Schule und der Krieg in Nahost.

Im TV forderten vor allem muslimische Jugendliche, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern im Schulunterricht zu behandeln.

1. Deutsche Verantwortung.

Dieser Forderung muss im heutigen Deutschland durch ein ausgewogenes Angebot an Information entsprochen werden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat solche Verpflichtung nach dem Mord an sechs Millionen Juden in der NSDAP-Hitler-Diktatur in den Satz gefasst: „Unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht“. *1)

2. Schule und muslimische Jugend.

„Im Schuljahr 2022/2023 werden .. rund 11,1 Millionen Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden (rs 8.7 Mio.) und beruflichen Schulen sowie an Schulen des Gesundheitswesens in Deutschland (rs 2.3 Mio.) unterrichtet.“ *2)

Die Zahl Jugendlicher muslimischen Glaubens an deutschen Schulen wird derzeit auf über eine Million geschätzt. *3) Insgesamt dürfte ihr Anteil daher mindestens 10 Prozent ausmachen — bei regionalen Unterschieden gehen Schätzungen in vielen Schulen bis zu 90 Prozent.

Die Schulen seien einer der wichtigsten Orte der Integration von jungen, muslimischen Menschen: *4)

  • „Sie müssen eindimensionale Wahrnehmungen aufbrechen und den Austausch unterstützen … (denn) mangelhafter sprachlich-sozialer Austausch mit anderen Milieus — etwa mit nicht muslimischen und deutschsprachigen — oder ein überwiegend nicht deutscher Medienkonsum (können) dazu führen, dass ´das Eigene` zunehmend in Abgrenzung zum ´Fremden` gerät und Gemeinsamkeiten eher ausgeblendet werden.“
  • “Das Eigene“ sei für muslimische Jugendliche gerade in Deutschland die Religion; als “identitätsstiftendes Moment“ besitze “der Glaube in der Fremde oft größere Bedeutung als im Herkunftsland.“

3. Unterricht zum Nahostkonflikt.

Wie könnte diese Sicht Spenlens zu den Aufgaben der Schule auf die Frage übertragen werden, wie ein abgewogenes Urteil über den Nahostkonflikt in der deutschen Schülerschaft erreichbar ist?

Mit dem Ziel, gerade auch den “muslimisch“ ganz unterschiedlich geprägten Schülern und Schülerinnen aufzuzeigen, dass die für sie oft “übermächtige Bedeutung“ (Spenlen) der islamischen Religion ein Verständnis des Konflikts zwischen Juden/Israel und den Palästinensern verhindern kann.

Weit über die Schule hinaus muss die Gesellschaft durch das Gespräch mit der muslimischen Jugend verhindern, dass diese ihre Herkunft, ihre kulturelle und religiöse Identität „als Ausgrenzung, als Ablehnung, als Makel, als Bildungserschwernis“ *5) empfindet.

Dieses Problem kann die muslimischen Kinder und Jugendlichen mit anderen Kindern und Jugendlichen aus armen Familien verbinden. Diese haben „auch oft keinen eigenen Arbeitsplatz, keinen Computer, keine Bücher“ und auch deren „Eltern verfügen nicht über die Bildungskarriere, mit der sie ihren Kindern helfen können.“ *5)

Für unsere Schulen, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft müssen die Mittel eingesetzt werden, um durch Bildung Urteilsfähigkeit und gewaltfreie Verhaltensweisen unserer Jugend zu erreichen.

Diese Daueraufgabe ist zwar noch nicht zufriedenstellend bewältigt. Dennoch kann der Wunsch von Schülerinnen und Schülern, im Unterricht den Nahostkonflikt zu behandeln, genutzt werden, um am Beispiel eines schwersten Konfliktes zivile Urteilsfähigkeit und gewaltfreie Verhaltensweisen durch Information, Diagnose und Debatte einzuüben.

