Viermal T: Deutschlands Schutzschild.

Geld ausgeben sei keine Kunst, Sparen sei schwer — das hört und liest man seit jeher. Jedoch erscheint diese erzieherische Vorgabe völlig falsch im Vergleich mit der Bürde deutscher Finanz- und Wirtschaftspolitik, die Milliarden-Hilfsprogramme für Deutschland umsetzen muss.

1. Das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik.

Das “größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik“ *1) umfasst zunächst haushaltswirksame Maßnahmen von insgesamt 353,3 Milliarden Euro und Garantien von insgesamt 819,7 Milliarden Euro. Um dies zu finanzieren, benötigt der Bund neue Kredite in Höhe von rund 156 Milliarden Euro, für die ein Nachtragshaushalt aufgestellt wurde. Dieser “Corona-Schutzschild“ dient dem Schutz der Gesundheit unserer Bürger, dem Schutz der Arbeitsplätze und Unternehmen sowie dem sozialen Zusammenhalt.

Eine beispiellose Herausforderung auch für die Ministerien, die für das Programm verantwortlich sind. Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz hat für diese Herausforderungen seinen politischen Qualitätsanspruch mit viermal T vorgegeben: „timely, targeted, temporary, transformative“ — zeitgerecht, gezielt, befristet und für politischen Wandel sollen die Maßnahmen wirken. *2)

Wird diese Herausforderung bewältigt, könnte die schon mehrfach totgesagte dritte GroKo-Bundesregierung seit 2005 mit einer Glanzleistung für lange Zeit erinnert werden. Das wünschen viele Sozialdemokraten auch Olaf Scholz, der schon im September 2019 gegenüber Sorgen vor einer Wirtschaftskrise zusicherte: „Sollte es zu einer Wirtschaftskrise kommen, dann stünde der Bund bereit, mit ´vielen, vielen Milliarden gegenzuhalten`“. Das sei „gelebter Keynesianismus“. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe “seinen Keynes gelesen.“ *3)

John Maynard Keynes (1883 – 1946) hatte gegen Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit für zusätzliche Staatsausgaben und Steuererleichterungen geworben, für die temporär Budgetdefizite und zusätzliche Schulden hingenommen werden sollten. Anhänger der Lehren Keynes` haben gefordert, solche staatliche Krisenpolitik müsse “timely, targeted, and temporary” ausgestaltet sein, um den angestrebten Erfolg zu erreichen. *4)

2. Erfahrungsbilanz: „timely, targeted, temporary, transformative“ (Scholz)

An diese Zusicherung von Bundesfinanzminister Scholz halten sich liberal denkende Bürger angesichts der viele Milliarden schweren Krisenpolitik. Doch hält sich in der Wirtschaft die Sorge vor dem übermächtigen, übergriffig fiskalistischen Steuerstaat, auf den viele Linke in dieser Krise erkennbar hoffen.

Um Anhaltspunkte für den Wert der 4 T-Zusage von Scholz zu gewinnen, sei ein Blick auf Erfahrungen in den liberal-marktwirtschaftlich verfassten USA gerichtet; wenn die USA gegenüber fiskalistischer Versuchung nicht gewappnet sein sollten, wer dann?

2.1. Timely — Zeitgerecht.

Kommt die expansive Finanzpolitik zu spät, weil die Wirtschaft wieder angesprungen ist, droht eine Überhitzung mit Kosten- und Preissteigerungen. Nicht nur würde Steuergeld verschwendet, auch könnte die zugleich starke Geldvermehrung zu unerwünschter Inflation führen.

Für die USA sei gerade in der Folge jeder Nachkriegsrezession im 20. Jahrhundert festzustellen, dass die Wirtschaft bereits in vollem Aufschwung war, als der größere Teil geplanter zusätzlicher Staatsausgaben schließlich umgesetzt wurde. Die zeitliche Abfolge des krisenpolitischen Prozesses von Diagnose—Entscheidung—Umsetzung—Wirkung war durch unplanbare Verzögerungen (“lags“) nicht mit der Wirtschaftsentwicklung in Einklang zu bringen.

