Start-up-Cheerleader.

In unsicheren Zeiten und bei Null-Zinsen fehlt es nicht an Rat, auf langfristige Wachstums- und Renditeperspektiven zu setzen.

Selbst bei alten Menschen wird vor solchem Rat nicht zurückgeschreckt. Mit Hinweis auf die hohe Lebenserwartung — so jugendlich und gesund wie Sie aussehen! Und, wenn dies nicht überzeugend wirkt, kommt die Erinnerung an Familie, Verwandte, Freunde, kurz: die Erben.

Nach Jahren ohne Zins, dafür wachsenden Gebühren und Preissteigerungen ist das reale Vermögen der fleißigen Sparer, die verantwortlich für Wechselfälle des Lebens vorsorgen, so abgeschliffen worden, dass die Risikobereitschaft steigen mag. Obwohl gerade bei überschaubaren Vermögen vernünftige Vorsorge einen zentral wichtigen Zweck erfüllen sollte: Jederzeit ohne höhere Verlustrisiken bzw. Kosten der Auflösung von Anlagen die für den eingetretenen Vorsorgefall notwendigen Finanzmittel beschaffen zu können. Also sichere Anlagen, die leicht in Bargeld umsetzbar sind!

Schwer verständlich deshalb das BILD-Cheerleading ausgerechnet bei Start-ups, die neben dem noch zu erprobenden Geschäftsrisiko durch Kapitalmangel leicht zahlungsunfähig werden können.

Gewiss wird bei BILD nicht über deren Geschäfts-Risiko gejubelt, sondern über ihr Wachstum: “TROTZ REZESSIONS-ANGST. Raten Sie mal, welche Firmen jetzt so richtig wachsen!“ Eine ziemlich durchsichtige Irreführung, da das “Wachstum“ bei Start-ups, die definitionsgemäß bei Null beginnen, fast beliebig hochgerechnet werden kann. Und wenn nicht einmal Wachstum nachweisbar ist, dann heißt es eben über die Start-ups: “Unter Deutschlands Firmen sind sie die absoluten Hoffnungsträger“. *1) Wachstums- und Hoffnungsträger — keine Rede von Risiko, Kosten, Absatz und Gewinnen.

Bestimmt ist nichts gegen mutige Gründer von neuen Unternehmen, den gepriesenen Start-ups, zu sagen. Eher wohl etwas gegen Politiker, die zwar für Innovation im Zeitalter der Digitalisierung warme Worte finden. Aber weder in der Bildungspolitik, noch in der praktischen Wirtschaftspolitik genug leisten, um “Entrepreneurship Education in Schule und Hochschule sowie in der beruflichen Bildung“ zu fördern, oder für Start-ups einen zeitgemäß erleichterten regulatorischen Rahmen und eine angepasst zurückhaltende Besteuerung zu schaffen. So könnte der Gesetzgeber mehr tun, um einschränkende Vorschriften für Kapitalanlagen abzumildern, z. B. bei Versicherungen und bei Pensionskassen. Und auch durch zusätzliche steuerliche Anreize ließe sich mehr Wagnis-Kapital für Start-ups bereitstellen. *2)

Dennoch ist auch bei dem Artikel des Start-up-Cheerleaders *1) Skepsis geboten. Denn der liegt vermutlich nicht auf dem Tisch von Groß-Investoren mit anlagesuchendem Wagnis-Kapital, sondern wird eher von Menschen gelesen, denen Vorsicht bei ihrer finanziellen Vorsorge zu raten ist.

Der Vorsorge-Sparer ist schon genug durch die Nullzins-Geldpolitik gestraft, und er wird obendrein durch linke Berufspolitiker bedroht. Die sind zwar bei etwas längerer Tätigkeit, sagen wir zwei Legislaturperioden im Bundestag, von den Steuerzahlern so gut versorgt, dass sie nicht sparen müssen wie vor allem Handwerker und Solo-Selbständige oder RentnerInnen mit Beitragslücken. Aber das hindert solche Politiker nicht, verantwortungsbewussten Vorsorgesparern nach langer Lebensleistung zu drohen: mit Abschaffung der für Anleger-Transaktionen einfachen Kapitalertragssteuer und auch noch mit einer Vermögensteuer! Alles Mittel des “tax and spend“-Umverteilens — für die lange linke Politikerlaufbahn.

Im Interesse des hart geprüften Vorsorgesparers sei hier vor den Risiken gewarnt, die der Start-up-Cheerleader der BILD-Zeitung eher vernachlässigt hat.

