SPD: durch Polarisierung zur Größe?

Am 4. März 2018 haben zwei Drittel (66.02 %) der SPD-Mitglieder für den Eintritt der SPD in die Große Koalition (GroKo) und für den Koalitionsvertrag 2018 gestimmt. Warum?

Weil sie der Empfehlung des 37-köpfigen SPD-Verhandlungsteams für die erreichten Verhandlungsergebnisse vertraut haben: Konkrete Politik, um den „Zusammenhalt zu stärken, unser Land gerechter und moderner zu machen und ein freies, soziales und demokratisches Europa zu schaffen.“ *1)

Und weil sie auf politische Stabilität und einvernehmliches Handeln vertraut haben — nicht nur in der Regierung, sondern auch in der parlamentarischen Arbeit der beiden Fraktionen CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag. *2)

Dazu hatte das SPD-Verhandlungsteam als selbstverständliche Grundlage des Koalitionsvertrags 2018 und damit des politischen Handelns der GroKo versichert: „Kompromisse gehören zu jeder Koalitionsverhandlung. Sie gehören zur Demokratie.“ *1) Und ohne Kompromissbereitschaft kann erst recht nicht in einer Koalition regiert werden.

Jetzt lesen wir dazu von der SPD-Chefin und SPD-Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles: „Viele in der SPD sind es leid, in der Koalition stets auf die Union Rücksicht nehmen zu müssen und haben ´keine Lust mehr auf Kompromisse`“.*3)

Ob „viele in der SPD ´keine Lust mehr auf Kompromisse` haben“, dürfte den Menschen unseres Landes egal sein. Denn sie werden eine Partei mit solch` offenkundiger Regierungsunfähigkeit, die noch dazu von der Parteichefin in die Öffentlichkeit getragen wird, einfach nicht mehr wählen.

Die SPD- und Fraktionschefin Nahles sollte doch einmal die bekannten Anti-GroKo-Quertreiber der SPD-Linken an den schriftlich mit Zwei-Drittel-Mehrheit ausgedrückten Willen der SPD-Mitglieder erinnern! Frau Nahles sollte endlich ihre Führungsverantwortung für eine stabile GroKo-Regierung wahrnehmen.

Die SPD-Regierungsmitglieder bearbeiten sachbezogen die Vorhaben des Koalitionsvertrags, was sicher zu Ergebnissen führen wird, die für die Menschen wichtig sind: Verbraucherschutz stärken durch neue Klageart für Verbände (Katarina Barley), das Gute-Kita-Gesetz (Franziska Giffey), das Familienentlastungsgesetz bei kleinen und mittleren Einkommen (Olaf Scholz), Beschäftigungsfähigkeit und Rentensystem stärken (Hubertus Heil) und ein Klimaschutz-Gesetz (Svenja Schulze) sind nur als erste Beispiele zu nennen.

Was das viel kritisierte Erscheinungsbild dieser GroKo-Regierung angeht, sollten wir Sozialdemokraten auch einmal vor der eigenen Haustür kehren!

Da können wir gleich auf das Führungsdefizit der SPD-Chefin Nahles zum Thema „keine Lust auf Kompromisse“ zurückkommen.

  • Nicht endende Hetze noch heute über die Agenda 2010 und die Rente mit 67. Damit hatten SPD-Kanzler Gerhard Schröder und SPD-Arbeitsminister Wolfgang Clement ab 2003 nach Urteil des Sachverständigenrats für gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht nur zum drastischen Abbau der Arbeitslosigkeit, sondern auch zur Stabilisierung des Sozialstaats erheblich beigetragen. Zu diesen noch heute maßgebenden Reformen der Schröder-Ära sagt Nahles: „Da schäme ich mich heute noch dafür. Sie haben damals die Sozialstaatsidee der SPD ruiniert.“ *4) Unfassbar!
  • In die übereinstimmende Sichtweise der GroKo für ein „außen- und sicherheitspolitisch engagiertes Deutschland“ (Außenminister Maas) platzte in der Bundestagsdebatte zum Haushalt 2018 am 16. Mai 2018 ein aggressiv von SPD-Fraktionschefin Nahles geführter Angriff gegen den Verteidigungsetat und die Person der Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU). Frau von der Leyen reagierte mit „Unfassbar!“ sowie überlegener Ironie auf die Ausfälle von Nahles. *5)
  • Innenminister Seehofer stellte im Bundestag zu seiner rechtlichen Verpflichtung des Grenzschutzes vor illegaler Einwanderung fest: direkte Zurückweisung von Menschen mit Einreisesperren — das habe ich letzte Woche angeordnet; (dazu) … Einrichtung von Transitzentren, aus denen Asylbewerber in kürzester Zeit direkt in die zuständigen Länder zurückgewiesen werden. Und dies begleitet von Geschrei im Bundestag: „Zuruf von der LINKEN: Buh! — Andrea Nahles [SPD]: Das wollen wir nicht! Jetzt reicht’s mir aber!“ *6)