Zwar sei die Zeitplanung in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 nicht durch mangelnde Wirtschaftsdiagnose behindert worden, jedoch habe Präsident Obama einen starken Rückstand in der Umsetzung der Krisenpolitik (implementation lag) eingeräumt. *4, S. 10ff.)

Auch in Deutschland und der EU hat jeder auch ohne Wirtschaftsdiagnose und -prognose die akute Krise vor Augen. Jedoch weiß niemand, wann sich die Wirtschaft wieder erholen wird. So könnte auch hier die US-Erfahrung gemacht werden, dass einige Wirtschaftsbeobachter die Dauer des Abschwunges überschätzen, andere die Krisendauer aber unterschätzen. Welcher Prognose die Politik dann folgt, entscheidet über Erfolg oder Fehlschlag der Hilfsprogramme.

Dennoch ist zu würdigen, dass die Milliarden-Programme für die EU und Deutschland bewirken, dass Menschen Hoffnung in schwerster Zeit haben.

2.2. Targeted — Gezielt.

Bei der Verteilung der Hilfsprogramme sei in den USA in der Regel sehr wohl gezielt vorgegangen worden. Professor George Stigler (1911-1991), Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften von 1982, hatte allerdings geurteilt: Es könne als “Daumenregel“ festgehalten werden, dass die finanzpolitischen Bundes-Programme eher politischem Einfluss als der Not oder angemessener Lagebeurteilung folgen. *4, S.12 ff)

Auch habe sich wiederholt erwiesen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch öffentliche Investitionsprogramme in rezessiven Lagen nur unzureichend gesteigert wurde. Statt dessen füllten sich die Kassen der Gemeinden, die nicht in der Lage waren, den Mittelzufluss zu investieren.

In Deutschland könnten sich ähnliche Erfahrungen wiederholen. Der Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg (CDU-MdB, seit 2009 im Haushaltsausschuss) stellte im Bundestag die Realität des öffentlichen Investierens dar: *5)

  • Man kann bei den Investitionen immer sagen: Es ist zu wenig. Wir haben 2015 Reste von gut 9 Milliarden Euro übertragen. Vom Haushalt 2018 zu 2019 waren es gut 19 Milliarden Euro: Breitbandausbau über 4 Milliarden Euro, Verkehrsinfrastruktur – zum Glück überjährig – 3 Milliarden Euro. So kann ich weiter durchzählen … Von den 7 Milliarden Euro des Kommunalinvestitionsförderungsfonds sind nur 1,6 Milliarden Euro abgeflossen. Das erste Kapitel hat 2015 begonnen. Jetzt kommen die ersten Länder mit der Bitte — wir haben schon einmal verlängert —, das über 2020 hinaus zu verlängern. Es läuft fünf lange Jahre.
  • Wenn Sie den Kontakt nach draußen nicht ganz verloren haben, dann werden Sie Bürgermeister finden, die Ihnen entweder sagen: „Ich finde keinen Anbieter auf meine öffentliche Ausschreibung“ oder: Es sind Mondscheinangebote. Wenn Sie einzelne Gewerke betrachten, dann stellen Sie fest, dass es dort in den letzten drei, vier Jahren Preissteigerungen von 25 Prozent gab. Wer jetzt noch mehr Geld ins Schaufenster stellt, der wird die Kosten noch höher treiben. Er wird es immer noch teurer machen.
  • In der Förderperiode von 2014 bis 2020 betrug die Gesamtsumme bereitgestellter Mittel für europäische Haushalte 960 Milliarden Euro. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie, wie viel Geld nicht abgerufen wurde? 280 Milliarden Euro, 30 Prozent, insbesondere im Kohäsionsfonds 170 Milliarden Euro. Das ist mehr als ein Jahreshaushalt der Europäischen Union.   

Das Plenarprotokoll des Bundestags vermerkt nach Rehbergs Rede: Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD. Die Erfahrung, dass Haushaltsmittel nicht immer in überschaubarer Zeit gezielt und ökonomisch sinnvoll investiert werden können, scheint auch hierzulande nicht außergewöhnlich.

