Schwarz-Rot: Wie? Wozu?

SPD vor „Sondierungs-Gesprächen“ mit der Union. Sie muss Halt suchen im Mahlstrom der Gezeiten: Ebbe bei den Wählern, Flut bei den Wortmeldungen erregter Mitglieder.

Denn das Wahlergebnis räumt mit der leichtfertig gepflegten Illusion auf, in Deutschland sei die Mitte nach links gerückt, und diese „solidarische Mitte“ – d.h. die Fahne, in die sich die SPD-Linke hüllt – befürworte die eigentums- und sparerfeindliche linke Steuerpolitik.

Grob über den Daumen auf das Wahlresultat gepeilt, lässt sich wohl feststellen: Bürger, die rot-grüne Umverteilungs- und Steuerpolitik ablehnen, machen etwa 45 – 48 % der Wähler aus (Mehrheit von Union, FDP, AfD und von Teilen des Wählerpotentials der SPD). Wähler, die diese Umverteilungspolitik gewünscht haben mögen, stehen für ungefähr 35 – 39 % (Mehrheit – vielleicht – bei SPD, Grünen, Linken, Piraten, Sonstigen).*1)

Gehen wir von der derzeit vorherrschenden Meinung in den Medien und der engagierten Öffentlichkeit aus, dass eine große Koalition angestrebt werden sollte. Wie soll das gehen?

Von den eher linken Teilen der SPD-Basis wird begreifliche Empörung laut: Wir haben doch nicht gegen Schwarz-Gelb gekämpft, um jetzt Merkel zu Kreuze zu kriechen! Diese Meinung stützt sich auch auf respektable Stimmen wie Egon Bahr und Heide Simonis, die sich gegen die große Koalition aussprachen.

Dennoch darf widersprochen werden. Der Steuerzahler wird an den Kosten für Wahlkämpfe beteiligt, damit im Wettbewerb der Parteien gekämpft und nicht verhandelt wird. Die Wahl ist nun gewesen, jetzt ist Rückkehr zur Politik, zum Verhandeln, zum Kompromiss angesagt.

Umfragen *2) zur Akzeptanz einer großen Koalition geben derzeit folgendes Meinungsbild.

Von den deutsche Wahlberechtigten sprechen sich für die Koalition von Union und SPD aus: 58 % (ZP) bzw. 48 % (AD). Ähnliches gilt für die Gruppe der SPD-Wähler: 57 % (Forsa), 64 % (ZP), 56 % (AD). Von Anhängern der Union wollen 62 % die große Koalition.

Die Alternativen zur großen Koalition werden von den wahlberechtigten Bürgern deutlich abgelehnt.

Schwarz-Grün finden 43 % ´schlecht`, 32 % ´gut`. Rot-Rot-Grün beurteilen 67 % als ´schlecht`, 22 % als ´gut`. (ZP).

Auch bei der AD-Befragung wünschen nur 18 % der Wahlberechtigten Schwarz-Grün und 16 % Rot-Rot-Grün.

Eine Minderheitsregierung wird von 72 % der Befragten, also eindeutig, abgelehnt. Gleich ob sie von Union oder Rot-Grün gestellt würde (ZP).

Ergebnis: Die deutsche Bevölkerung und auch die SPD-Wähler bevorzugen also eine große Koalition gegenüber den beiden Koalitions-Alternativen, die sich nach der Wahl anbieten. Die beiden Varianten einer Minderheitsregierung werden von den Bürgern zurückgewiesen.

Das Problem, das sich angesichts dieses Meinungsbildes in der Bevölkerung für die SPD stellt, ist der krasse Gegensatz zwischen den Koalitionszielen ihrer Wähler und ihrer Mitglieder.

Forsa hat also 57 % Zustimmung für Schwarz-Rot bei SPD-Wählern ermittelt. Jedoch zugleich, dass 65 % der SPD-Mitglieder und 70 % der SPD-„Funktionäre“ eine Koalition mit der Union ablehnen *3).

Diese Momentaufnahme von Forsa bei SPD-Wählern, SPD-Mitgliedern und sozialdemokratischen Funktionären deutet auf eine Zerreißprobe für die Partei.

Sozialdemokraten, die der sozialliberalen politischen Mitte zuneigen, haben allen Anlass zur Sorge um ihre 150 Jahre alte SPD. Eiserne Nerven braucht jetzt der Parteivorstand für seine Organisations- und Koalitionspolitik.

Zunächst muss das Wählerpotential der SPD auf die Sondierungsgespräche vorbereitet und auf die Vorteile einer großen Koalition eingestimmt werden. Damit bei den kommenden Wahlen 2014 Wut-Reaktionen vermieden werden.

Solchen Nutzen zu vermitteln, setzt bei dem heterogenen Spektrum möglicher SPD-Wähler hohe „Urteils- und Tatkraft“ (Helmut Schmidt) der SPD-Führung voraus. Den Grad, in dem sich Wähler jeweils an die SPD gebunden fühlen, dürfte ein recht „holpriger“ Bereich von Anhängern oder „Milieus“ mit unterschiedlichen Erwartungen abbilden: „Funktionär – Amtsträger – aktiv wahlkämpfendes Mitglied – ´passives` Mitglied – Stammwähler – Wechselwähler – Sympathisanten des Umfelds befreundeter Organisationen der Zivilgesellschaft – sympathisierende Bürgerinnen und Bürger“. Ferner sind in diesem Anhänger-Spektrum unterschiedlich starke Multiplikator-Wirkungen zugunsten der SPD zu vermuten.

