Siemens. Sauber bleiben …

begann die Überschrift eines Artikels, mit dem DIE ZEIT über die Schwierigkeiten des international aufgestellten Konzerns berichtete, ehrliche Geschäfte mit Kraftwerken zu machen. *1)

“Nein zur Korruption, klingt leicht“, für diesen Satz der ZEIT über die Nöte eines Siemens-Mitarbeiters im Irak kann mit Verständnis gerechnet werden. Solche Erfahrungen zu einem der ältesten Probleme der Welt teilen sicher nicht nur viele Manager, die international tätig sind.

Auch der weit gereiste Theologe Helmut Thielicke wurde vor über einem halben Jahrhundert in der Evangelischen Akademie in São Paulo, dem Finanzzentrum Brasiliens, mit der Frage konfrontiert: „Bis zu welcher Höhe ist Bestechung ethisch zulässig?“ *2)

Wer das außergewöhnliche Ansehen des Ethikers und Predigers Thielicke in Hamburg erleben konnte, den wundert nicht, dass Thielicke der Antwort auf diese Frage nicht auswich. Dennoch war der Theologe überrascht, dass nicht die Frage des “Ob“ gestellt, sondern nur nach dem erlaubten Ausmaß der Korruption gefragt wurde.

Thielecke formulierte zunächst den folgenden Grundsatz: „Wenn Bestechung zur allgemeinen Lebensordnung gehört, verliert sie ihren Ausnahme- und Heimlichkeitscharakter und kann so eine gewisse Legitimität gewinnen. Fragwürdig werden dann nur ihre Exzesse. Deshalb muss man den Usus selbst begrenzen und die Toleranz nur innerhalb dieser Grenzen gelten lassen.“ Und mit großem Beifall wurde Thielickes Antwort empfangen: “Zehn Prozent!“ *2)

„Ohne zehn Prozent für die Mächtigen geht hier nichts“, beschreibt der Siemens-Manager die “allgemeine Lebensordnung“ (Thielicke) im heutigen Irak, *1) Wer wollte hier mit moralischem Urteil auftreten?

Anders sieht jedoch die “allgemeine Lebensordnung“ in Deutschland aus. Hier ist der “Siemens-Korruptionsprozess“ von 2008 nicht vergessen. *3)

Vor Gericht ging es um Schmiergeldzahlungen und schwarze Kassen in der Mobilfunksparte des Konzerns. Vorwürfe trafen auch den heutigen Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Joe Kaeser, der in jener Zeit als amtierender Finanzvorstand drei Jahre lang für die Finanzen der Mobilfunksparte verantwortlich gewesen ist. *3)

Kaeser begab sich als Zeuge im Siemens-Prozess auf den “moral highground“. „In seinem persönlichen Wertesystem sei für Korruption kein Platz“, habe Kaeser betont: „Ich hätte solche Kassen niemals geduldet, wenn ich von ihnen gewusst hätte“. Dazu kommentierte die Presse: “Mein Name ist Kaeser, ich weiß von nichts“. *3)

Achtung vor dem “persönlichen Wertesystem“ des Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Joe Kaeser, und ganz grundsätzlicher Respekt vor dem “moral highground“ sollte das Urteil über die Verantwortung dieses bedeutenden Unternehmensführers prägen.

Gerade im aktuellen Konfliktfall zwischen Siemens und der Fridays-for-Future-Bewegung, die am gestrigen Freitag vor Siemens-Standorten in Deutschland protestierte. Der Protest richtete sich gegen die Lieferung einer Signalanlage (Wert 20 Mio. €) für eine Eisenbahnstrecke, die zu einem riesigen Kohlebergwerks-Projekt in Australien führt. Dieses Bergwerk wird allerdings nicht von Siemens, sondern von einem indischen Konzern geplant.

Angesichts der täglich im TV zu besichtigenden verstörenden Waldbrände in Australien wird vor allem durch den Grünen-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter und die Umweltaktivisten der “moral highground“ genutzt. Um Siemens moralisch für eine Lieferverpflichtung anzuklagen, die zwar wenig mit den aktuellen Waldbränden zu tun hat, aber viel mit der politischen Kohle-Kontroverse, die von den Grünen und der Fridays-for-Future-Bewegung betrieben wird.

