Sorge eines Sozialliberalen.

Herr Gerhart Baum sieht die „FDP in Lebensgefahr“. Der angesehene Liberale hat Recht.

Dies ist allerdings nicht Lebensgefahr durch Unfall oder Schock, sondern durch schleichende Erosion politischer Führungskompetenz.

  1. Versagen in der langjährigen Oppositionszeit im Bundestag: Bequeme Slogan-Politik statt harter Sacharbeit bei thematischer Verengung auf das Steuerthema. Und selbst bei diesem Thema Marginalisierung der eigenen Fachleute für Finanz- und Steuerreform durch Fixierung auf den Slogan „mehr Netto vom Brutto“.
  2. Inkompetenz in der Regierung durch ignorantes Vernachlässigen der sozialen Risiken gerade Selbständiger. Frivole und alberne Slogans erneut: „spätrömische Dekadenz“.
  3. Politisches Dauertheater und Beschädigung der schwarz-gelben Regierung zu einer „Koalition des Unernstes“ (Angela Merkel 2010): Marke Westerwelle bis Rösler.
  4. Verantwortungsloses Spielen mit Euroskeptizismus: Der Erfolg der niederländischen nationalliberalen VVD verblendet offenbar. Bei der Berlin-Wahl kam die Quittung. Dazu die unsinnige Aktion der Frank Schäffler-Truppe, einen Mitgliederentscheid ausgerechnet auf dem finanz- und währungspolitischen Spezialgebiet der Politik zur Stabilisierung der Eurozone herbeizuführen. Das ist auch noch geschichtsvergessen, weil bekanntlich die Regierung Kohl-Genscher-Kinkel den Euro ohne Referendum eingeführt hat – aus guten Gründen.
  5. Durchgedrehte Reaktion des FDP-Vorsitzenden Philip Rösler, der schon vor Ablauf der Mitgliederbefragung konstatiert, das „Quorum“ werde verfehlt. Und damit mangelnde Rechtskenntnis enthüllt und obendrein das einzig halbwegs Positive an der Schäffler-Initiative ruiniert, nämlich die Basis- und Bürgernähe des Instruments der Mitgliederbefragung.
  6. Zu guter Letzt tritt der FDP-Generalsekretär Christian Lindner zurück und disqualifiziert sich für politische Führungsaufgaben mit der für einen 32-Jährigen erstaunlichen Begründung, er wolle neue „Dynamik“ ermöglichen.

Ich bin deshalb in Sorge um die FDP, weil wir in Deutschland den politischen Liberalismus brauchen. Und zwar den, der von einem Staatsmann wie Hans-Dietrich Genscher verkörpert wurde.

Das wachsende politische Gewicht Herrn Trittins bei den Grünen und das der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei der SPD sehen sozialliberale Bürger mit Unmut.

Denn dies deutet auf Abkehr vom erfolgreichen politischen Leitbild Gerhard Schröders: „Modernisierung, Innovation und Gerechtigkeit“. Man erinnere die zahlreichen Enthusiasmen auf den Parteitagen der Grünen und der SPD für den Weg in einen Steuer- und Verteilungsstaat. Nur wenige wagten, dagegen die Stimme zu erheben: Laut und deutlich Ministerpräsident Kretschmann und Peer Steinbrück.

Die langjährig Profilierten und Impulsgeber des Liberalismus – Hans-Dietrich Genscher, Gerhart Baum, Rainer Brüderle, Hermann Otto Solms nur seien genannt – sollten jetzt intervenieren. Sie sollten Herrn Dr. med. Philipp Rösler helfen, „seine Personalentscheidungen“ als Mediziner von Grund auf zu durchdenken: Anamnese, Ätiologie, Diagnose, Differentialdiagnose, Prognose,Therapie! Denn die FDP ist in Lebensgefahr.