumsinitiativen und die Besteuerung der Finanzmärkte -, wäre ohne den Druck von SPD und Bündnis 90/Die Grünen möglich gewesen.“ (bundestag.de/).

Mehrfach deutete die Runde an, genau dieser „Druck“ habe die Kanzlerin in Brüssel erpressbar gemacht, da sie die Opposition für das Gesetz zu Fiskalpakt und ESM brauchte. Herr Casdorff: „Die Kanzlerin hätte die Opposition anrufen müssen: ´Wir werden hier erpresst. Entweder mit Eurer Zustimmung oder gegen Eure Zustimmung`“. Dies könnte auch auf die vorherige „Wallfahrt“ (CDU) der SPD-Troika zum französischen Staatspräsidenten Hollande ein seltsames Licht werfen. Zusammenarbeit von SPD-Führung und Schulden-Staaten gegen die Bundesregierung? Solcher Eindruck sollte sich nicht verfestigen, ist der SPD zu raten.

Und da ist der Punkt, an dem Phönix-TV Dank gebührt. Denn unmittelbar vor diesem Panik-Orchester des Presseclubs wurde ein sehr substantielles Gespräch zwischen Herrn Alfred Schier und dem EZB-Direktor Jörg Asmussen gesendet. Der als Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen langjährig herausragend ausgewiesene Experte und Sozialdemokrat war Teilnehmer des Euro-Rats-Gipfels in Brüssel. Und er leistete das, was der Bürger eigentlich von den Journalisten im Presseclub erwartet hätte. Verständliche, klarstellende Aussagen, die auf die Sorgen der Bürger eingingen. Wegen ihrer Qualität verdienen sie, zusammengefasst und festgehalten zu werden.

Erstens: Die Bundeskanzlerin Merkel war in Brüssel nicht isoliert. Ihr Ansatz, finanzwirtschaftliche Kontrolle und Stabilität in der Eurozone durchzusetzen, sei durch eine Reihe von Ländern unterstützt worden, z.B. Finnland, Niederlande, Österreich, Estland, Slowakei.

Zweitens: Gefährdete Banken bekommen erst dann einen Zugang zu Kapital des Rettungsfonds ESM, wenn vorher eine europäische Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank mit Kontroll- und Eingriffsrechten gegenüber Geschäftsbanken eingerichtet ist. Hilfen werden auf Antrag geleistet gegen Auflagen, die in einem „Memorandum of Understanding“ spezifiziert und auf Einhaltung kontrolliert würden.

Die Anbindung der europäischen Aufsicht über die Geschäftsbanken an die EZB erscheint sinnvoll, weil die EZB an der Stabilität der Finanzmärkte ein vitales Interesse hat. Sonst ist nämlich die Wirkung ihrer geldpolitischen Instrumente und Maßnahmen gefährdet. Darauf hat die EZB seit Jahren hingewiesen.

Drittens: Die schon in der gesamten Opposition verbreitete negative Haltung gegenüber dem Fiskalpakt (Kaputtsparen und ähnliche Stilblüten) erscheint im Lichte folgender Aussage Herrn Asmussens verfehlt. Die Fiskalpolitik in der Eurozone müsse genauso stabilitätsorientiert sein wie die Geldpolitik. Dazu bedürfe es klarer Regeln im Sinne der deutschen Schuldenbremse mit Verfassungsrang. Das sei der Zweck des Fiskalpakts. Dessen Bestimmungen müssten jetzt umgesetzt werden.

Viertens: Was Bürger vor allem ängstigt, sind die Kredite der EZB an die Geschäftsbanken. In letzter Zeit in Höhe von einer Billion Euro. Droht da nicht Inflation? Herr Asmussen sagt dazu, dass es sich dabei um sog. Zentralbankgeld (bei der EZB den Geschäftsbanken eingeräumte Guthaben, RS) handele. Erst wenn dies Zentralbankgeld von den Geschäftsbanken als Kredit an Verbraucher oder Unternehmen weitergegeben würde, steige die Geldmenge in der Wirtschaft. Das Wachstum der Geldmenge sei derzeit aber sehr verhalten.

