Steuern, Freiheit, politische Kultur.

Unser Staat – Bund, Länder, Gemeinden, rechnen wir die Sozialversicherungshaushalte dazu – braucht Einnahmen. Steuern, Abgaben, Gebühren.

Das leuchtet den Staatsbürgern ein. Auch wenn es die Freiheit einschränkt, über die erarbeiteten Leistungseinkommen wie Löhne und Gehälter, Mieten, Zinsen, Dividenden und Gewinne zu verfügen.

Denn der Staat hat Aufgaben zu erfüllen. Öffentliche Güter wie Infrastruktur, Bildung, Forschung, Sicherheit bereitzustellen oder Transfers ohne direkte ökonomische Gegenleistung zu tätigen, wie z.B. Arbeitslosengeld, Renten. So kann wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit mit sozialem Ausgleich gelingen.

Der Bürger kann die Wahlen nutzen, um z.B. zu entscheiden, ob unser Staat zu geringe Einnahmen erzielt oder zu viele Aufgaben an sich gezogen hat. Dazu kann er zwischen den politischen Lagern Union, FDP einerseits und SPD, Grünen, wohl auch Linken andererseits wählen.

Erstaunlich ist, dass die SPD dem Grünen Jürgen Trittin die Strategieführerschaft eines „Linksbündnisses“ überließ. Der gab die Botschaft vor: Der Staat ist unterfinanziert, also sind die Steuern zu erhöhen (s. Blog, Trittin, der Delphin, 27.11.2011).

Die strategische Raffinesse Trittins liegt in dem folgenden Kalkül: Ein derartiges „Politik-Angebot“ findet die Linke keinesfalls bei Schwarz-Gelb, also werde sie bei knappem Wahlausgang einen Bundeskanzler und damit eine Regierung aus dem linken Lager wählen. Ohne vorhergehende Verhandlungen, die den Bürger aufschrecken könnten.

Der Staatsbürger ist dem VERDI-Vorsitzenden, Frank Bsirske, Mitglied der Grünen, dem Berliner SPD-Vorsitzenden, Jan Stöß, und dem Vorsitzenden der Linken, Bernd Riexinger, dankbar, dass sie klarstellten: Notfalls Rot-Rot-Grün, um die Regierungsmacht zu erringen.*1) Der Einzige, dem ich glaube, dass er dabei nicht mitspielt, ist der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.

Das Steuerprogramm des Links-Lagers ist im wesentlichen bekannt und in diesem Blog mehrfach kritisiert worden. Die Zeitschrift FOCUS fasst es prägnant zusammen: „Die rot-grünen Steuer-Männer haben viel vor: Einkommensteuer, Erbschaftsteuer, Beitragsbemessungsgrenze der Krankenversicherung, Grundsteuer – alles soll steigen. Die ausgemusterte Vermögensteuer wird hervorgekramt. Und die Grünen wollen mit einer Vermögensabgabe (RS: Vermögens-) Millionäre schröpfen. SPD und Grüne machen auf Robin Hood, sie nehmen den Reichen und geben den Armen.“ *2)

Was gerade Sozialdemokraten zum Nachdenken über die derzeitige Steuerpolitik ihrer Partei anregen sollte, ist die verbreitete, seit Jahren übliche Missachtung wissenschaftlichen Sachverstandes. Und dies von einer SPD, die zwar für einen aktiven Staat eintritt, aber sich der Debatte um ein rationales Steuersystem zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben verweigert. Das ist umso unverständlicher, als der SPD immer eine Reihe bedeutender Finanzwissenschaftler nahestanden.

Vor fast 10 Jahren, im Juli 2004, legte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, das von Oktober 1998 bis Oktober 2009 bekanntlich von Sozialdemokraten geführt wurde, ein Gutachten zur Reform der deutschen Einkommensbesteuerung vor *3).