Mit dem Vorgehen gegen Siemens ist den Umweltaktivisten zwar weniger ein moralisches, wohl aber ein taktisch-politisches Meisterstück gelungen. Zumal die Argumentation von Fridays-for-Future schlüssig klingt: “Siemens rühmt sich damit, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen und unterstützt gleichzeitig den Bau einer Kohlemine, deren Betrieb die Einhaltung der Klimaziele quasi unmöglich macht. Die Mine wäre nach Fertigstellung eine der größten der Welt und würde jährlich zusätzlich 705 Millionen Tonnen CO2 ausstoßen“. *4)

Damit haben die jungen Umweltaktivisten einen der bedeutendsten Unternehmensführer unseres Landes vor die Alternative gestellt, entweder vor der globalen Wirtschaft vertragsbrüchig oder von der moralisch aufgebrachten deutschen Schülerschaft als “Umweltsau“ betitelt zu werden.

Gegen den Vorstandsvorsitzenden von Siemens fehlt auch nicht die beifällige öffentliche Häme: „Joe Kaeser, der sonst so gerne den Moralapostel der deutschen Wirtschaft gibt, steht damit vor einer kniffligen Entscheidung“. *5)

Den unvoreingenommenen Bürger wird die Bereitschaft des Siemens-Vorstandsvorsitzenden Kaeser beeindruckt haben, mit Luisa Neubauer (23 Jahre), der führenden Aktivistin für Klimaschutz aus der Fridays-for-Future-Bewegung, das Gespräch zu führen.

Kaeser hat in dem Gespräch eingeräumt, „Siemens müsse früher erkennen, wenn sich der Konzern an kritischen Projekten beteilige .. Ich möchte, dass die Jugend sich aktiv beteiligen kann. Er unterstütze Fridays for Future“. *6) Diese Einstellung Kaesers ist noch vorbehaltlos anzuerkennen.

Dann jedoch muss Kaeser geglaubt haben, ihm sei eine große, die Öffentlichkeit überzeugende Geste gelungen: „Er habe Neubauer in einem Aufsichtsgremium in der neuen Gesellschaft Siemens Energy einen Sitz angeboten“. *6)

Dies ist allerdings eine Selbsttäuschung, die nur erklärbar ist mit Abgehobenheit, engem Blickwinkel, politischer Unkenntnis und völliger Fehleinschätzung von Menschen wie Luisa Neubauer, die nicht gebeugt von der Siemens-Hierarchie oder auf politisch-geschäftliche Vorteile bedacht sind.

Kaeser dachte sich auch nichts dabei, der Presse mitzuteilen, „Neubauer habe darauf ´überrascht` reagiert“. *6) Noch immer schien ihm kein Licht aufgegangen, warum Luisa Neubauer wohl von dieser Borniertheit Kaesers überrascht war. Dessen notorisch bemühtes “persönliches Wertesystem“ *3) gibt wohl nichts anderes her, als Posten anzubieten (oder zu entziehen), um Probleme zu lösen.

So gebührt Luisa Neubauer die Hochachtung der deutschen Öffentlichkeit, weil sie ein derartig durchsichtiges Angebot zurückgewiesen hat.

Und zu Kaeser fällt nur noch ein, DIE ZEIT *1) zu zitieren: Siemens. Sauber bleiben …

*1) Siemens. Sauber bleiben im Irak. Siemens versucht ehrliche Geschäfte mit Kraftwerken zu machen. Kann das gut gehen? Von Lea Frehse. 11. Dezember 2019; www.zeit.de/2019/52/siemens-kraftwerke-irak-moral/komplettansicht.

*2) Helmut Thielicke. Zu Gast auf einem schönen Stern. Erinnerungen. Hamburg 1984. S. 389 f.

*3) 16.06.2008. Siemens-Prozess. Kaeser will nichts gewusst haben. Von Nils-Viktor Sorge, München; https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a-559966.html

*4) MITTWOCH, 08. JANUAR 2020. Kohleminenbau in Australien. Fridays for Future nimmt Siemens ins Visier; https://www.n-tv.de/politik/Fridays-for-Future-nimmt-Siemens-ins-Visier-article21497017.html

*5) KOHLEMINE IN AUSTRALIEN. Kaesers Klimafalle. EIN KOMMENTAR VON SVEN ASTHEIMER. AKTUALISIERT AM 10.01.2020; faz.net

*6) WIRTSCHAFT. SITZ IM AUFSICHTSGREMIUM. Luisa Neubauer lehnt Kaesers Angebot ab. Stand: 10.01.2020; https://www.welt.de/wirtschaft/article204901764/Siemens-Aufsichtsgremium-Luisa-Neubauer-lehnt-ab.html