Teufel Amerika.

Dieser Blick auf die USA ist ein Spontan-Reflex der Linken seit einem halben Jahrhundert, wie ich von 1968er-Kollegen sehr genau weiß. Denn Amerika hat immer Schuld.

Sei es, dass es selbst schuld ist, wenn es von einem Unglück wie am 11. September 2001 getroffen wird; denn „Terroristen fallen nicht vom Himmel“, wie man von geschätzten Linken alsbald belehrt wurde.

Oder Amerika ist schuld an fast jedem Problem in unseren europäischen Nachbarschaftsräumen: Sei es wegen der Untat, den Massenmörder Saddam Hussein zu beseitigen. Sei es, weil der russländische Präsident Putin von den USA „gedemütigt“ wurde und, so tief gekränkt, die Ukraine überfallen musste. Oder sei es, weil Putins maritimpolitischer Partner Assad von den USA in den Bürgerkrieg getrieben wurde. Und wir deshalb die Flüchtlingskrise vor den Haustüren haben.

Kurz: Der Teufel Amerika hat überall, wo deutsche Linke den Täter suchen, die Finger mitten drin. Und dies entlastet, dies tröstet aus linker Sicht über viele Probleme hinweg. Denn man kann endlich wieder mit dem Finger zeigen: auf den Raubtier-Kapitalismus, auf die USA-NSA-CIA-Spionagedienste, auf das reiche, brutale, imperialistische Amerika.

Die führenden Linken im Deutschen Bundestag, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, bezichtigen die USA, das Elend der Flüchtlingsströme nach Europa ausgelöst zu haben, weil sie „ganze Regionen destabilisiert, … Terrororganisationen möglich gemacht und instrumentalisiert haben.“ *1) Deshalb hätte die Bundesregierung zwar die Pflicht, aber nicht den Mut, Präsident Obama zur Erstattung von Kosten für die Aufnahme der Flüchtlinge aufzufordern.

Bei dieser Analyse und Forderung kann sich die Linke auf das Urteil eines bekannten Experten stützen. Herr Dr. Michael Lüders ist seit vielen Jahren als Publizist und Redner hervorgetreten, Spezialist für die Vorhersage von „Blutbädern“ in Ländern und Krisenregionen, die im „Chaos versinken“.

Wer wollte bestreiten, dass einiges für seine Beobachtungen sprach, wer widerspräche der Wetterfrau, die im strömenden Regen die Nässe beklagt? Deshalb sind Herr Dr. Lüders und seine anregenden Beiträge in den Medien gerne gesehen.

Und jetzt analysiert und erklärt er uns die Welt: „Der Islamische Staat ist das Produkt der USA. Al Kaida, die Taliban in Afghanistan sind entstanden als Reaktion auf die amerikanische Interventionspolitik dort. Aber man lernt aus diesen Fehlern nicht. Man macht immer wieder denselben Fehler. Und jetzt haben wir als Quittung dieser Politik eine massive Flüchtlingsbewegung aus dem Irak, aus Syrien.“ *2)

Leider verfüge ich nicht auch nur annähernd über den von Herrn Dr. Lüders durch Reisen, Gespräche und Forschung erworbenen Sachverstand, um sein Urteil und damit das vieler auf seine Kenntnisse zugreifenden Linken kritisch zu kommentieren.

Doch auch ein Sonntagsblogger und politisch interessierter Bürger sollte sich in einer Krisenzeit zu einer Position durchringen. Und dabei hilft ein Blick zurück. Auf eine Zeit, es war Ende 2001 oder Anfang 2002, als Herr Lüders höchst eloquent ein zahlreich erschienenes Publikum mit eben jenen oben erwähnten Vorhersagen das Gruseln lehrte.

Damals hatte sich der Schriftsteller Amos Oz — der mit seiner Übersetzerin Mirjam Pressler 2015 den „Internationalen Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt“ für das Werk „Judas“ erhielt — über linke europäische Meinungsführer geäußert.

Diese linken Meinungsführer Europas machen ja bekanntlich die USA auch für das Elend in der Dritten Welt verantwortlich. Und für die von den USA angeblich kontrollierten Institutionen wie Weltbank oder Internationaler Währungsfonds (IWF), die gerade in der Dritten Welt Qualität der Regierungsführung und Abbau der Korruption einfordern, haben sie nur Verachtung.

Und hier ist der Ansatz, mit dem Amos Oz hilft, eine Position gegenüber der Linken und dem Experten Michael Lüders zu entwickeln.

„Die Europäer sagen oft: Die Dritte Welt ist so arm, da fordern wir keine ethischen Grundsätze ein. Ich halte dies für eine fast rassistische Haltung. Denn kein Mensch verdient moralische Zugeständnisse, keiner eine ermäßigte Moral … Das Mitfühlen mit den armen und unterdrückten Staaten geht zudem einher mit Antiamerikanismus. Und wenn Amerika der Teufel ist, dann ist Israel Rosemaries Baby. Das schlechte Gewissen gegenüber der Dritten Welt paart sich auf sonderbare Weise mit einer verqueren Mythologie. Grob gesagt: Saddam ist ein guter Freund von Gaddafi, Gaddafi ist ein Liebling von Fidel, Fidel war der Bruder von Che, Che war Jesus, Jesus Liebe, und daher müssen wir Saddam lieben.“ *3)

Und weil der Teufel Amerika sich damals zu dieser Betrachtungsweise nicht in der Lage sah, von seinen „völkerrechtswidrigen“ (Lüders) Kriegen und Interventionen nicht lassen konnte, haben wir eben heute die „Quittung“ (Lüders) — all die Krisen, die uns die USA eingebrockt haben.

*1) Wagenknecht und Bartsch. Linke nennen USA Hauptverursacher der Flüchtlingskrise; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/linke-fluechtlinge-wagenknecht-sieht-usa-als-schuldigen-a-1051623.html; 06.09.2015.

*2) Flüchtlingskrise. „Eigentlich müssten die Europäer die USA in die Pflicht nehmen.“ Für den Nahostexperten Michael Lüders steht fest: Vor allem die USA sind verantwortlich für die Krisen in der Region. Die Flüchtlingsbewegung sei die Quittung für die dortige Interventionspolitik. http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingskrise-eigentlich-muessten-die-europaeer-die-usa.694.de.html?dram:article_id=330225; Michael Lüders im Gespräch mit Christine Heuer, 05.09.2015.

*3) Amos Oz über die Europäer. „Amerika ist der Teufel und Israel Rosemaries Baby“. SPIEGEL ONLINE, 23. Oktober 2002.