Theo Sommers Hebdo …

… also das Wochenblatt DIE ZEIT, hat uns gezeigt, wie sich eine Selbstverständlichkeit („Medien müssen nicht Karikaturen von ´Charlie Hebdo` abbilden“) etwas pompös aufplustert: „Das eigene Ethos muss ihren Umgang damit bestimmen.“ *1)

Da mein eigenes Ethos nicht die wünschbar „feste Burg“ ist, da Theo Sommers Beiträge seit mindestens 50 Jahren im Blickfeld von Lesern meiner Generation stehen, und wichtige Zeitungen Theo Sommer als „Moralisten“ *2) anerkennen: Was können wir im Fall ´Charlie Hebdo` von Theo Sommer lernen?

Erstens, eine wichtige „Selbstverständlichkeit“ für Journalisten: „Unsere Solidarität mit Charlie Hebdo … (denn das) Attentat von Paris war ein Anschlag auf das Wertefundament unserer offenen Gesellschaften.“ *1)

Zweitens, dass wir intelligente Redaktionen in unseren Medien haben: „In vielen Redaktionen wird freilich in den vergangenen Tagen heftig debattiert, welchen Ausdruck diese Solidarität finden soll … muss Solidarität dadurch demonstriert werden, dass man die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo nachdruckt? Ist es ein Zeichen mangelnder Solidarität, sie nicht nachzudrucken?“ *1)

Die Anwort auf diese Frage Sommers ist selbstverständlich: Nein!

Wer überdies die Reaktionen auf das Attentat im Freundeskreis von „Charlie Hebdo“ auch nur oberflächlich zur Kenntnis genommen hat, ist wohl überzeugt, dass die Mordopfer diese Frage Theo Sommers als Beleidigung empfunden hätten.

Sicher wäre ihnen eine Antwort ganz im Sinne der Etikettierung Sommers eingefallen: „frech, respektlos, unehrerbietig, oft geschmacklos, krude, vulgär, obszön. Die Absicht, auf die Schippe zu nehmen, Tabus zu brechen, zu kränken, zu verunglimpfen, kannte keine Grenzen des Anstands.“ *1) Andere Länder, andere Sitten …

„Jedermanns Sache war dies alles nicht“ *1), lernen wir, drittens, von Theo Sommer über „Charlie Hebdo“. Recht hat er, deshalb ist er ja europaweit so angesehen als „der Inbegriff des politisch geradezu niederschmetternd korrekten Moralisten“ *2).

Und nach diesen drei Lehren wäre es besser gewesen, die Lektüre der Kolumne Theo Sommers zu beenden; aber fünf Jahrzehnte Gewohnheit …

Der erste schwerwiegende politische faux-pas Theo Sommers ist, dass er den Außenminister Frankreichs, Laurent Fabius, nach den blutigen Morden für seine kritischen Bemerkungen über „Charlie Hebdo“ in Anspruch nimmt. 2012 hatte Laurent Fabius an einer Karikatur-Satire des Magazins Charlie Hebdo beanstandet, „in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus gieße die Redaktion Öl ins Feuer.“ *1)

Obwohl Sommer selbst feststellt, mit „seiner militanten Religionsfeindlichkeit hat das Blatt alle provoziert, Muslime, Christen, Juden, Buddhisten. Nichts war ihm heilig.“ *1) Genau dies hat jedoch die intellektuelle und nicht nur junge Leserschaft für „Charlie Hebdo“ so begeistert.

Heute zitierte übrigens der Deutschlandfunk Laurent Fabius, der am 14. Januar wegen dienstlicher Reise-Verpflichtung an dem Solidaritätsmarsch durch Paris nicht teilnehmen konnte. Außenminister Fabius betonte, wie traurig er deshalb gewesen sei. Als er die Bilder gesehen habe, wie eine Million Menschen und ein halbes Hundert Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Politiker aus aller Welt sich in Paris zusammenfanden.

Doch der schlimmste faux-pas Theo Sommers ist das kleinkarierte Bild, das er von den kulturellen und intellektuellen Eliten Frankreichs und seiner Jugend zeichnet.

Seine fatale „Vorbemerkung“: „Charlie Hebdo hat sich nie solch allgemeiner Wertschätzung erfreut, wie sie das Satiremagazin seit dem Massaker vom vergangenen Donnerstag erfährt — dies belegen schon die Auflagenzahlen, magere 60.000, vielleicht sogar nur 30.000.“ *1)

Dies ist nun wirklich sehr dürftig. Außerdem arrogant: Das Magazin Charlie wird gesammelt, Herr Sommer! Wer sammelt die Zeit? Deshalb ist die Mühe sinnlos, eine Sofort-Liste zu präsentieren, die zeigen würde, wie eng „Charlie Hebdo“ über Generationen gerade mit dem links-intellektuellen Frankreich verbunden war.

