Selbstgerechtigkeit.

Herr Georg Diez, Jahrgang 1969, sicher ein nicht ohne Grund bekannter Journalist, hat sich an den Staatsmann Helmut Schmidt herangemacht. *1)

Mit Formulierungen, bei denen man die Hand der Hausjuristen des SPIEGEL erkennt, hat Diez Helmut Schmidt (geboren am 23.12.1918) in die „Tätergeneration“ und zu den „Nazis“ gestellt. Außerdem hat Diez die Aussagen Helmut Schmidts über die Nazizeit als „die Lügen einer Generation“ bezeichnet. Diese Wertungen selbstgerecht zu nennen, scheint mir ein äußerst zurückhaltendes Urteil.

Nun wissen wir seit einem halben Jahrhundert, dass selbstgerechtes Urteilen der Kinder, Enkel und Urenkel der „Tätergeneration“ über diese Menschen wahrscheinlich eher zu- als abnimmt. Maßstab ist bei dieser Beobachtung ein bedenkenswertes Wort des promovierten Historikers Helmut Kohl. Der ehemalige Bundeskanzler Kohl sprach von „der Gnade der späten Geburt“. Solche Sichtweise auf die Lebensumstände von Generationen, die uns vorausgingen, könnte heute vor selbstgerechtem, denkfaul pauschalem Verteilen von Etiketten wie „Tätergeneration“ oder „Nazis“ bewahren.

Ich habe freiwillig ab 1962 zwei Jahre in der Bundeswehr gedient. Dort habe ich eine Reihe von Offizieren kennen und schätzen gelernt, die im Weltkrieg als Soldaten kämpfen mussten. Aus diesen Gesprächen und späteren Quellen habe ich den folgenden Schluss ziehen können: Das von Diez gegen Helmut Schmidt angeführte Zitat aus einer militärischen Beurteilung durch einen Vorgesetzten, Schmidt stehe fest „auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung“ war eine eher bedeutungslose Floskel. Die gehörte damals, 1942, wohl zu jeder Beurteilung, die Pflichterfüllung als Soldat mit Führungsaufgabe anerkannte. Darin einen Beweis zu sehen, — „wenn das einen nicht zum Nazi macht“ (Diez) — dass Helmut Schmidt Nazi gewesen sei, erscheint ziemlich böswillig.

Zur Selbstgerechtigkeit von Herrn Diez gehört, dass er sich nicht die Mühe machte, zu der von ihm aus meiner Sicht völlig falsch interpretierten Beurteilungs-Floskel einen sachkundigen Historiker zu befragen.

Die Selbstgerechtigkeit des Herrn Diez in seinem Urteil über Helmut Schmidt kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass er von Helmut Schmidt „Reue“ erwartet. Erstaunlich für mich ist daran, dass ein Journalist wie Diez (Jahrgang 1969!) gegen den Staatsmann Helmut Schmidt eine Forderung verwendet, die wir von Erziehern gegen Kinder, von gestrauchelten FrömmlerInnen oder von Staatsanwälten gegen Kriminelle kennen.

Vielleicht ist Herr Diez nicht willens oder fähig, die Bilanz der Lebensleistung des Staatsmannes Helmut Schmidt zu erfassen.

*1) SPIEGELONLINE. 08. Mai 2015, 17:18 Uhr. Kriegsende 8. Mai 1945. Es waren die Deutschen, nicht die Nazis. Eine Kolumne von Georg Diez. (Selbstverständlich ist mein heutiger Beitrag kein Plädoyer, Aussagen von Helmut Schmidt wegen seiner Verdienste nicht kritisch zu analysieren oder zu kommentieren. RS).