Stilfragen progressiver Politik.

Im Deutschen Bundestag und auch im Bundesrat wurde der Opfer der Katastrophe gedacht, die Japan getroffen hat.

„In dieser Stunde schwerster Prüfung steht Deutschland an der Seite Japans“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Namen aller Deutschen.

Dann stellte sich die Bundeskanzlerin der Debatte. Es sei „gut und nötig und auch sinnvoll, dass wir uns in energiepolitischen Fragen um die besten Antworten bemühen. Es ist auch gut und richtig, dass wir darüber immer wieder streiten. Das macht Opposition und Regierung aus.“

Auch im Bundesrat fand die amtierende Präsidentin, Hannelore Kraft, bewegende Worte der Verbundenheit mit den Menschen in Japan.

Zugleich kritisierte sie die AKW-Politik der Bundesregierung und forderte, wie Kurt Beck, eine alternative Weichenstellung für eine Zukunft ohne Kernenergie. Beide Ministerpräsidenten argumentierten hart in der Sache – „Bundesregierung ohne energiepolitischen Kurs“ (H. Kraft) – doch angemessen im Ton. Eine würdig geführte Kontroverse, dem Ernst der Situation entsprechend.

Im Deutschen Bundestag dagegen zeichneten sich zwei Parteivorsitzende der Opposition durch einen gänzlich anderen Debattenstil aus:

Frau Claudia Roth, MdB, zur Bundeskanzlerin: „Das ist eine große Lüge!“

Herr Sigmar Gabriel, MdB: „Keine Lügen mehr, Frau Bundeskanzlerin.“

Warum solche Entgleisungen im Bundestag? Weil dort im Unterschied zum Bundesrat die Öffentlichkeitswirkung höher ist? Lässt dies auf das Bild schliessen, das sich diese beiden Repräsentanten progressiver Politik vom Bürger machen? Hört man nicht gelegentlich in gewissen linken Kreisen subalternen Beifall für „eine richtige Rampensau“?

Soll dieser Stil eine progressive Partei prägen, die seit fast 150 Jahren für demokratische Institutionen gekämpft hat? Deren erster Staatsmann und Reichspräsident, Friedrich Ebert, sich zu Tode arbeitete, um den demokratischen Institutionen und ihren Repräsentanten in der Weimarer Republik gegen geifernden Mob aus Oberschichten Respekt zu sichern?

Solch parlamentarischer Umgang kann korrosive Wirkungen entfalten. Er untergräbt die Arbeit der vielfältigen Institutionen politischer Bildung, die für Wissen, informierte Argumentation und demokratische Streitkultur werben. Hans-Jochen Vogel, der ganz große Parlamentarier Deutschlands, warnte: „Wer auf andere mit dem Finger zeigt, auf den weisen drei Finger zurück!“

Deshalb wird der politisch engagierte Bürger begrüßen, dass Frau Birgit Homburger, MdB, folgendes ins parlamentarische Stammbuch schrieb: „Herr Gabriel, Sie haben Ihre bemerkenswerte Rede mit einer Vielzahl von Diffamierungen gespickt. Sie haben gesagt, dass die Regierung Sicherheitsprobleme vertuscht hat, dass Tricks der Atomwirtschaft gebilligt werden, und Sie haben von Deals gesprochen. Sie sprechen denen, die zu einem anderen Ergebnis kommen, die Ehre und die Verantwortung ab. Deshalb will ich Ihnen in aller Ruhe, aber auch mit allem Nachdruck sagen: Diese Debatte wird von Ihnen in einem Duktus geführt, der Anstand und den nötigen Respekt vor der Meinung anderer vermissen lässt.“