Ausgangspunkt der Analyse war die Feststellung der Wissenschaftler: „Der Verdruss über die deutsche Einkommensbesteuerung ist groß. Sie ist kompliziert, sie ist im internationalen Vergleich – jedenfalls soweit sie Unternehmen trifft – hoch … sie ändert sich oft, häufig noch bevor die Steuerpflichtigen die vorangegangenen Änderungen erfasst haben. Dazu wird sie allenthalben als ungerecht empfunden.“

Das Reformziel sei neben einer Steuersenkung „die Einführung und Durchsetzung einer möglichst einfachen und neutralen Einkommensbesteuerung.“

Diesem Reformziel diene eine Einkommensteuer, die das wirtschaftliche Einkommen „möglichst vollständig erfasst, also keine Ausnahmen zulässt, und dieses Einkommen mit einem vergleichsweise niedrigen, einheitlichen Satz besteuert. Auf der persönlichen Ebene werden aber relativ hohe Freibeträge gewährt, so dass der Tarif insgesamt eine (indirekt) progressive Wirkung entfaltet.“

Der einheitliche Steuersatz, Merkmal der sog. Flat-Tax oder des einstufigen Steuertarifs, biete unter anderem die folgenden Vorteile (a.a.O. S. 3-5):

  1. Einkünfte ließen sich „im größeren Umfang an der Quelle .. besteuern. So werden z.B. Löhne und Kapitalerträge abschließend bei der auszahlenden Stelle besteuert.“
  2. Der Einheitssatz „vermindert wesentliche steuerliche Anreize, Einkommen bestimmten Perioden oder Personen zuzuordnen. So ist es weniger bedeutsam, ob ein bestimmtes Einkommen in einem einkommensschwachen oder in einem einkommensstarken Jahr anfällt.“ Auch der Streit um Ehegattensplitting und Lohnsteuerklassen werde entschärft. Ebenso entfalle bei einheitlichem Steuersatz die „notorische Streitfrage, ob … Eltern anstelle eines Kindergeldes ein Kinderfreibetrag eingeräumt werden muss, um die gebotene Entlastung zu erreichen.“
  3. „Der einheitliche Steuersatz schafft zudem ein Höchstmaß an Klarheit über den steuerlichen Anteil jedweden zusätzlich erwirtschafteten Einkommens.“ Und vor allem „erleichtert es der einheitliche Satz, den in der direkten Progression angelegten inflations- und wachstumsbedingten Anstieg der Steuerquote („kalte Progression“) zu neutralisieren. Es genügt, die Freibeträge regelmäßig anzupassen.“

Die Einkommensbesteuerung bleibt bei dieser Reform durch die Kombination von Grundfreibeträgen und einheitlichem Steuersatz „progressiv und gerecht“ im Sinne der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Je höher das Einkommen, umso höher ist der Durchschnittssatz, mit dem das Einkommen besteuert wird. Die „Reichen“ werden also mit einer prozentual höheren Steuerpflicht auf ihr Einkommen belastet als die „Armen“.

Über 10 Jahre regierten sozialdemokratische Finanzminister und nicht die Spur einer Diskussion über die Vereinfachung der Einkommensteuer ist geblieben. Ist dem Bürger vorzuwerfen, wenn er hinter der verächtlichen Behandlung ähnlicher Reformideen zur Einkommensteuer des „Professors aus Heidelberg“, Paul Kirchhof, ein sozialdemokratisches System vermutet?

Nämlich das politische Bedürfnis, immer wieder vor Wahlen fallweise steuerpolitisch zu intervenieren. Immer den Handel anzubieten: Ich gebe Dir, und dafür nehme ich von den „Reichen“, und dafür gibst Du mir die Stimme. Ist dies keine Klientelpolitik? Dagegen vertritt jeder ernst zu nehmende Ökonom die ordnungspolitische Position, der Wirtschaft und den Arbeitnehmern ein transparentes, in den Belastungseffekten berechenbares Steuersystem für Planungssicherheit zu garantieren. Mag der Hinweis helfen, die anderen Parteien seien nicht besser.(((((Zurück zur heutigen rot-grünen Steuerpolitik. Deren Verteilungseffekte werden bereits analysiert und debattiert. Diese Steuerpolitik wird solche Familien treffen, die durch harte Arbeit über Generationen ein Vermögen aufgebaut, die gespart, die vorgesorgt haben. Der progressive Tarif der Einkommensteuer, die „kalte Progression“, die geplante Vermögensteuer und die geplante Erhöhung des Steuersatzes auf Kapitalerträge um etwa ein Drittel treffen vor allem Mittelschichten und Sparer. Familien, die das Streichen bei den Rentenansprüchen oder das Fehlen von Altersrenten im Falle Selbständiger durch Sparen und Vermögensbildung ausgleichen müssen.

Es wird Gutgläubige geben, die vertrauen, dass es bei den vage angekündigten Freibeträgen zur Vermögensteuer – nach dem schrägen Motto, Dich trifft es doch nicht, bluten muss Dein reicher Nachbar – bleibt. Wartet ab, wenn erst aufwändige Erhebung, Ermittlung und Schnüffelei zur Vermögensbilanz bei jedem Bürger geführt haben, was dann mit den Freibeträgen passiert!

