SPD: wehrpolitische Farce oder Gefahr?

“Helmut Schmidt krempelt die Wehrpolitik der SPD um“. *1) Das war 1961; seitdem wuchs ein außen- und verteidigungspolitischer Konsens zwischen den Volksparteien CDU/CSU und SPD.

1. Wachsender Konsens: Außen- und Sicherheitspolitik.

Schmidt habe im Einklang mit der damaligen SPD-Spitze — Willy Brandt, Fritz Erler, Herbert Wehner — Wehrpolitik nicht als Frage der Weltanschauung, sondern als Frage zweckmäßiger Strategie der Landesverteidigung in der NATO-Allianz beurteilt: *1)

„Taktische Kernwaffen in Europa und in Deutschland sind zur Abschreckung eines taktisch-nuklearen Angriffs nötig. Jeder konventionelle Angriff muss hingegen von konventionellen Streitkräften beantwortet werden.“ Das bedeutet, die Bundeswehr benötigt für diesen Auftrag die angemessene Ausrüstung.

Der sicherheitspolitische Grundkonsens in der Bundesrepublik Deutschland stärkte damals das Vertrauen der NATO-Bündnispartner in unser Land und zugleich die westdeutsche Sicherheit in den schwersten Krisen des Kalten Krieges: Mauerbau der DDR (August 1961) und Kuba-Krise im Herbst 1962. In der Kuba-Krise stand “die Welt am Abgrund einer nuklearen Katastrophe“. *2)

Die Jahrzehnte seit jenen Krisenjahren waren geprägt durch grundlegende außen- und verteidigungspolitische Übereinstimmung zwischen den staatstragenden Parteien Deutschlands, gekrönt durch die friedliche Wiedervereinigung der Deutschen 1990 und den Aufbau der Europäischen Union (EU).

Die Hoffnungen auf Frieden in den Nachbarschaftsräumen der EU haben sich nicht erfüllt — vor allem durch völkerrechtswidrige Aggressionen und Kriegsverbrechen, die Russland inzwischen auch durch Ermittler der Vereinten Nationen und durch OSZE-Beobachter nachgewiesen wurden. *3)

Mit wachsender Bedrohung durch Russland rückt die Notwendigkeit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik in der NATO und der EU immer stärker in das Bewusstsein der Bürger — ebenso die Wertschätzung für unsere Bundeswehr.

2. Wehrpolitik-Konsens GroKo: Abwendung der SPD?

Gerade deshalb befremden zwei sicherheitspolitische Vorgänge in der SPD-Bundestagsfraktion:

  • Die Wahl des Wehrbeauftragten des Bundestages und SPD-interne Kontroversen.
  • Die Forderung des Fraktionsvorsitzenden Mützenich nach einem Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland.

2.1. Die Wahl des Wehrbeauftragten des Bundestages und SPD-interne Kontroversen.

Zunächst sei hervorgehoben, dass die SPD-Bundestagsfraktion und ihr Vorsitzender Rolf Mützenich von ihrem Vorschlagsrecht guten Gebrauch gemacht haben. Nicht nur weil die hervorragend ausgewiesene Innen- und Rechtspolitikerin Dr. Eva Högl, MdB, mit 389 Stimmen deutlich mehr als die notwendige Mehrheit der MdBs (Kanzlermehrheit 355) erhielt. Fachliche Kompetenz, Arbeitskraft und menschliche Qualität von Högl lassen eine erfolgreiche Wahrnehmung der Aufgaben als Wehrbeauftragte erwarten.

Dr. Högl hat nun wirklich nicht verdient, dass ihre Berufung in das hohe Amt durch Szenen überschattet wurde, die nach Medien im Führungsstil und menschlichen Format des Fraktionsvorsitzenden Mützenich zu beklagen seien. *5)

Der in der Bundeswehr durch die Amtsführung hochangesehene Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD, Amtszeit 2015-2020) sei von Mützenich weder eines Gesprächs über seine Zukunft, noch einer öffentlichen Anerkennung seiner Verdienste gewürdigt worden. In Medien fand sich die Formulierung “abgesägt“! *5) Dass Bartels die im Vergleich zu den Aufträgen an die Bundeswehr oft defizitäre Ausrüstung thematisierte, soll der Partei-Linke Mützenich als Einmischung in Verteidigungspolitik und Aufrüstungsforderung diskreditiert haben.