2.3. Temporary — Befristet.

In den USA sei in der Krise von 2008 beobachtet worden, dass auch zeitgerechte und angemessen gezielte Steuernachlässe etc. dazu führten, dass die Empfänger den Mittelzufluss sparten und nicht für Güternachfrage verwendeten. Danach folgten Pressionen gegenüber Politikern, die Steuererleichterungen und Ausgabenprogramme doch zu verlängern: einmal, um den Mittelzuwachs für Güternachfrage sinnvoll zu verplanen, zum andern, um noch mehr Hilfen zu bekommen.

Prof. Milton Friedman (1912 – 2006), Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften von 1982, prägte das in den USA geflügelte Wort: “Nothing is so permanent as a temporary government program.” *4, S. 29)

Taylor und Castillo fassen das Resultat ihrer Untersuchung zusammen: „Die realen Ausgaben des Bundes pro Kopf, sowohl für Verteidigung als auch für nicht-militärische Zwecke, ebenso die Bundesausgaben als Prozentsatz der Wirtschaftsleistung sind im gesamten letzten Jahrhundert angestiegen. Die Analyse zeigt, was einmal erhöht wurde, wird selten wieder gesenkt.“ *4, S. 29).

In “Notlagen“ geschaffener Zuwachs an staatlicher Zuständigkeit und Macht werde nicht zurückgenommen, sondern verfestige sich zu “neuer Normalität“. Politikern wohne die Neigung inne, “never let a good crisis go to waste“ — keine gute Krise ungenutzt verstreichen zu lassen. In den USA wird dies als “ratchet effect” (Sperrklinken-Effekt) der Expansion von Regierungsmacht bezeichnet. *4, S. 15)

Im Deutschland des 19. Jahrhunderts formulierte der Ökonom Adolph Wagner das nach ihm benannte Wagnersche Gesetz. Danach steige das Verhältnis von Staatsausgaben zur Wirtschaftsleistung (sog. Staatsausgabenquote) mit dem wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt. Wegen der großen Veränderungen in der Struktur deutscher Staatlichkeit nach der Wiedervereinigung mag hier der Hinweis genügen, „ganz offensichtlich hat die Entwicklung zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, aber auch die Privatisierung von Staatsunternehmen dem Staatswachstum nichts anhaben können.“ *6)

Ob die Corona-Krise auch von Deutschlands “politischer Klasse“ für einen neuen dauerhaft “nachhaltigen“ Schub zu “mehr Staat“ genutzt wird, es also nicht bei befristet expandierenden Zuständigkeiten für den Staat bleibt, sei in diesem frühen Stadium der Krisenpolitik dahingestellt.

2.4. Transformative — Mit politischem Wandel verbundene Politik.

Warum Bundesfinanzminister Scholz sein Hilfsprogramm, Deutschlands Schutzschild in der Corona-Krise, mit politischer Transformation verknüpft hat, ist schwer zu verstehen.

Politische Transformation bedeutet bekanntlich grundlegender Wandel in der politischen, wirtschaftlichen oder technologischen Entwicklung.

Wie wird sich solcher Anspruch auf die bisher bewundernswerte Regierungsleistung auswirken? Damit Anträge auf Kredite, Hilfspakete und Zuschüsse für Unternehmen, Handwerker, Solo-Selbständige und vielfältige andere Zielgruppen, z. B. in Tourismus, Gastgewerbe, Kunst, Kultur und Bildung, zügig und wirtschaftspolitisch sinnvoll zwischen verschiedenen Ressorts abgestimmt und bearbeitet werden?

Schon habe der Wissenschaftliche Beirat im Bundesministerium für Wirtschaft den Minister Peter Altmaier (CDU) vor den Milliardenhilfen und vor Willkür bei der Firmenrettung gewarnt: „Es bestehe die Gefahr, ´dass sich eine ungewollte Dynamik entwickelt, die schwer zu steuern ist`“. *7)

3. Dem Bürger bleiben beunruhigende Fragen.

Wird die Krise vor dem in spätestens einem Jahr beginnenden Wahlkampf beendet sein? Wenn das nicht der Fall ist, kann dann die notwendige Krisenarbeit gut gelingen?

