Selbstverständlichkeit.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sicherte mit dem Wort „Selbstverständlichkeit“ die Würde des Abschieds für den aus politischen Gründen zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff.

Alle Achtung jenen Persönlichkeiten, die sich gegen den Strom der Heuchelei und Hetze stellten:

Götz Aly, Historiker: „Von Christian Wulff wird mit Recht erwartet, er müsse selbst den bösen Schein von Vorteilsnahme und materieller Beeinflussbarkeit vermeiden. Journalisten sind keine Bundespräsidenten, gewiss. Aber sie haben täglich objektiv und unabhängig zu berichten. Derzeit verlangen viele von ihnen „vollständige Transparenz“ von Wulff, während sich zehntausende Medienleute in aller Stille ihrer Rabatte und kleinen Vorteile erfreuen. Diese Rabatte werden niemals uneigennützig gegeben; der einzelne Journalist verdankt sie nicht eigenem Verdienst, sondern der generellen Machtposition, die Medien in der Öffentlichkeit zukommt. Der Fall Wulff ist eine schöne Gelegenheit, vor der eigenen Türe zu kehren.“ (fr-online.de/; 17.01.2012).

Udo Di Fabio, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht: „Man sollte unterscheiden zwischen dem Verhalten vor der Wahl zum Bundespräsidenten und dem danach. Die Zeit davor ist zwar nicht sakrosankt. Allerdings sollte man bei der Erforschung der Vergangenheit Respekt vor dem Amt zeigen – was gewiss keinen Freibrief bedeutet, aber auch keine akribische Untersuchungsmentalität nahelegt. Im Amt kommt es dann darauf an, ob sich der Präsident so verhält, wie man es von einem Staatsoberhaupt erwarten darf. Wer in einer Demokratie von den Bürgern abgeleitete Würde des Amtes für sich in Anspruch nimmt, darf kritisiert werden. Wenn er aber fast nur durch Worte und Symbole das Gemeinwesen repräsentiert, sollte er nicht mit derselben Elle gemessen werden, wie Kanzler und Minister, die über politische Macht verfügen.“ (Tagesspiegel, 06.01.2012, Interview).

Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland: Bundespräsident Wulff habe „zur kulturellen Vielfalt der Bundesrepublik Deutschland mehr beigetragen als viele Politiker vor ihm … Ich denke, es ist wichtig, dass ich ihm im Namen der türkischen Gemeinde und im Namen aller Türken in Deutschland noch einmal für seine Arbeit danke.“ (spiegel.de/politik/; 08.03.2012).

Roland Nelles, Journalist: „Es ergießt sich ein Kübel Häme, Neid, Hass über Christian Wulff … Es reicht! Die Art und Weise, wie nun mit Wulff umgegangen wird, ist stillos, ja unmenschlich … Die Debatte hat Maß und Mitte verloren. Andrea Nahles ist hier einmal zu loben, sie hat schon sehr früh die Kritik am Ehrensold für Wulff als „kleinlich“ kritisiert. Vielleicht hat es etwas mit ihrer Verwurzelung im katholischen Glauben zu tun, dass sie nun menschliches Unbehagen empfindet, angesichts des ganz und gar gnadenlosen Umgangs mit dem früh Gestrauchelten.“ (spiegel.de/politik/; 05.03.2012).

Andrea Nahles, Generalsekretärin der SPD, zeigte Haltung gegen das durchaus „kleinliche“ Format, das einige Sozialdemokraten, leider auch Herr Steinmeier und Frau Kraft, mit ihrem „Rat“ und Mediengerede bezüglich Zapfenstreich, Ehrensold oder Bürokosten vorführten. Auf solche Ermutigung hatte der Berliner Pöbel nur gewartet, der gegen den angemessenen Abschied für Christian Wulff tobte.

Jedoch ist die Positionierung von Frau Nahles gegen „Kleinlichkeit“ von weit größerer Tragweite. Es bestürzt, dass Steinmeier und Kraft sich derart verweigern gegenüber dem staatspolitischen Gebot für „Respekt vor dem höchsten Amt, das unser demokratischer Staat zu vergeben hat“ (Begründung zur Teilnahme der Bundeskanzlerin am Großen Zapfenstreich).

Gemeint ist nicht die Abwesenheit Steinmeiers und Krafts beim gestrigen Abschied. Gemeint ist das kleine Gerede über Kosten und Rechte des Bundespräsidenten, das von Führungspersonal der SPD zu hören ist.

Von führenden Persönlichkeiten einer SPD, deren Reichspräsident Friedrich Ebert in der Weimarer Republik von sog. „Bürgerlichen“ zu Tode gehetzt wurde. Einer SPD, deren Beste unser Grundgesetz entscheidend prägten: Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer, Carlo Schmid, Walter Menzel, Elisabeth Selbert werden immer wieder ehrend genannt *). Menschen, die ihre bitteren historischen Erfahrungen einbrachten, um auch das Amt des Staatsoberhauptes für die Bundesrepublik Deutschland in weiser Form verfassungsrechtlich zu definieren.

Nichts gegen die berechtigte Kritik an Bundespräsident Wulff. In der Folge ist er zurück getreten. Doch im Nachtreten liefern der Oppositionsführer der SPD, Steinmeier, wie die stellvertretende Vorsitzende der SPD, Kraft, Beckmesserei im Kleinformat.

*) vgl. Gisela Notz, Christl Wickert; Die geglückte Verfassung; Hrsg.: SPD-Bundestagsfraktion, Mai 2009, S. 09, 20.