SPD-Kurs: Vertrauenswürdig?

„Misstrauen“ stellte die Journalistin Angela Ulrich nach dem SPD-Parteitag fest. *1) Dies bezog sich wohl auf die SPD-Gegner einer erneuten Großen Koalition (GroKo) mit der CDU/CSU

Nicht wenige dieser Sozialdemokraten dürften am Versprechen der SPD-Führung zweifeln, „ergebnisoffene“ Gespräche mit der Christ-Union über eine neue Bundesregierung zu führen; in Wirklichkeit werde wieder eine GroKo vorbereitet.

Zuerst sollte jedoch festgehalten werden, dass größtes Misstrauen in die Glaubwürdigkeit der Koalitionspolitik von Bundeskanzlerin Merkel angebracht ist.

Nehmen wir an, den Vorwürfen der FDP gegenüber den Jamaika-Verhandlungen unter Merkels „Moderation“ sei halbwegs zu glauben. Dann ist die Überlegung nicht abwegig, dass Merkel dieses Scheitern zuließ, weil sie ohnehin die GroKo von CDU/CSU-SPD der Jamaika-Option mit FDP und Grünen vorzog.

Dies mag mit dem Interesse von SPD-Kabinettsmitgliedern der derzeitigen Geschäftsführenden GroKo am fortgesetzten Regierungsamt übereinstimmen.

Sowohl für die CDU/CSU wie für die SPD erscheint inzwischen ein Ausweg aus einer neuen GroKo kaum mehr ratsam. Es sei denn, sie nehmen weitere Rückschläge im Ansehen bei den Wahlberechtigten oder gar bei Neuwahlen in Kauf.

Denn dazu ist die von den GroKo-Interessenten aufgebaute „blame-game“-Drohkulisse bereits zu sehr im Urteil der Wähler verfestigt:

  • Es komme auf Stabilität an, in Deutschland und Europa.
  • Es sei der stabile wirtschaftliche Erfolg zu sichern.
  • Der stabile soziale Zusammenhalt sei zu bewahren.
  • Die Veränderungen durch die Digitalisierung zwingen zu stabilen Vorkehrungen mit den Sozialpartnern in der Arbeitsmarktpolitik.
  • Die auswärtigen Unsicherheiten und Bedrohungen erforderten stabile Außen- und Sicherheitspolitik.
  • Die staatspolitische Verantwortung für stabile Regierungsführung sei unabweisbar — in Deutschland, in Europa, in der Welt.
  • Deshalb plädieren auch Regierungschefs der EU von Macron bis Tsipras für die GroKo in Deutschland.

Diese Argumente waren in Variationen von führenden Christ- und Sozialdemokraten seit dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen zu hören — am eindringlichsten vielleicht von Außenminister Sigmar Gabriel, der es mit Amtsbonus und Leistung inzwischen zum beliebtesten Politiker Deutschlands gebracht hat. *2)

Die Beschwörung von „Stabilität“ hat auch bei den Wahlberechtigten zu einem Stimmungswechsel gegenüber der GroKo geführt:

  • Nach der Ankündigung der SPD am Wahlabend, die Oppositionsrolle im Bundestag zu übernehmen, fand nur noch ca. ein Drittel der Wahlberechtigten die GroKo (CDU/CSU-SPD) sehr gut oder gut. *3)
  • Seit dem Scheitern von „Jamaika“ stieg die Zustimmung für eine GroKo schon bis Anfang Dezember auf 45 Prozent. *3)
  • Überdies stimmten 61 Prozent der SPD-Anhänger der Aussage zu: „Ich fände es gut, wenn die SPD für eine Koalition mit der CDU/CSU zur Verfügung stehen würde.“ *4)

Zurück zur Ausgangsfrage: Ist der auf dem Parteitag mit großer Mehrheit beschlossene SPD-Kurs, „ergebnisoffene“ Gespräche mit der CDU/CSU-Führung aufzunehmen, vertrauenswürdig oder mit Misstrauen zu sehen?

Für meine Position ist im Rahmen der TV-Beobachtung des SPD-Parteitags ein Gespräch ausschlaggebend gewesen, das Erhard Scherfer mit dem Ministerpräsidenten Niedersachsens, Stephan Weil, führte. *5)

In die Gespräche mit der CDU/CSU trete die SPD ein aus Verantwortung für politische Stabilität und für die Umsetzung „essentieller“ sozialdemokratischer Programmpunkte.

Entscheidend seien Übereinkünfte:

  • in der Europapolitik,
  • in der Bildungspolitik,
  • für eine Rentenpolitik, die Altersarmut vorbeugt,
  • für die Überwindung von Defiziten in der Integrationspolitik für die Geflüchteten in unserem Land,
  • und für ernsthafte Arbeit, die Distanz zwischen Regierenden und Regierten zu überwinden.

Diesen Aussagen des Ministerpräsidenten Stephan Weil vertraue ich. Der kommenden Befragung der Mitglieder durch die SPD-Führung sehe ich deshalb „ergebnisoffen“ entgegen.

*1) SPD Parteitag in Berlin, Phoenix-TV, Interview von Erhard Scherfer am 09.12.2017 mit Majid Sattar, FAZ, und Angela Ulrich, RBB.

*2) Sehr zufrieden oder zufrieden sind 65 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland mit Sigmar Gabriel (ein Zuwachs um 8 Prozentpunkte), Kanzlerin Merkel landet mit 54 Prozent hinter Cem Özdemir auf Rang drei. Hinweis: Der Jamaika-Verhinderer Christian Lindner stürzte in der Beliebtheitsskala um 17 Prozentpunkte ab. Siehe: ARD-DeutschlandTREND Dezember 2017. Politikerzufriedenheit. Umfrage von Infratest dimap. S. 9. Erhebungszeitraum: 4. bis 5. Dezember 2017.

*3) ARD-DeutschlandTREND Dezember 2017. Umfrage von Infratest dimap. Bewertung einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. S. 4.

RS-Nachtrag vom 15.12.2017: Nach einer erneuten Umfrage von ARD-DeutschlandTREND-Infratest dimap im Erhebungszeitraum 11. bis 13. Dezember 2017 bewerteten bereits 61 % der Wahlberechtigten und 68 % der SPD-Anhänger die GroKo (CDU/CSU-SPD) mit sehr gut oder gut. Die positiv gewendete Stimmung gegenüber der GroKo von Anfang Dezember hat sich also verstärkt.

*4) ARD-DeutschlandTREND Dezember 2017. Umfrage von Infratest dimap. Aussagen zur SPD. S. 8. Siehe: RS-Nachtrag vom 15.12. 2017 unter *3).

*5) SPD Parteitag in Berlin, Phoenix-TV, Interview von Erhard Scherfer am 07.12.2017 mit Stephan Weil, Ministerpräsident Niedersachsens.