Daher sei keine Inflationsgefahr gegeben. Der Wert des Euro in der Eurozone sei stabil. Bei den Marktteilnehmern seien die Erwartungen für Preissteigerungen in den nächsten 5 Jahren bei 2 % pro Jahr verankert. Auch der Außenwert des Euro werde an den Devisenmärkten hoch eingeschätzt (also gegenüber z.B. dem Dollar, dem britischen Pfund, dem Yen, dem Renminbi, RS). „Wir haben keine Euro-Krise“, unterstreicht Herr Asmussen.

Fünftens: Herr Asmussen versichert, dass weiterhin in der Eurozone beide Grundsätze gelten, die fiskalische Solidität und die Solidarität. Länder, die Hilfen bekommen, „müssen ihre Hausaufgaben machen. Wenn die Zusagen erfüllt werden, sind zeitlich begrenzte Hilfen möglich.“

Sechstens: Die derzeitige Staatsschulden- und Vertrauenskrise werde nicht durch eine gemeinsame Haftung für Schulden gelöst, betont Herr Asmussen. Hierzu sei bemerkt, dass dies auch die rot-grüne Opposition erkannt haben mag. Und sich anscheinend endlich in einer begrüßenswerten „180 Grad Wende“ (Carsten Schneider) von der Eurobonds-Idee verabschiedet hat.

Deshalb sollte Sigmar Gabriel im Parlament nicht weiter Panik unter den Bürgern verbreiten: „Mehr als 1 Billion Euro hat die Europäische Zentralbank parallel zu allen Rettungsschirmen still und heimlich an direkter und indirekter Staatsfinanzierung geleistet. Wer haftet dafür? Natürlich alle, auch wir hier in Deutschland mit fast 400 Milliarden Euro. Das war und ist von Ihnen auch so gewollt, Frau Bundeskanzlerin. Es gibt sie also längst, die vergemeinschafteten Schulden, nur heimlich, Merkel-Bonds sozusagen … “ (bundestag.de/; Plenardebatte 29.06.2012).

Dem beunruhigten Bürger muss dies als kleinkarierte Rechthaberei erscheinen. Dazu ist dies ein nicht nur sachlich verfehlter, sondern auch denunziatorischer Ton Herrn Gabriels gegenüber der unabhängigen EZB, die bei den allermeisten Bürgern sicher mehr Vertrauen genießt als dieser SPD-Vorsitzende.

Die geldpolitischen Operationen der EZB erfolgen nicht „still und heimlich“. Solche Kredite an Geschäftsbanken stellen auch keine „Staatsfinanzierung“ dar. Sie werden gegen sorgfältig bewertete Sicherheiten im Interesse der Finanzmarktstabilität in vollständiger Transparenz gewährt! Oben (Punkt 4) wurde ja bereits Klärendes von Herrn Asmussen zur Frage der Zentralbankgeld-Kredite der EZB referiert.

Siebtens: Dankenswert klare Worte des Sozialdemokraten Jörg Asmussen zu den „Euro-Bonds, die im Kern gemeinsame Haftung für Schulden“ bedeuten. Eurobonds seien kein kurzfristiges Kriseninstrument. Erst „wenn eine echte Fiskalunion und strikte gemeinsame Haushaltskontrolle, Kontrolle der Ausgaben und der Einnahmen“, erreicht seien, dann und erst dann sei gemeinsame Haftung möglich.

Achtens: Die Einführung des Euro sei ein gutes Projekt für die europäische Zukunft, so habe ich Herrn Asmussen verstanden. Für die Wirtschaft Deutschlands und der Eurozone seien die mit außenwirtschaftlichen Krisen und Schocks verbundenen Wechselkursrisiken entschärft worden. Die heutige globale Wirtschaft sei mit der Situation Deutschlands in den 1980er Jahren nicht mehr vergleichbar. Wettbewerb und Interdependenz haben sich dramatisch intensiviert.

In den folgenden Themenkreisen fasst Herr Asmussen die Aufgaben der europäischen Integration zusammen. Die Lösung dieser Aufgaben werde die anfänglichen Konstruktionsmängel des Euro beheben: Fiskalunion, Finanzmarktunion, Wirtschaftsunion, mehr demokratische Legitimierung der Europäischen Union.

Solange es ökonomisch, finanz- und geldpolitisch so herausragend kompetente Sozialdemokraten in führender Stellung wie Herrn Jörg Asmussen oder Herrn Peer Steinbrück gibt, lassen sich die Populismen mancher Spitzenpersönlichkeiten der SPD noch ertragen.