Frau Nahles sucht die Wählerflucht vor der SPD nicht in der Flüchtlingspolitik der GroKo 2013 – 2017. Auch nicht bei der SPD-Linken, die ständig eine Rot-Rot-Koalition mit Vermögensteuer und allen denkbaren Instrumenten der Umverteilung propagiert.

Vielmehr platziert die SPD- und Fraktionschefin die Schuld für den Niedergang der SPD bei Kanzlerin Merkel: „Sie steht für die Entpolarisierung der beiden Volksparteien. Und das hat beiden Volksparteien nicht gut getan.“ *4)

So absurd es erscheint, der CDU-Chefin ihre politische Strategie als Ursache für die Wahlverluste der SPD vorzuwerfen, so wird das Verhalten von Nahles doch erklärbar.

Die SPD-Chefin und mit ihr Linke wie Juso-Chef Kevin Kühnert (Anführer der No-GroKo-Bewegung) glauben offenbar, durch gezielten Krawall (Nahles bei Auftritten bekanntlich: Fresse; Kacke; Bätschi, das wird teuer!) und Polarisierung Aufmerksamkeit bei den Menschen zu wecken und damit den Wiederaufstieg zu schaffen. Kühnert: „Wir wollen mehr Polarisierung und Zuspitzung.“ (Handelsblatt, 27.11.2017). „In einer Gesellschaft der permanenten Aufmerksamkeitsspirale und Effekthascherei muss die SPD … lauter werden„. (Deutschlandfunk Kultur, 21.07.2018).

Für die Nahles/Kühnert-Polarisierungsstrategie sprechen scheinbar Erkenntnisse aus der Forschung über Werbewirkung: Danach lässt sich höhere Aufmerksamkeit von Zielgruppen durch provokative Werbekampagnen erzielen. Dies mögen Nahles und Kühnert zumindest für sich selbst erreicht haben. Das öffentliche Echo ihrer krawalligen Polarisierungsauftritte in der GroKo war jedenfalls beträchtlich.

Aber, und das ist die Fehlwahrnehmung von Nahles und Juso-Chef Kühnert: Ihre Polarisierungsstrategie bringt zwar Aufmerksamkeit, aber keine positiven Sympathie-Effekte — weder für diese Beiden, noch für die SPD.

  • Über Kevin Kühnert sagt ein Satiriker: „Wer Parteifreunde wie Kevin Kühnert hat, braucht keine Wähler mehr: Die Zukunft der Partei soll ein kindischer Netztroll sein, der seinen Mob auf Abweichler hetzt.“ *7)
  • Und die ehemalige SPD-Bundesministerin für Justiz, Brigitte Zypries, einflussreiches Mitglied einer langjährigen Seilschaft — Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel — scheut sich nicht, über BILD zu verbreiten: „Mein Umfeld findet Andrea Nahles unsympathisch.“ *8)

Die Unternehmensberatung McKinsey, der Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA und die Werbeagentur BBDO haben kürzlich eine Studie veröffentlicht mit folgender Empfehlung: „Der Marktschreier hat ausgedient. Erfolgreiche Werber setzen immer öfter auf die subtile Kraft kreativer Geschichten. Insbesondere etablierte, bereits bekannte Marken sollten einen behutsam austarierten, an der Substanz der Marke orientierten Ton anschlagen„. Die Studie bringt es auf den Punkt: „Die wahren Werbetreiber: Kreativität schlägt Krawall“! *9)

Diese Erkenntnisse der Forschung über Werbeeffekte sollten der SPD-Chefin Nahles schleunigst nahe gebracht werden. Denn wir Sozialdemokraten meinen, dass die über 150-jährige SPD noch eine “bekannte Marke“ darstellt. Nahles sollte auch nicht glauben, ihr Polarisierungskurs sei „alternativlos“!