Erinnern wir an das Jahr 2000, als die langjährig mit Finanz-Kapital überhäuften Internet-Unternehmen zusammenbrachen. Auch diese galten als Wachstums- und Hoffnungsträger der “Neuen Ökonomie“ — was selbst Profi-Investoren den Blick für ausbleibende Gewinne jener Start-ups trübte. Bis die “dot.com“-Blase mit ungeheurer Kapitalvernichtung und schwersten Verlusten auch für viele Klein-Anleger platzte, die auf Anlage-Berater gehört hatten. *3)

Nun mehren sich Stimmen, die vor einer ähnlichen Katastrophe bei vielen heutigen Start-ups warnen. Hier sehen einige Beobachter den als “app bubble“ bezeichneten Aufschwung von Start-up-Unternehmen gefährdet, die als Anwender Software für mobile Betriebssysteme und Geräte liefern. *3) *4)

  • Auch bei den app-Start-ups sei wie seinerzeit Mitte der 1990er Jahre bei den “dot.com“-Unternehmen ein Klima der Euphorie spürbar.
  • Das habe zwar enorme Werbeausgaben begünstigt, aber wie bei den dot.coms wären Kostenkontrolle und Gewinnerzielung eher nachrangig — eben Hoffnungsträger bei Nullzinsen!.
  • Wenn der finanzielle Nachschub ausbleibe, würden diese app-Start-ups jedoch sehr schnell massenhaft pleite gehen.
  • Dies sei heute aufgrund der Erfahrungen mit dem traumatischen Zusammenbruch von Internet-Unternehmen im Jahr 2000 ganz schnell zu erwarten, wenn die “Hoffnungen“ auf Wachstum und Gewinne sich nicht erfüllen.

Wer sich die Vorlieben für die Art der Kreditfinanzierung bei den Start-ups in BILD *1) näher ansieht, mag nicht derart in Vertrauen schwelgen wie der BILD-Cheerleader-Autor:

  • Die Finanzierung aus eigenen Ersparnissen ist bei den Start-ups in weit geringerem Maß, d.h. nur zur Hälfte so erwünscht, wie in der Gründungs- und beginnenden Geschäftsphase notwendig.
  • Das gleiche gilt für die Inanspruchname von Kredit bei der eigenen Familie und bei Freunden.
  • Bankdarlehen werden zwar wie gewünscht hingenommen, aber in relativ geringem Umfang. Obwohl gerade die regional marktkundigen Banken besonders informativ bei Gründungen und bei der Entwicklung eines sachgerechten Geschäftsplanes (Rechtsform, Versicherungen, Steuern, Behördenkontakte, Absatzaussichten, Kostenplan etc.) beraten können.
  • Finanzielle Förderung durch eher wohlwollende „Business Angels“ oder durch den Staat wird beträchtlich stärker gewünscht als derzeit angeboten wird.
  • Kreditgeber scheinen umso mehr bevorzugt, je risikobereiter, anders ausgedrückt: je waghalsiger sie sind: Anbieter von Venture Capital und crowdfunding. Diese stellen vielleicht nicht so viele Fragen wie die regionalen Banken.

Deshalb ist vor finanziellem Engagement bei Start-ups dann Vorsicht geboten, wenn die finanziellen Mittel des Anlegers der Lebensvorsorge dienen. Und nicht Wagnis suchendes Venture Capital von Großanlegern oder notfalls abzuschreibende Klein-Einsätze bei manchen Formen des crowdfunding sind.

Der BILD-Artikel zu Start-ups ist zwar auch informativ, aber zugleich nicht ungefährlich für die mutmaßlichen LeserInnen dieses Blattes. Denn er betreibt vor allem ein Start-up-Cheerleading. Das erwies sich schon in dem dot.com-Aufschwung der 1990er Jahre als verhängnisvolle Euphorie.*3)

Leider hat sich bereits seit den 1960er Jahren gezeigt, dass 10 bis 20 Jahre ausreichen, um schwerste Fehler in der Geldanlage zu wiederholen. Darauf verlassen sich viele Finanzhaie.

Wirtschaftsjournalisten sollten sich jeglichem Cheerleading verweigern. Stocknüchterne Analyse ist ihr Job.

*1) TROTZ REZESSIONS-ANGST. Raten Sie mal …  Artikel von: FELIX LEITMEYER. Veröffentlicht am 13.11.2019; https://www.bild.de. (RS: Start-ups sind unternehmerische Gründungen, die auf einer technologisch neueren Idee (Produkt oder Verfahren) beruhen. Hier würden solche Unternehmen bis in die Phase der ausgereiften Konsolidierung im Markt noch als Start-up bezeichnet, d.h. auch noch nach fünf  bis zehn Jahren etwa).

*2) Bundesverband Deutsche Startups. „Startup Agenda 2017: Mehr Gründer, mehr Vielfalt, mehr Europa“; https://deutschestartups.org/wp-content/uploads 2019/06/20170615_DeutscheStartupAgenda2017.pdf

*3) John Colley. Why 2019 could be the year of another tech bubble crash. January 11, 2019; theconversation.com/why-2019-could-be-the-year-of-another-tech-bubble-crash-109468 (RS: “dot.com“ ist ein anderer Ausdruck für Internet-unternehmen, der von der Adresse dot=Punkt “.com“ abgeleitet ist) (RS: app=application=Anwendung).

*4) Derek Thompson. IDEAS. The Not-Com Bubble Is Popping. The unicorn massacre unfolding today is exactly the opposite of what happened in 2000. OCTOBER 18, 2019; https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2019/10/are-we-cusp-next-dot-com-bubble/600232/