Terror: Nebenwirkungen.

Heute im ZDF-TV „Die Geschichte der RAF“: Morde und Anschläge des Terrors der “Rote Armee Fraktion“. Weniger bekannt ist eine der Nebenwirkungen des Terrors: das damals durch Schnüffelei und Misstrauen vergiftete öffentliche Klima.

Besonders in Hamburg war die Stimmung aufgeheizt — BILD-Hetze hatte dazu beigetragen.

Der geschätzten Kommilitonin wurde im Hamburger Hauptbahnhof nachgerufen: „Da geht die Meinhof!“ Das war noch vor den Morden von 1977.

Im April 1977 ermordete die RAF Herrn Generalbundesanwalt Siegfried Buback. Damals lebte ich mit Freundin und ihrem Bruder in einer Wohnanlage mit Supermarkt im Erdgeschoss. Es fehlte auch nicht an geselligen Besuchen.

Wenn ich im Supermarkt einkaufte, fehlte allerdings auch nicht der Hausmeister, der sich herbei machte, um den Inhalt meines Einkaufswagens zu mustern …

Mitte Juni 1977 erhielt ich von Rolf Funck, Professor für Volkswirtschaftslehre am Karlsruher Institut für Technologie, telefonisch den Vorschlag, einen Beitrag über August Lösch und die Außenhandelstheorie in englischer Sprache zu schreiben.

Dies wollte ich in Ruhe und mit großer Sorgfalt erledigen. Deshalb fuhr ich am 25. Juli mit meinem Auto und den notwendigen Unterlagen in den angenehm erinnerten Odenwald nach Erbuch. Am Waldrand entlang, auf einer abfallenden Nebenstraße fiel mir ein nach rechts weisendes Schild „Pension-Zimmer frei“ auf. So kam ich zu einem einfachen Bauernhaus mit hohem Satteldach, einsam im Wiesengrund gelegen.

Über den vorgebauten Eingang zum Gewölbekeller führte von rechts ein Treppenaufgang gut zwei Meter hoch zur Haustür, vor der etwa 4 qm durch Geländer gesicherter Platz für den anklingelnden Besucher war.

Erfreut über meinen Wunsch, in Erbuch etwa zehn Tage Urlaub zu verbringen, bot mir das ältere Ehepaar an, für 10 DM/Tag das sehr einfache Zimmer auf dem Dachboden zu bewohnen. Da keine weiteren Gäste erwartet wurden, konnte ich eine Ecke im Frühstücksraum für meine Arbeit nutzen. Auch ich freute mich über die ruhige, preiswerte Unterkunft.

Ohne TV, Radio und Zeitungen zu beachten, plagte ich mich mit meinem Aufsatz. Mittags kaufte ich ein wenig ein und fuhr an stille Waldwege, um im Auto zu schreiben. Und wenn es nicht voranging, genoss ich einen kurzen Spaziergang, der mir über die Schreibblockade hinweg half. Notizzettel waren immer bereit.

Dem Leser, der nicht mehr bereit ist, dieser Erzählung zu folgen, kündige ich an, dass es jetzt zum Thema kommt.

Am 31. Juli sitze ich morgens im Frühstücksraum und hantiere an einigen Formulierungen. Gegen 12.00 Uhr fällt mir auf, dass das Haus völlig still ist, während sonst in der Küche Töpfe klapperten, Duft leckerer Hausmannskost durch den Frühstücksraum zog.

Nun, ich feile weiter am Text, als es dreimal klingelt. Keine Reaktion im Haus.

Ich raffe mich auf, öffne die Tür, trete hinaus — und sehe niemanden. Zwei Sekunden später schließt sich unter mir ein Halbkreis von acht Männern: Alle mit grauen, über dem Bund geräumigen Sportjacken bekleidet, graue Hosen, 25 bis 35 Jahre, durchtrainiert wirkend. Sie mustern mich.

Ich grüße freundlich: „Hier ist leider niemand zu Haus. Ich bin nur Gast. Wollen Sie nicht reinkommen.“ Nun mustern sich die acht Männer gegenseitig. Dann antwortet einer höflich: „Nein, danke“. Und sie gehen den Wiesenhang hinauf zur Straße.

Danach fahre ich in den Ort. Kaufe mir etwas zu essen. Und eine Zeitung. Und die Schlagzeilen lesend, dämmern mir die Zusammenhänge: Jürgen Ponto, Vorstandssprecher der Dresdner Bank, am Vortag ermordet, etwa 100 km nördlich von Erbuch in seinem Haus bei Oberursel.

Nach der Rückkehr gehen mir meine Wirtsleute geflissentlich aus dem Weg. Sie wirken erleichtert, als ich sie frage, ob es recht sei, wenn ich den Aufenthalt abkürze, da meine Arbeitsfortschritte größer als erwartet seien.

Ungewollt vorzeitig zurück nach Hamburg — gewiss eine scheinbar nur geringe Nebenwirkung des Terrors.

Heute fragen Medien, was Terrornachrichten mit uns machen: „Verängstigung und Misstrauen sind, insbesondere in großen Städten, zunehmend spürbar … Sind wir bereits als Kollektiv traumatisiert?“ *1)

Wir alle kennen den Satz: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker …

Nebenwirkungen des Terrors — wie lange kommt die politische Klasse noch mit ihrer Standard-Antwort durch: Leben Sie Ihr gewohntes Leben weiter.

*1) Wir und der Terror. Was Terrornachrichten mit uns machen. Fast täglich gibt es Attentate, Sabotageakte und Attacken auf Zivilisten. Aufgeregt oder abgestumpft: Wie reagieren Individuen, wie die Gesellschaft? Fragen und Antworten zum Thema. CAROLINE FETSCHER. 22.06.2017; https://www.tagesspiegel.de/politik/wir-und-der-terror-was-terrornachrichten-mit-uns-machen/19968470.html.