Ein aktueller und ausgewogener Überblick über den israelisch-palästinensischen Konflikt mit vielfältigen Unterrichtsmaterialien findet sich bei der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Dessen Haupttext hat Dr. Muriel Asseburg verfasst, Nahostexpertin und Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. *6)

4. Nahostkonflikt: Grenzen der Meinungsfreiheit.

Eine besonders wichtige Aufgabe der Lehrerschaft ist, ihre Schülerinnen und Schüler über mögliche strafrechtliche Folgen zu informieren, wenn sie sich für die Parteien im israelisch-palästinensischen Konflikt engagieren.

Jugendliche können gegen den mörderischen Terror der palästinensischen Hamas protestieren, sie können auch die Politik des Staates Israel kritisieren oder sich für eine gerechte “Zwei-Staaten-Lösung“ einsetzen.

Verstößt jedoch eine Parole oder ein Handeln gegen Strafgesetze, zum Beispiel durch “Volksverhetzung“ (§ 130 StGB) oder durch „Billigung von Straftaten“ (§ 140 StGB), ist solches Verhalten nicht mehr durch die Meinungsfreiheit des Artikels 5 unseres Grundgesetzes geschützt.

Derart strafbare Handlungen sind massenhaft auf deutschen Straßen zu besichtigen. Sie werden nicht nur von Anhängern der Hamas und sonstiger Terrororganisationen, sondern auch von politisch rechten und linken Extremisten begangen und schänden das Ansehen Deutschlands.

5. Mahnungen des Bundesministers der Justiz.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat dazu im Deutschen Bundestag vor strafbarem Verhalten gewarnt und konkrete Beispiele benannt: *7)

  • „Wenn Flaggen des Staates Israel verbrannt werden, ist das strafbar.
  • Wer gegen Jüdinnen und Juden in Deutschland hetzt, macht sich der Volksverhetzung strafbar.
  • Und wer den Mord an Menschen in Israel bejubelt, macht sich der Billigung von Straftaten strafbar.
  • Wenn Propaganda für die Hamas gemacht wird, wenn für sie Geld gesammelt wird, dann ist das strafbar.“

Justizminister Buschmann erwarte „von allen beteiligten Behörden, dass sie Verdächtige identifizieren, Beweismittel sammeln und dass diese Taten dann auch zur Anklage gebracht werden.“ *7)

Weiterhin betonte Justizminister Buschmann: „Israel ist die einzige parlamentarische Demokratie im Nahen Osten. Israel ist unser Wertepartner. Wenn die Hamas den Staat Israel vernichten will, dann will sie einen jüdischen Staat vernichten, sie will aber auch eine parlamentarische Demokratie und damit die Werte, die Israel mit uns teilt, vernichten. Deshalb kann es nicht sein, dass die Hamas und Israel auf die gleiche Stufe gestellt werden. Das wäre eine perfide Verkehrung der Rollen von Täter und Opfer.“ *7)

6. Fazit

Hoffen wir, dass die Lehrerschaft die Jugendlichen in Deutschlands Schulen überzeugen kann, die eindringlichen Worte des Justizministers Buschmann zu beherzigen:

„Es kann nicht sein, dass auf den Straßen des Landes, von dem die Shoah ausging, der Tod von Jüdinnen und Juden gefeiert wird. Das kann nicht sein. … Jüdisches Leben gehört zu Deutschland. Wer das nicht ertragen kann, gehört dann eben nicht zu Deutschland.“ *7)

*1) Frank-Walter Steinmeier. „Unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht“. Reden zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau in Yad Vashem und Berlin; https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/200220-Unsere-deutsche-Verantwortung-vergeht-nicht.pdf?

