SZ und China gegen Blogger.

Dieser Bürger-„Journalist“ hat Hochachtung vor dem Beruf des Journalisten.

Das zeigt schon die Umständlichkeit, die Bezeichnung „Journalist“ in Anführungszeichen zu setzen, wenn dieser Begriff für meine Bloggerei verwendet wird.

Hochachtung steht Kritik nicht im Wege; denn nur was man achtet oder für gefährlich hält, lohnt kritische Auseinandersetzung. Hier geht es um einen Journalisten-Beitrag, den ich achte, der aber offenbar Blogger und das Netz für gefährlich hält.

Gegenstand ist der Artikel „Demokratie im Netz – So ein Schwarm kann sehr dumm sein“ von Frau Dr. Alexandra Borchardt, Chefin vom Dienst bei der Süddeutschen Zeitung. *) Mit Freude las ich: „Das Netz gilt als Befreiungstechnologie … Eröffnen die digitalen Wege nicht unzählige Möglichkeiten, die Bürgerrechte zu viel geringeren Kosten auszuüben als je zuvor?“.

Genau darum geht es, dachte ich. Denn: „Der Preis, den man für die Freiheit zahlen muss, sinkt, wenn die Nachfrage steigt.“ **) Dieses Wort des polnischen Schriftstellers Stanislaw Lec gilt auch umgekehrt, wie der DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke wusste: „Wieviel Wert Freiheit haben kann, konnte erfahren, wer darauf verzichten musste.“ Deshalb mein Appell für mehr Nachfrage nach und mehr Gebrauch der Freiheit im Netz: „Von der schweigenden Mehrheit zur bloggenden Mehrheit!“ (Blog vom 26.03.2012).

Leider wurde ich bei weiterer Lektüre schnell eines Besseren belehrt. Frau Dr. Borchardt sieht das Netz als „Ich-Medium“. Als Instrument von uns bloggenden Egomanen, die „ihre Meinung in die Welt blasen“, was uns „mit etwas Glück ohne Manager zur Prominenz verhilft“.

Jedoch ist dies Urteil für Frau Dr. Borchardt, die sich übrigens in dem Bemühen um den Status der Prominenz durchaus nicht selbst im Wege steht ***), nur das noch halbwegs positive „Einerseits“.

Bei den eher negativen Aspekten des „Andererseits“ kommt es wirklich dick für die Netz-Aktivisten, „einer überschätzten Minderheit“, die „häufig (der) Schwarmdummheit“ verfallen sei. Ergebnis: „Die Folgen ausbaden müssen andere. Das Netz stellt damit das Rechtssystem infrage, das auf dem Konzept des bewusst handelnden Individuums basiert.“ Philosophische Perspektive, alle Achtung!

Damit nicht genug: „Riskant für die Demokratie ist ferner, dass bei Beteiligungsprozessen über das Netz das Grundprinzip „one person, one vote“ seine Geltung verliert. Was nach den Stimmen der Vielen aussieht, kann sich als ein lauter Chor der Wenigen erweisen. Politiker überrascht es immer wieder, dass bei Bürgerentscheiden oder Wahlen, in denen jede Stimme das gleiche Gewicht hat, die wirkliche Mehrheit weit weg von der gefühlten Mehrheit liegt.“

Dass wir Blogger den Rechtsstaat und die Demokratie gefährden, weil bei Bürgerentscheiden und Wahlen nicht herauskommt, was Frau Dr. Borchardt und die von ihr konsultierten Politiker „fühlen“, trifft mich hart. Denn neben Journalisten sind gerade auch Politiker für mich Personen, die ich mit Respekt verbinde.

Wo nun Frau Borchardt Recht hat, hat sie Recht! Die Netz-„Transparenz zerstört Schutzräume der Demokratie“; denn „kill the middleman“ laute die Botschaft „von vielen jungen Leuten“ im Internet. Die wollen in ihrer „Schwarmdummheit“ nicht begreifen, wie sehr sie der Orientierung durch die Mittler, Multiplikatoren und Medienmacher bedürfen. Weil sie sonst „von der Flut der Informationen erdrückt“ werden.

Frau Borchardt erklärt uns dann, warum die Forderung junger Netz-Aktivisten, wie z.B. der Piraten, nach Transparenz so gefährlich ist: „Denn vollkommene Transparenz zerstöre, vor allem wenn sie mit großem Zeitdruck verbunden ist, die Schutzräume, in denen Demokratie erst gedeihen kann: Diskretion und Diplomatie, die Zeit zum Reifen von Überzeugungen, der öffentliche, von Medien gebündelte Diskurs.“

Das klingt vertraut seit Peer Steinbrück uns verklarte, dass Transparenz nur was für Diktaturen sei. Da ist dann Frau Borchardt bei China angelangt. Wie bei uns gelte dort der gleiche empirische Befund: „In China zum Beispiel nutzt ein verschwindend geringer Teil der Menschen das Netz zum politischen Diskurs“. Lassen wir es dabei!

