SPD und Öffentlichkeit.

Heute Mittag ließen zwei Herren die Maske fallen – gegenüber eingeladenen Gästen, Journalisten, auch aus dem Ausland, und der TV-Öffentlichkeit besorgter Bürgerinnen und Bürger.

Besorgt sind wir in diesen entscheidenden Wochen aus gutem Grund: Wie und von wem wird unser Land regiert werden?

Deshalb hier die Beobachtung zur Pressekonferenz im Willy-Brandt-Haus. Mit Peer Steinbrück und Sigmar Gabriel. Es ist ja wahr, sie haben ein stark enttäuschendes Wahlresultat hinzunehmen. Bevor uns die Tränen kommen: Ähnliches erfahren auch Bürger, Selbständige wie Arbeitnehmer, tagtäglich, wenn ernsthafte Bemühung nicht die erwartete Anerkennung findet. In der modernen Demokratie – dies hat Tony Blair seiner Labour Party schon vor 20 Jahren eingehämmert – ist der Bürger Kunde, der Politiker ein vom Bürger bezahlter Dienstleister. Und manchmal kommt das Politik-„Produkt“ beim Kunden nicht an.

Dieses Selbstverständnis moderner Politik scheint dem SPD-Vorsitzenden Gabriel abhanden gekommen oder belanglos, wenn ihm die Wähler nicht zu Diensten waren. Jedenfalls rechnete der TV-Zuschauer heute Mittag jeden Augenblick damit, dass beide Sozialdemokraten Bundeskanzlerin Merkel auffordern würden, sich für das eindrucksvolle Vertrauensvotum der Wähler zu entschuldigen. Bei der SPD. Denn die SPD habe einen ehrlichen Wahlkampf der „Inhalte“ geführt und nicht eine richtungslose Merkel-Werbung o.ä.m..

Auf Fragen von Journalisten wurde in schroffem Steinbrück-Klartext-Ton der Wahlkampf (Bankenunion etc.) fortgesetzt. Peer Steinbrücks Unmut kann ich noch nachvollziehen, seit ich heute morgen den SPD-Linken Ralf Stegner vor dem Willy-Brandt-Haus hörte. Der antwortete mit bekannter linker Brutalität auf die Frage nach Steinbrücks Zukunft, er, Stegner, sehe Steinbrück als Bundestagsabgeordneten, dafür habe er kandidiert. Peer Steinbrück hat also vor der Pressekonferenz sicher einiges verkraften müssen: Kanzlerkandidatur „erloschen“ (Wowereit), aber immerhin noch „an Bord“ (Kapitän Gabriel).

Im Vergleich zum Kandidaten Steinbrück waren offenbar „der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel richtig gut, das SPD-Programm richtig gut und die innerparteiliche Mitwirkung richtig gut“ hatte Stegner bescheinigt. Bedeutet dieses Lob, dass es Wähler und Medien an solidarischer „Mitwirkung“ fehlen ließen? Zeigte sich der so eingestimmte SPD-Vorsitzende deshalb gegenüber kritischen Fragen der (ein-)geladenen Journalisten zunehmend missgelaunt? Ging Gabriel deshalb so schnell dazu über, der fragenden Öffentlichkeit Antworten zu verweigern?

Das war vom Hausherrn des Willy-Brandt-Hauses besonders unhöflich, weil es immer möglich ist, elegant zu antworten. Dies würde vor einem Verhandlungsprozess für mögliche Koalitionen durchaus verstanden. Auch wenn anzumerken ist, dass die SPD ständig ebenso unaufrichtig wie penetrant von Bundeskanzlerin Merkel fordert, endlich zu sagen, was sie den Hellenen zahlen will, wenn mit denen über Kredithilfe gegen Reformen verhandelt wird … Wie gesagt, so trieb es Herr Gabriel weiter, bis schließlich eine Journalistin sich gezwungen sah: „Ich versuche es mal mit einer Frage, die Sie vielleicht beantworten wollen …“.

Nun ist die SPD Eigentümerin einer Mediengruppe, die bundesweit beträchtlichen Einfluss hat. Herr Gabriel ist also ein mächtiger Mann, auch im Zeitungs- und Medienmarkt. Auch im öffentlichen Rundfunk und im TV wird durch das strategische Bündnis von SPD, DGB, evangelischer Kirche und gesellschaftlichen Gruppen über die Beiräte Einfluss ausgeübt – was intensiven Nutzern dieser Medien nicht verborgen bleibt.

Der heutige Auftritt des SPD-Vorsitzenden Gabriel lässt auch ahnen, dass ein Journalist nicht zu kritischer Unbotmäßigkeit ermuntert wird. Es sei denn, diese richtet sich an den politischen Gegner. Es gibt für besondere Fälle auch Instrumente der Sanktion. Diese werden meist subtil angewendet. Kein Interview mehr, keine Einladung mehr zum Hintergrundgespräch usw. – bis hin zu einer vertraulichen, informellen „schwarzen Liste“, die zum Kotau oder Berufswechsel zwingen mag.

Solch ein Mächtiger weiß, was er sich leisten kann. In seinem eigenen Haus, gegenüber eingeladenen Gästen – Journalisten oder der TV-Öffentlichkeit besorgter Bürger. Da verweigert er nicht nur Antworten, sondern die gebotene Höflichkeit. Das macht dem großen Namen seines Hauses keine Ehre. Im Phönix-TV kommentierte der angesehene Bremer Wahl- und Parteienforscher Professor Lothar Probst dieses Verhalten Sigmar Gabriels gegenüber der Öffentlichkeit mit dem Wort „bockig“. *1) Als Sozialdemokrat nenne ich es Bonzentum.

*1) Nachtrag 24.09.2013: Der SPD-Führung ist dringend zu raten, nach einem enttäuschenden Wahlresultat gegenüber Medien und Öffentlichkeit bei professionellem Verhalten zu bleiben. Der Sozialdemokrat und Parteienforscher Professor Franz Walter hielt den Grünen vor: „die am Wahlabend von führenden Grünen geäußerte Klage über eine Kampagne (gehöre) ´zu den banalsten Ausflüchten von Wahlkämpfern. Das ist so primitiv, dass ich immer davon abraten würde.`“ Quelle: DTS-Meldung vom 24.09.2013, 07:13 Uhr. Politologe Walter: Pädophilie-Debatte hat Aura der Grünen verblassen lassen.

Nachtrag: Ein Leser fragt mich, was „primitiver“ sei, Merkel oder den Medien die Schuld am SPD-Wahldebakel zu geben.