Seit 1970, als das Blatt „Hara Kiri“ von der französischen Regierung verboten wurde, weil es eine im Sinne Theo Sommers „geschmacklose“ Satire zum Tode des Staatsmannes Charles de Gaulle veröffentlicht hatte.

Damals schon entsprach die Methode des satirischen „Nachrichten-Mix“ dem besonderen Geschmack der intellektuellen Jugend Frankreichs: In der französischen Stadt Saint Laurant-du-Pont war 1970 ein Ballabend tragisch geendet; 146 Menschen starben in einer Feuersbrunst. Kurz darauf verschied der von der Jugend Frankreichs als unerträglich autoritär empfundene Charles de Gaulle in Colombey. Das Hara Kiri-Plakat auf der Titelseite: „Ein tragischer Ball in Colombey – 1 Toter.“ *3)

Und bei dieser Methode des satirischen „Nachrichten-Mix“ ist „Charlie Hebdo“ geblieben. Im Sommer 2014 verstörten Nachrichten, wie IS-Islamisten im Irak Menschen köpften, als schächteten sie Hammel. Sie brüsteten sich mit Video-Bildern, die natürlich in zivilisierten Ländern und verantwortungsvollen Medien tabu waren.

Ende August 2014 brachte „Charlie Hebdo — Journal Irresponsable“ auf der Titelseite die Karikatur eines Islamisten im Begriff, seinem knienden Opfer die Kehle durchzuschneiden. Quer über dem Titelblatt die Überschrift „Kabinettsumbildung“ und die Frage: „Sollte man solche Bilder zeigen?“ *3) Das Gesicht des IS-Terroristen trug unverkennbar die Züge des französischen Premierministers Manuel Valls, das kniende Opfer stellte den gerade zurückgetretenen Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg dar.

Das ist politische Satire in Frankreich — geprägt von herausragenden Intellektuellen und Karikaturisten, die sich über Jahrzehnte gegen autoritäre Anmaßung in ihrem Land engagiert hatten. Die Mörder brauchten nur wenige Sekunden, um sie zu vernichten. In der ganzen Welt trauern Demokraten.

Die Satire von „Charlie Hebdo — Journal Irresponsable“ passt Theo Sommer und seinem journalistischen „Ethos“ nicht. Wir haben verstanden. Dies passt wohl auch nicht zum Stil der ZEIT. Wohl auch nicht zu Theo Sommers Bild von Deutschland.

Ist dieses — Theo Sommers Deutschlandbild — das Deutschland, das einer unserer größten Chronisten und Schriftsteller, Walter Kempowski, so beschreibt?

„Alles, was mir passiert, nehme ich von der grotesken Seite. Das ist unverzeihlich in einem Lande, in dem schwarz schwarz ist und weiß weiß … Über etwas lachen zu müssen ist den Deutschen verdächtig. Bis heute hat ein Wilhelm Busch keine Daseinsberechtigung in unserem böllgeschädigten Bildungssystem. Die junge Generation wurde von Achtundsechzigern erzogen, und Revolutionäre können keinen Sinn für Humor haben.“ *4)

*1) Mohammed-Karikaturen sind keine Mutprobe. Von Theo Sommer. FÜNF vor 8.00. 13.01.2015; ZEITONLINE.

*2) Deutsche Steuerbetrüger. Die Reue deutscher Moralisten. Ulrich Schmid, Berlin 4.2.2014;

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/die-reue-deutscher-moralisten.

*3) On not understanding „Charlie“: Why many smart people are getting it wrong. By tekno 2600. http://www.dailykos.com/story/2015/01/11/1356945/-On-not-understanding-Charlie-Why-many-smart-people-are-getting-it-wrong. SUN JAN 11, 2015 AT 12:00 PM PST. Also republished by MOREANBETTERDEMOCRATS. Siehe auch: http://www.quora.com/What-was-the-context-of-Charlie-Hebdos-cartoon-depicting-Boko-Haram-sex-slaves-as-welfare-queens; Adrien Lucas Ecoffet, French citizen.

*4) Interview Walter Kempowski. Der Mensch muß uns doch für verrückt halten! Das Gespräch führten Hannes Hintermeier und Edo Reents. Quelle: F.A.Z., 22.09.2006, Nr. 221 / Seite 36; www.faz.net.