Die Politiker von Rot-Grün haben bei Einführung der Agenda 2010 auf die Notwendigkeit der eigenverantwortlichen Vorsorge und des Sparens für das Alter hingewiesen, dies dem Bürger unmissverständlich abverlangt. Damit der Sozialstaat für die demographischen Entwicklungen vorbereitet wird. Nun bestrafen eben diese Politiker das Sparen und den Sparer.

Der interessante Aspekt dabei ist: Die „politische Klasse“, die Beamten, der gesamte öffentliche Dienst und sein ähnlich abgesichertes Umfeld, dies alles mag etwa 5 Mio. Beschäftigte umfassen*4). Dieser Personenkreis genießt eine auskömmliche Altersversorgung. Darüber hinaus Sicherheit des Arbeitsplatzes und die Vorzüge „guter Arbeit“. Warum sollen die sparen, wozu Vermögen aufbauen? Die Politiker haben das Sparen nicht nötig, der Steuerzahler versorgt sie. Dafür belasten sie die Bürger, die für ihre Familien vorsorgen müssen, mit Strafsteuern auf das Sparen. Bis zur Finanzrepression, also negativen Realzinsen.

Die vielen Diener des Staates und des öffentlichen Interesses können die Forderungen an den Rest der Gesellschaft, nämlich zu sparen und Vorsorge zu treffen, für sich selbst ganz gelassen sehen. Sie sind relativ gut versorgt. Allerdings werden die durchaus gerechtfertigten Privilegien dieses „Dienstes für das Gemeinwohl“ vom Steuerzahler finanziert. Entsprechend gelassen sehen diese Kreise auch die rot-grünen Steuererhöhungspläne. Frei nach Mario Vargas Llosa: „Wer nicht vom Staatshaushalt lebt, lebt im Irrtum“ (El pez en el agua, 1993, S.163).

Wenn die linke politische Klasse mit Steuerpolitik eine Umverteilung von den „Reichen“ zu den „Armen“ verspricht, kann eine beträchtliche „Wählerkoalition“ zusammengeführt werden, die solche steuerpolitische „Gerechtigkeitspolitik“ unterstützt. Zu der Klientel der Unterstützer dieser Steuerpolitik gehören auch beide Großkirchen und die damit verbundene, ebenfalls vom Steuerzahler finanzierte „Wohlfahrtsindustrie“, von den KITAs bis zum Altersheim.

Für diese Gerechtigkeitspolitik hat sich Peer Steinbrück als Galionsfigur zur Verfügung gestellt. Für die ärgerlich oft posaunte Anmaßung, dass rot-grüne Umverteilung dem Gemeinwohl dient. Verteilungspolitik durch einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn von € 8,50 an aufwärts – der kosten- und preistreibende Lohnschub auf breiter Front wird folgen – und durch eine Besteuerung, die Vermögenssubstanz der Sparer und der vorsorgenden Familien verzehren wird.

Wissenschaftler wie der Vorsitzende des wirtschaftlichen Sachverständigenrates, Christoph M. Schmidt, oder der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, warnen vor der rot-grünen Mindestlohn- und Steuerpolitik. Prof. Schmidt zufolge könne diese Politik und die damit verbundenen Belastungen „die wirtschaftliche Entwicklung des Mittelstands in Deutschland empfindlich bremsen und Arbeitsplätze gefährden.“ *5)

Ähnlich Sorgen äußern Vertreter der mittelständischen Wirtschaft wie der Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, Brun-Hagen Hennerkes, oder der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer. Sie warnen vor den rot-grünen Steuerplänen, die wirtschaftliche Substanz gefährden können. Gerade beim unternehmerischen Mittelstand, der mit 80 % der Beschäftigten den Erfolg deutscher Wirtschaft gewährleistet.

Und da zeigt ein führender SPD-Finanzpolitiker, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, Vertretern von Wissenschaft und Wirtschaft – bereits mit kommender politischer Macht drohend – die rote Karte. Die von den SPD-Vorstellungen abweichende Meinung des DIHK-Präsidenten Schweitzer sei „üble und gezielte Hetze gegen Rot-Grün … fachlich durch nichts zu belegen.“

Und dann kommt der Wink mit dem Zaunpfahl durch den mächtigen Herrn Poß: „Herr Schweitzer hat offensichtlich noch nicht realisiert, dass die von ihm geführte Organisation in vielen Städten, Regionen und demnächst auch auf Bundesebene auf eine gute Kommunikation auch mit Sozialdemokraten angewiesen ist. Bereits nach wenigen Tagen stellt sich somit die Frage, ob sich der DIHK mit der Wahl Schweitzers einen Gefallen getan hat.“ *6)

Als Sozialdemokrat kann ich die hier referierte Kritik aus Wissenschaft und Wirtschaft an rot-grünen Plänen zur Umverteilung durch Eingriff in die Tarifautonomie und die Kritik an den steuerpolitischen Plänen weitgehend teilen.

