SPD-Führung führt.

Parteivorsitzende haben die Aufgabe zu führen. Dafür sind sie gewählt. Nach Pressemeldungen scheint der politische Kurs für die Bundestagswahl im Herbst 2021 festgezurrt: *1)

  • Parteichefs von SPD und Linke wollen Rot-Rot-Grün im Bundestag.
  • SPD-Parteispitze will Mützenich als Kanzlerkandidat.

Der SPD-Linke Mützenich, der als Fraktionschef die nukleare Teilhabe Deutschlands in der NATO-Allianz und damit den verteidigungspolitischen Grundkonsens aufkündigen will, mag zu dem Rot-Rot-Grün-Koalitionsprojekt der beiden SPD-Vorsitzenden passen.

Im SPD-Blatt “Vorwärts“ fanden sich — als “Lehren“ deklariert — bereits interessante Hinweise auf Vorbilder: “Großbritannien. Mitgliederbefragung: Was die SPD von Labour lernen kann … Die SPD ist führungslos und die Frage, wie der vakante Vorsitz neu besetzt werden kann, sollte eher schneller als langsamer beantwortet werden.“ *2)

Die SPD hat gelernt, die Mitglieder befragt und wird nun geführt: von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Der lernende Blick nach Großbritannien im SPD-Vorwärts verhieß aus linker Perspektive noch mehr: “Großbritannien. Brexit-Debatte: Wie Jeremy Corbyn Premierminister werden kann“. *3)

Der Vorwärts hoffte wohl mit dem linken Labour-Flügel: „Labour wird versuchen, den Lauf der öffentlichen Debatte zu ändern. Wenn es ihnen gelingt, im Wahlkampf weniger über den Brexit und mehr über die sozialen Missstände und die krasse Ungleichheit zu sprechen, könnte tatsächlich am Ende eine Labour-Regierung mit Premierminister Jeremy Corbyn an der Spitze stehen.“ *3)

Nun hatte der radikale Alt-Linke Corbyn in der britischen Unterhauswahl am 12. Dezember 2019 etwa die im Vorwärts empfohlene Richtung der Kampagne eingeschlagen. Er versprach radikalen Wandel gegenüber “sozialen Missständen und krasser Ungleichheit“ (Katsioulis), für die er die konservativen Eliten verantwortlich machte. Gleichwohl erlebte Labour ein Wahl-Desaster mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1935.

Dies soll hier nicht den durchaus kenntnisreichen Analysen im Vorwärts vorgehalten werden. Zumal Beobachter des Verhaltens der britischen Wählerschaft den unberechenbar “wetterwendischen Charakter der Briten“ *4) bestätigen.

Hier liegt uns an Sozialdemokraten, die den angekündigten Linksruck der SPD für völlig verfehlt halten. Sie sollten sich an der politischen Strategie des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton orientieren: „synthesize new ideas and traditional values … practice the politics of ´triangulation` bridging the divide between Republicans and Democrats and taking the best ideas of both … trying to build a new consensus“ *5) Diese Strategie zielt auf eine programmatische Synthese wirtschafts- und sozialpolitischer Ideen für eine konsensuale Politik der Mitte, die das Vertrauen der Wählermehrheit gewinnen kann.

Wer erinnert, dass Angela Merkel 2005 mit einem radikal konservativ-liberalen Programm fast an Gerhard Schröder scheiterte, sieht ihre Kanzlerschaft seitdem durch Übernahme sozialpolitischer Ideen vor allem von der SPD geprägt. Ein höchst erfolgreiches Lehrstück machtpolitischer “triangulation“ zwischen Konservativ-Liberalen und Sozialreformern, das von der Wählerschaft als “Politik der Mitte“ belohnt wurde.

Nun wird Bundeskanzlerin Merkel 2021 ihren politischen Weg beenden. Ihre Nachfolge ist ungeklärt.

Statt nunmehr die politische Chance zu nutzen, die zu Kanzlerin Merkel gewechselten Sozialdemokraten zu umwerben und zurückzuholen, rückt die SPD-Führung nach links und verschreckt die Wähler-Mitte mit umwelt- und umverteilungspolitischer Radikalität. „Die SPD ist linker als die Linkspartei geworden und ökologischer als die Grünen“, kommentierte Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel dieses SPD-Profil. *6)

Der SPD-Kurs von Esken/Walter-Borjans erscheint so irregeleitet, dass nur noch auf einen SPD-Wendepunkt nach der Wahl 2021 zu hoffen ist. Diese Hoffnung muss sich leider — wie in Großbritannien für Corbyns Labour-Party —auf sehr drastische Lehren für die SPD durch das Wahlresultat stützen.

Im Sinne dieser Hoffnung auf Lerneffekte bei der SPD:

  • Folgt doch dem im SPD-Vorwärts propagierten Beispiel des Linksrucks von Corbyns Labour-Party.
  • Hofft auf radikalen Wandel durch Rot-Rot-Grün.
  • Zieht mit Mützenich als Kanzlerkandidat vor die Wählerinnen und Wähler.
  • Gebt obendrein Saskia Esken eine zentrale Rolle, z. B. als Wirtschaftsministerin.

SPD-Führung: führt!

*1) Parteichefs von SPD und Linke wollen Rot-Rot-Grün im Bundestag; Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 23.05.2020.  Bericht: SPD-Parteispitze will Mützenich als Kanzlerkandidat; Meldung der dts Nachrichtenagentur vom 26.05.2020

*2) Großbritannien. Mitgliederbefragung: Was die SPD von Labour lernen kann. Christos Katsioulis. 11. Juni 2019; https://www.vorwaerts.de/artikel/mitgliederbefragung-spd-labour-lernen

*3) Großbritannien. Brexit-Debatte: Wie Jeremy Corbyn Premierminister werden kann. Christos Katsioulis. 25. September 2019; https://www.vorwaerts.de/artikel/brexit-debatte-jeremy-corbyn-premierminister

*4) Pia Paroli. Die Eiserne Lady. Die Biographie der Margaret Thatcher. Bonn, Berlin 1991, S. 160.

*5) Bill Clinton. My Life. London 2004, S. 660.

*6) SPD-Kritik von Ex-Parteichef Gabriel „Linker als die Linkspartei, ökologischer als die Grünen“. 04.08.2019; https://www.spiegel.de/politik/deutschland/sigmar-gabriel-kritisiert-den-kurs-der-spd-a-1280372.html