Denn ein weiterer Vorwurf von Frau Borchardt an die Netz-Aktiven schmerzt gerade diesen seit 1960 eingeschriebenen Sozialdemokraten: „Wer arm ist, ungebildet, zu alt oder zu beschäftigt mit anderen Dingen des Lebens kommt in der digitalen Welt nicht vor.“ Und da will sogar meine Überlegung nicht recht trösten, dass diese Menschen auch in der Redaktion oder Leserschaft der Süddeutschen Zeitung nicht vorkommen.

Was dann doch ein wenig aufrichtet, ist Frau Borchardts Diktum: Diese digitale „Welt ist zudem eine vorwiegend männliche, weil das Medium nicht nur dem Technikinteresse, sondern auch einer Art Geltungsdrang entgegenkommt, die bei Männern besonders verbreitet ist.“ Wie gesagt, wo sie Recht hat, hat sie Recht.

Leider belässt es Frau Dr. Borchardt nicht bei dieser sicher gender-gerechten Feststellung. Denn ihr Artikel bläst zum Angriff: „Zu lange haben die demokratischen und meinungsbildenden Institutionen so getan, als wäre das Internet lediglich ein Kanal mehr zum Bestellen von Büchern und Versenden von Post … Es wird Zeit, wieder über Demokratie zu reden. Deren Institutionen müssen sich den digitalen Raum zurückerobern.“

Und damit eröffnet die Chefin vom Dienst die Hexenjagd gegen 10 „Selbstdarsteller im Netz“. Mir ist nur der Erste bekannt, dem es an den Kragen geht: der Blogger Sascha Lobo. Und jetzt merke selbst ich: Nicht nur „ein Schwarm kann sehr dumm sein“.

Mit Herrn Sascha Lobo wird nämlich von Frau Dr. Borchardt einer der qualitativ nun wirklich herausragenden Blogger Deutschlands vorgeführt. Dem wir nicht nur beste sozio-politische Blogs, sondern auch den Forschungs-Blog für die Fraunhofer-Gesellschaft verdanken. Dort veröffentlicht Herr Lobo Beiträge gemeinsam z.B. mit preisgekrönten Wissenschaftlern.

Und die SZ und ihre Chefin vom Dienst entblöden sich nicht, ihre Leser über Herrn Sascha Lobo nach den folgenden vier „Wertungen“ abstimmen zu lassen: 1) Selbstdarsteller mit Glamour-Faktor. 2) Selbstdarsteller mit Nervensägen-Potential. 3) Pseudo-Star, eigentlich ein kleines Licht. 4) Diese Person schätze ich für ihre Bescheidenheit.

Schon das vorläufige Ergebnis überrascht nicht: 50 % der daran beteiligten SZ-Leserschaft votiert für die Wertung 2), 33% für die Wertung 3). Da kann man der SZ und ihrer Chefin vom Dienst nur bescheinigen: Ganz nah bei den Lesern!

*) Demokratie im Netz – So ein Schwarm kann sehr dumm sein; Süddeutsche.de, 18.11.2012, von Alexandra Borchardt.

**) EINDRÜCKE – Was ist die Freiheit wert? focus.de/politik/, 29.09.1995, von Käte Lindner, Michael Fischer-Art und Günter Nooke.

***) Der Grund für die folgenden beiden Hinweise sollte dem Leser deutlich werden, wenn wir auf Herrn Sascha Lobo eingehen. Nach knapp einem Jahr Arbeit bei der FTD, ließ sich Teamleiterin Dr. Borchardt bescheinigen, dass sie für diese Tätigkeit das Opfer gebracht hatte, „sich deshalb 1994 von der Professoren-Laufbahn in den USA“ zu verabschieden. Und dass sie die Kunst beherrsche, „in jeder (journalistischen) Lebenslage die Ruhe zu bewahren und dennoch schneller als die Konkurrenz zu sein.“ (FTD.de, 01.10.2000). Und natürlich steht Frau Dr. Borchardt der alpha-Status zu, den der BR in seinem „alpha-Forum (für) Prominente Persönlichkeiten“ verleiht (br.de/…alpha-forum/alexandra-borchardt /12.06.2012).