Dagegen werden der gehässige Ton und die Drohung mit politischer Macht, die sich Herr Poß gegenüber begründeten Sorgen geleistet hat, das Ansehen der SPD bei vielen Bürgern herabsetzen. Nichtachtung und sogar Drohung gegen sachverständige Debattenbeiträge aus Wissenschaft und gewerblicher Wirtschaft – dies von einer SPD, die in den 1960er Jahren große Beiträge zur Verzahnung von Politik und wissenschaftlicher Politikberatung geleistet hat!

Einen derartigen Schlag gegen unsere politische Kultur offener Debatte hätte ich aus der Sozialdemokratie nicht erwartet. Die ist vor 150 Jahren gegründet worden, um Demokratie und Freiheit für alle Staatsbürger, gerade auch für die Arbeiter und die Frauen, zu erringen.

In diesem Ringen gebührt den Sozialdemokraten, ihren Politikern und Staatsmännern, ihren bedeutenden Frauen, historisch bleibende Anerkennung. Zu dieser Geschichte gehört heute vor allem die Meinungs- und Diskussionsfreiheit und zum Glück die freie Wahl.

*1) DTS-Meldung, 12.03.2013, Verdi-Chef Bsirske hält rot-rot-grüne Bundesregierung für denkbar. Sowie: ZEIT-Online, 29.03.2013, Berliner SPD-Chef offen für rot-grüne Minderheitsregierung im Bund.
*2) FOCUS Magazin | Nr. 13 (2013), Wie teuer wird Rot-Grün?
23.03.2013.
*3) www.bundesfinanzministerium.de/; Flat Tax oder Duale Einkommensteuer? Zwei Entwürfe zur Reform der deutschen Einkommensbesteuerung; Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen (Juli 2004). (RS: „neutrale“ Besteuerung heißt Gleichbehandlung unterschiedlicher Einkommensarten).
*4) Vgl. www.dbb.de/fileadmin/pdfs/2012/Zahlen Daten Fakten.
*5) www.focus.de/finanzen/news/konjunktur, Wirtschaftsweisen-Chef warnt, Steuererhöhungen Gift für den Mittelstand; 26.03.2013.
*6) spd.de, PRESSEMITTEILUNG, Üble Hetze des neuen DIHK-Präsidenten gegen Rot-Grün, Stand: 23.03.2013, Dokument Nummer: 415. (Hervorheb. RS). RS: Diese Tonart ist nicht angemessen. Dies zeigt die Lektüre des Interviews, das Heike Göbel und Philipp Krohn mit DIHK-Präsident Schweitzer führten: „In Zypern nicht russisches Roulette spielen“; FAZ, 21.03.2013.
Nachtrag 10. Mai 2013: Jetzt hat sich Herr Trittin bei DIHK-Präsident Schweitzer gemeldet. Mit der Aufforderung, von den Warnungen vor Arbeitsplatzverlusten Abstand zu nehmen. Der DIHK wird seine Berechnungen belegen können. Flächendeckender Mindestlohn von Euro 8.50 und die unsinnige Steuerpolitik ohne den Blick auf die Investitionsstandorte in der östlichen EU-Nachbarschaft – und dann Entrüstung über Kritik aus der Wirtschaft! Was auf private Sparer zukommt, wird kaum thematisiert. Durch Leisetreterei mit solchem Programm an die Macht? Trittin als kommender Finanzminister mit Herrn Poß – vereint in der Aufforderung an die Wirtschaft zu schweigen! Ist dies kaum verhüllte „vae victis“-Drohung? Diese skandalöse Aufführung kommender Inhaber von Regierungsmacht lässt bereits Zensurgelüste ahnen!
Der SPD-Vorwärts (09/2012, S. 9) hatte noch appelliert: „Bürger! Europäer! Mischt Euch ein!“ – Aber nur, wenn Ihr auf Linie bleibt, hieß das wohl auf SPD-Deutsch …