Ralf Stegner hat es auf den Punkt gebracht: Gerhard Schröders „Basta-Politik“ ist in dieser Lage undenkbar. Und zu meiner Freude zeigt Sigmar Gabriel mit dem eingeleiteten Verfahren, über Konvent, Mitgliederbefragung und Parteitag eine Koalitionsentscheidung zu legitimieren, hohe Führungsqualität.

Dies sollten wir Sozialdemokraten mit einem eindrucksvollen Vertrauensvotum für den Vorschlag der „Sondierungskommission“ von Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück, Hannelore Kraft, Olaf Scholz, Manuela Schwesig und Andrea Nahles würdigen.

Armin Schild, Bezirksleiter der IG-Metall in Frankfurt a.M. (Hessen!), spricht sicher für die Mehrheit der Sozialdemokraten, wenn er ein „imperatives Mandat der Basis gegenüber der Führung“ verwirft: „Sigmar Gabriel habe die Partei im Wahlkampf ´in einer sauschwierigen Phase` zusammengehalten, nun müsse man ihn führen lassen.“ *4)

Hier wächst angesehenen Sozialdemokraten mit politischem Augenmaß und sprachlichem Feingefühl eine wichtige Rolle zu, damit auch die SPD-Basis von diesem Aufruf Herrn Schilds überzeugt wird.

Dabei ist nun nicht an die öffentlichen Auftritte von Karl Lauterbach, MdB, und Carsten Schneider, MdB, gedacht. Herr Lauterbach begründet die große Koalition im TV mit „staatspolitischer Verantwortung“, da hört der etwas zynisch gewordene Bürger nur Gesundheitsministerium. Carsten Schneider ist schnörkelloser; er will direkt das Finanzministerium.

Hören wir besser auf Repräsentanten des Ranges von Professor Manfred Lahnstein, Finanzminister in der Regierung Helmut Schmidts!

Herr Lahnstein *5) rät aus historischer Erfahrung, mit welchen politischen Zielen die SPD in eine große Koalition eintreten sollte.

„Man kann schlecht bei den Wahlen hinten bleiben, um in den Koalitionsverhandlungen alle lieb gewordenen Positionen zu behaupten. Noch wichtiger aber ist: Aus der Opposition heraus lassen sich sozialdemokratische Positionen überhaupt nicht durchsetzen … Die Bundesrepublik Deutschland und Europa vertragen keine politische Lähmung.“

Lahnstein benennt als sozialdemokratische Beiträge zu einer Regierung der großen Koalition: Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und der Pflegeversicherung; eine deutlich modernisierte Infrastruktur; weitere Schritte zur Haushaltskonsolidierung; Abbau unvernünftiger Verwaltungsvorschriften; eine bessere Absicherung prekärer Arbeitsverhältnisse und der Kinderbetreuung“.

Und der angesehene Sozialliberale appelliert: „Deshalb muss sich die Sozialdemokratie ihrer Verantwortung stellen, so wie sie das in ihrer Historie immer wieder getan hat. Und wenn sie dabei auch noch den guten Teil des liberalen Erbes mit einbringen könnte – umso besser.“

Hoffen wir, die Befragung der SPD-Mitglieder zeigt, dass sich die Partei diesen Rat und dieses politische Augenmaß zu eigen gemacht hat.

*1) In diesem Blog wurde spätestens seit Ende November 2011 (Blog „Herr Trittin der Delphin“, 27.11.2011) immer wieder entschieden gegen die rot-grüne Umverteilungs- und Steuerpolitik Position bezogen. Dafür habe ich einige saftige Kommentare neben Zustimmung kassiert. Egal, hier gilt ja „take it or leave it“. Aber deshalb ist mir nicht – wie das jetzt zu Unrecht gegenüber Joschka Fischers Kritik geschieht – das bekannte „wer vom Rathaus kommt …“ vorzuhalten.

*2) Freitag 27.09.2013: ZDF-„Politbarometer“ (abgekürzt ZP; Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen); ARD-„Deutschlandtrend“ oder ARD-Morgenmagazin (abgekürzt AD; infratest-dimap); s. infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/nach-der-bundestagswahl-grosse-koalition-waere-den-deutschen-am-liebsten/; s. auch handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/ 27.09.2013, Deutsche für Große Koalition.

*3) stern.de, stern-Umfrage (Forsa), SPD-Wähler für Große Koalition, SPD-Mitglieder dagegen, 27. September 2013.

*4) Majid Sattar, SPD-Führung will mit Union sprechen, faz.net, 27.09.2013.

*5) Ex-SPD-Minister Lahnstein drängt seine Partei zur Großen Koalition, DTS-Meldung vom 25.09.2013, 17:54 Uhr.