Der am Amt des Wehrbeauftragten ebenfalls interessierte hochrangige Haushaltspolitiker und Oberst der Reserve, Johannes Kahrs, soll gar eine Nominierungs-Zusage von Mützenich erhalten haben. Deshalb trat Kahrs von allen politischen Ämtern zurück, als statt seiner Eva Högl vorgeschlagen wurde.

Allerdings wusste Herr Bartels (auch Herr Kahrs), dass die Berufung 2020 durch Vorschlag der SPD-Fraktion und Wahl im Bundestag erfolgen würde. Fachliche Leistung für die Bundeswehr im Amt des Wehrbeauftragten begründet keinen Anspruch auf Wiederwahl (Bartels), sondern sollte erwartbar sein. Zumal Karl-Wilhelm Berkhan (SPD) mit zwei Amtsperioden (1975-1985) der Ausnahmefall unter bisher 13 gewählten Wehrbeauftragten geblieben ist, was durch die Dauer der SPD-geführten sozial-liberalen Koalition 1969 – 1983 und das große Vertrauen des Wehrexperten und Bundeskanzlers Schmidt in Berkhan zu erklären ist.

Besonders merkwürdig erscheint, dass die Ehefrau von Bartels, die ehemalige Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke (SPD), die ausgebliebene Wiederwahl ihres Gatten zum Anlass nahm, aus der SPD (“ehrloses Verhalten“) auszutreten.

So bleibt als Bild der SPD, das sie der Öffentlichkeit bei der Neuwahl des hohen Amtes der Wehrbeauftragten unserer Parlamentsarmee bietet, der Eindruck von dürftiger Stillosigkeit des Fraktionsvorsitzenden Mützenich und der einer Kieler Posse.

2.2. Die Forderung des Fraktionsvorsitzenden Mützenich nach einem Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland.

Als sicherheitspolitisch äußerst gefährliche Entwicklung ist dagegen Mützenichs aktuelle Forderung zu werten, Deutschland solle seine nukleare Teilhabe in der NATO beenden.

Der international renommierte Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Herr Botschafter Wolfgang Ischinger, warnt eindringlich:

“Wie soll sich denn die Politik in Polen verhalten? Wie soll sich die Politik in den baltischen Staaten verhalten? Die vertrauen darauf, dass … die NATO sie schützt. Jetzt kommt Deutschland und sagt, wir steigen jetzt mal aus der nuklearen Teilhabe aus. Das ist doch in dieser Lage im Jahre 2020 ein Zeichen, das nicht nur in Warschau, sondern auch in Moskau als ein Zeichen der Schwächung der NATO betrachtet werden muss. Das kann nicht deutsche Politik sein.“ *6)

Und den von Mützenich nachgeschobenen Grund der “Unberechenbarkeit des US-Präsidenten Donald Trump“ bewertet Ischinger als „ganz, ganz schwaches Argument … Trump habe keine Kriege angestoßen … Der Vorwurf, das trumpsche Amerika sei ein Grund, sich jetzt aus der nuklearen Teilhabe der NATO zurückzuziehen, den halte ich für ganz abwegig.“ *6)

Mützenichs Forderung, die nukleare Teilhabe Deutschlands in der NATO zu beenden, erscheint als gefährliche Schwächung der NATO — gerade bei den Erfahrungen mit Russlands faktischer und hybrider Kriegführung sowie seinen nachgewiesenen Terroranschlägen auch in der EU. Mützenich macht mit dieser Ankündigung die SPD obendrein im Kreise von Fachleuten lächerlich.

3. Ergebnis.

Das Urteil Helmut Schmidts von 1961 mag in der damaligen zum Pazifismus neigenden SPD-Basis auf verbreitete Kritik gestoßen sein. Dennoch hat ein wehrpolitischer Konsens über Jahrzehnte sich gefestigt und gehalten.