Gegen einen Polarisierungskurs in der GroKo-Regierung sprechen ohnehin die weiter abgestürzten SPD-Umfragewerte, die bereits unter 15 % notiert werden.

Sozialdemokratische Politikbeobachter mögen hoffen, dass die Nahles-Polarisierungsstrategie am 5.11.2018 im Parteivorstand zu ernsten Einwänden geführt hat.

War es Beleg für solche Hoffnung, dass an diesem Tag die SPD-Ministerpräsidenten Manuela Schwesig und Stephan Weil vor die Kameras traten und maßvollen Ton vorgaben? Beide führen bekanntlich eine GroKo der Variante SPD (Regierungschef) mit der CDU. Und beide werden weder Interesse an dem ständigen No-GroKo-Geschrei der SPD-Linken, noch an einer Polarisierungskampagne von Nahles gegen ihre CDU-Koalitionspartner haben.

Von Frau Nahles hörten wir danach, der Parteivorstand habe sie „beauftragt“, mit der CDU/CSU über die anstehenden GroKo-Projekte zu reden.

Wird die SPD-Chefin, nun als „Auftragnehmerin“ der GroKo-Ministerpräsidenten, maßvoller im Umgang mit den Koalitionspartnern in der GroKo-Bundesregierung? Wird Nahles den SPD-Regierungsmitgliedern mehr Gelegenheit zur klugen Vermittlung ihrer Politikresultate geben, statt diese mit Krawall zu überdecken?

In der Bundestagssitzung zur Rentendebatte hörten wir immerhin von der SPD- und Fraktionsvorsitzenden Nahles: „Die Regierung hat geliefert.“ Da registrierte der Journalist Erhard Scherfer eine „freundliche Atmosphäre“ im Deutschen Bundestag.

Können wir auf eine SPD-Führung zählen, die weniger auf Lautstärke und Polarisierung setzt? Sondern auf die Erkenntnis der Werbeforscher: „Die wahren Werbetreiber: Kreativität schlägt Krawall“?

*1) Vorwort des SPD-Verhandlungsteams zum Koalitionsvertrag 2018.

*2) Koalitionsvertrag. XIV. Arbeitsweise der Regierung und Fraktionen.

*3) Süddeutsche.de. Politik. „Die Lage ist sehr ernst“; https://www.sueddeutsche.de/politik/andrea-nahles-die-lage-ist-sehr-ernst-1.4195579?reduced=true.

*4) Worin äußert sich in einer vielfältigen Gesellschaft der Zusammenhalt? Interview mit Andrea Nahles in der Süddeutschen Zeitung. 03.11.2018; https://www.spdfraktion.de/presse/interviews/worin-aeussert-vielfaeltigen-gesellschaft-zusammenhalt. (Hervorhebung RS).

*5) Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16 . Mai 2018; http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/19/19032.pdf. (Plenarprotokoll). S. 2988 (Rede Andrea Nahles)

*6) Horst Seehofer, Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat; Deutscher Bundestag – 19 . Wahlperiode – 46 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 5 . Juli 2018. S. 4806; https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19046.pdf. S. 2988. (Zwischenrufe LINKE und Nahles).

*7) BUSCHKOWSKY UND SARRAZIN. Die tödliche Kevin-Dosis für die SPD. Von Don Alphonso. 31.08.2018; welt.de.

*8) EX-SPD-MINISTERIN BRIGITTE ZYPRIES IM BILD-TALK. „Mein Umfeld findet Andrea Nahles unsympathisch“. 22.10.2018; https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/.

*9) STUDIEN. Kreativität schlägt Krawall. Neue Studie zur Werbewirkung von McKinsey, GWA und BBDO. 07.11.2018;

https://www.gwa.de/Presse/Pressemeldungen kreativitaet_schlaegt_krawall_neue_studie_zur_werbewirkung_von_mckinsey_gwa_und_bbdo_2018_11_07. (Hervorhebung RS).