Wird Deutschland in die Staatswirtschaft gelenkt? Je mehr Hoffnungen im linken Politikspektrum auf radikale ökologische und soziale Transformation und Umgestaltung geweckt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Konflikte im GroKo-Regierungslager vor den Wahlen im Herbst 2021.

Hat sich Bundesfinanzminister Scholz und mit ihm der deutsche Staat mit seinem Anspruch übernommen, das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik „timely, targeted, temporary, transformative“ zu bewirtschaften?

Niemand kennt in der gegenwärtigen Unsicherheit die angemessene Antwort auf solche Fragen. Aber die Erfahrung lehrt: Geld stimuliert Machthunger.

*1) 23.04.2020. Kampf ge­gen Co­ro­na: Größ­tes Hilfs­pa­ket in der Ge­schich­te Deutsch­lands. Die Coronakrise stellt Deutschland vor beispiellose Herausforderungen. Mit ihrem Maßnahmenpaket von historischem Ausmaß sorgt die Bundesregierung dafür, die Gesundheit der Bürger zu schützen, Arbeitsplätze und Unternehmen zu stützen und unseren sozialen Zusammenhalt zu bewahren. https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Schlaglichter/Corona-Schutzschild/2020-03-13-Milliarden-Schutzschild-fuer-Deutschland.html. (RS Hinweis: Haushaltswirksame Maßnahmen führen im Haushaltsplan zu Änderungen von Ausgaben bzw. Einnahmen. Die oben genannten Zahlen sind vorläufig: Finanzminister Scholz will für die Kommunen noch einen Ausgleich für 12 Mrd. € Gewerbesteuer-Mindereinnahmen und für 45 Mrd. € Altschulden, insgesamt 57 Mrd. €. Dies wird bei CDU/CSU kritisiert).

*2) Germany’s stimulus measures will be timely, targeted, temporary and transformative – Scholz. Germany’s fiscal stimulus package to help firms recover from the coronavirus crisis will be timely, targeted, temporary and transformative, Finance Minister Olaf Scholz said on Thursday. MAY 14, 2020; https://www.reuters.com/article/health-coronavirus-germany-budget/germanys-stimulus-measures-will-be-timely-targeted-temporary-and-transformative-scholz

*3) Sören Christian Reimer. ETAT 2020. Ein Minister und Kandidat. Koalition setzt auf »soliden Haushalt« ohne Schulden. Grüne wollen »Investitionsmotor« schaffen; https://www.das-parlament.de/2019/38_39/thema_der_woche/657608-657608

*4) Jason E. Taylor and Andrea Castillo. “Timely, Targeted, and Temporary?”. An Analysis of Government Expansions over the Past Century. Mercatus Research, Mercatus Center at George Mason University, Arlington, VA, October 2014; https://www.mercatus.org/system/files/Taylor-Timely-Targeted-Temporary.pdf.

*5) Eckhardt Rehberg. Mitglied des Deutschen Bundestages. Mitglied des Haushaltsausschusses. Vorsitzender der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Rede Plenum. Freitag, 13. September 2019. 1. Lesung Haushaltsgesetz 2020 – Schlussrunde; https://www.eckhardt-rehberg.de/download/

*6) Barbara Dluhosch, Klaus W. Zimmermann, Adolph Wagner und sein „Gesetz“: einige späte Anmerkungen. Helmut Schmidt Universität Hamburg. Fächergruppe Volkswirtschaftslehre. Diskussionspapierreihe Nr. 85, August 2008; https://d-nb.info/998044121/34

*7) Jan-Philipp Hein. Politik. Deutschland AG auf Stütze. FOCUS Magazin Nr. 20 (2020), Samstag, 16.05.2020; https://www.focus.de/politik/deutschland/politik-deutschland-ag-auf-stuetze_id_11971654.html