Mit einem völkerrechts- und kriegsverbrecherischen Russland in unserer Nachbarschaft erhebt heute der führende SPD-Linke Mützenich seine wehrpolitische Ignoranz zum Programm: Auftragsgemäße Ausrüstung unserer Bundeswehr und Verpflichtungen in der NATO-Allianz bedeuten offenbar für die Mützenich-SPD Aufrüstung.

Wer soll so etwas wählen?

*1) Wie sollen wir uns verteidigen? Der Hamburger Abgeordnete Helmut Schmidt krempelt die Wehrpolitik der SPD um. Von Theo Sommer. 24. März 1961; https://www.zeit.de/1961/13/wie-sollen-wir-uns-verteidigen/komplettansicht. (Hervorhebung RS).

*2) Kubakrise. Als die Welt am Abgrund stand. Von Bernd Greiner. 21. August 2012; https://www.zeit.de/zeit-geschichte/2012/03/kubakrise-kalter-krieg

*3) Ukraine. Wenig Hilfe für Opfer von Kriegsverbrechen. Die Bundesregierung streitet über die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Der Leiter des OSZE-Büros für Menschenrechte sieht dafür wenig Anlass. Noch immer gehören Kriegsverbrechen im ukrainischen Konfliktgebiet zum Alltag. Auch russische Staatsbürger sollen daran beteiligt sein. Von Sabine Adler. 03.06.2016; https://www.deutschlandfunk.de/ukraine-wenig-hilfe-fuer-opfer-von-kriegsverbrechen.1773.de.html?dram:article_id=356089. Ferner: Humanitäre Katastrophe. UN-Ermittler werfen Assad und Russland Kriegsverbrechen vor. 2. März 2020; https://rp-online.de/politik/ausland/idlib-un-ermittler-werfen-assad-und-russland-kriegsverbrechen-vor_aid-49320191. Und: Syrienkrieg. Maas wirft Russland und Assad-Regime Kriegsverbrechen vor. Vor dem Uno-Sicherheitsrat hat Bundesaußenminister Maas russischen und syrischen Militärs für willkürliche Angriffe auf Zivilisten in der Idlib-Offensive scharf kritisiert. Russland spricht von Falschinformationen. 27.02.2020; https://www.spiegel.de/politik/ausland/maas-wirft-russland-und-assad-regime-kriegsverbrechen-vor.

*4) Wehrbeauftragter. Rechtsgrundlagen zu Amt und Aufgaben des Wehrbeauftragten und zum Petitionsrecht der Soldaten; https://www.bundestag.de/wb_datenschutz. Der/Die Wehrbeauftragte ist Hilfsorgan des Bundestages bzw. des Verteidigungsausschusses bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle der Bundeswehr. Ferner überwacht er den Schutz der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten und die Grundsätze der Inneren Führung des Staatsbürgers in Uniform. (Vgl. Artikel 45 b Grundgesetz).

*5) Wehrbeauftragter Bartels abgesägt. SPD auf Kurs ins verteidigungspolitische Nirvana. Die SPD-Fraktionspitze will Hans-Peter Bartels nicht länger als Wehrbeauftragten des Bundestags. Ein beispiel- und stilloser Affront gegen einen verdienten Fachpolitiker und ein verstörendes Zeichen von Desinteresse an der Bundeswehr, kommentiert Marcus Pindur. 30.04.2020; https://www.deutschlandfunk.de/wehrbeauftragter-bartels-abgesaegt-spd-auf-kurs-ins.720.de.html?

*6) US-Atomwaffen in Deutschland. “Wir alle wünschen uns mehr Abrüstung“. Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, hält die durch Rolf Mützenich (SPD) angestoßene Debatte über den Abzug von US-Atomwaffen aus Deutschland für wichtig. Eine atomwaffenfreie Welt zu haben, sei das Ziel, sagte er im Dlf. Allerdings stellt er Mützenichs Weg dahin in Frage. Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Sarah Zerback. 07.05.2020; https://www.deutschlandfunk.de/us-atomwaffen-in-deutschland-wir-alle-wuenschen-uns-mehr.694.de.html? (Hervorhebung RS).