*2) Statistisches Bundesamt. Zahl der Schülerinnen und Schüler 2022/2023 um 1,9 % gestiegen. Hoher Zuwachs bei den ausländischen Schülerinnen und Schülern. Pressemitteilung Nr. 105 vom 15. März 2023; https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_105_211.html

*3) ISLAMISCHER RELIGIONSUNTERRICHT. “Es besteht ein massiver Ausbaubedarf“. Angaben der Kultusministerien zufolge gibt es über 1.000.000 muslimische Schüler*innen in ganz Deutschland. Die Zahlen liegen nur für sieben Bundesländer vor, die Gesamtzahl dürfte also höher liegen. In NRW etwa sind 470.000 Schüler*innen muslimischen Glaubens, rund 19 Prozent aller Schüler*innen. 27.07.2023; https://mediendienst-integration.de/artikel/es-besteht-ein-massiver-ausbaubedarf.html

*4) Selbst kennenlernen, was junge MuslimInnen prägt. Im Gespräch mit Dr. Klaus Spenlen. Die Fragen stellte Anja Heifel. In: nds 9-2016 (GEW/NRW); https://www.nds-zeitschrift.de/nds-9-2016/selbst-kennenlernen-was-junge-musliminnen-praegt (Dr. Klaus Spenlen ist Lehrbeauftragter an der Universität Düsseldorf, Abteilung für Bildungsforschung und Bildungsmanagement am Institut für Sozialwissenschaften.)

*5) INTERVIEW. „Der Koran ist das verbindende Element“. Der Sozialwissenschaftler Klaus Spenlen über junge Muslime, ihre Vielfalt und die Schwierigkeiten mit dem deutschen Bildungssystem. Von Ekkehard Rüger. 17. März 2020; https://www.wz.de/kultur/interview-mit-klaus-spenlen-ueber-junge-muslime-der-koran-ist-das-verbindende-element_aid-49613901

*6) Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg. Dossier. Der Nahostkonflikt. Konfliktdimensionen, Friedensprozess und aktuelle Entwicklungen im israelisch-palästinensischen Konflikt; https://www.lpb-bw.de/nahostkonflikt

*7) Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 130. Sitzung. Berlin, Tagesordnungspunkt 1: Befragung der Bundesregierung. Mittwoch, den 18. Oktober 2023 16233; https://dserver.bundestag.de/btp/20/20130.pdf (S. 16220 und S. 16233)

Nachtrag 03.11.2023

Als SPD- und Verdi-Mitglied beeindruckte mich die öffentliche Forderung der GEW-NRW-Vorsitzenden, Frau Ayla Çelik, nach Anleitungen für die Lehrerschaft zum Nahost-Konflikt. Dies habe ich Frau Çelik am 31.10.2023 per E-Mail mitgeteilt:

Betr.: Unterrichtsmaterial zum Nahostkonflikt – TV-Interview Frau Ayla Çelik GEW/NRW-Vorsitzende

Sehr geehrte Frau Çelik,

soeben habe ich Ihr TV-Gespräch gesehen, in dem Sie Anleitungen für die Lehrerschaft zum Nahost-Konflikt fordern und überzeugend auf das Interesse und die Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler aufmerksam machen.

SchülerInnen muss, wie Sie zu Recht dargelegt haben, durch Behandlung des Nahostkonflikts im Unterricht Urteilsfähigkeit und Handlungskompetenz gegenüber diesem schwersten Konflikt in unserer Nachbarschaft vermittelt werden.

Auch mich als Blogger hat dieses Problem in einem Blogbeitrag vom 25. Oktober 2023 „Schule und der Krieg in Nahost“ (https://www.reinholdsohns.de/blog) beschäftigt.

Dabei habe ich auf ein sehr informatives und pädagogisch geeignetes Dossier „Der Nahostkonflikt“ von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hingewiesen:

https://www.lpb-bw.de/nahostkonflikt.

Aktuelle Meldungen, Konfliktursachen, Geschichte, Oslo-Friedensprozess, Zentrale Streitpunkte werden in dem Dossier ebenso behandelt wie auch vielfältiges Informations- und Unterrichtsmaterial angeboten.

Hauptautorin ist die in Fachkreisen als besonders sachkundig bekannte Frau Dr. Muriel Asseburg (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin).

Ich hoffe, dass dieser Hinweis bei Ihrer sehr wichtigen Forderung weiterhelfen kann.

Mit freundlichen Grüssen des Verdi-Mitglieds

Dr. Reinhold Sohns