Wahlkampf in Hellas.

Still ruht der See, aber nur in Deutschland. Sorge um geleistete Bürgschaften für Hellas-Schulden und vor neuen „Schulden-Schnitten“ mischt sich mit Bürgerwut.

Bürgerwut, weil Hellas ein Beispiel geben könnte für die verkehrte Welt; Älteren ist die verkehrte Welt schon aus früher Schulzeit vertraut: „Dunkel war’s, der Mond schien helle …“. Aber schon das Lukas-Evangelium warnte: „Weh euch, die ihr hier lachet! Denn ihr werdet weinen und heulen.“ (6, 25)

Und nun hockt die Angst hinter der Bürgerwut in Deutschland. Verkehrte Welt: Schuldner lachen, Gläubiger weinen. Das könnte passieren, wenn Alexis Tsipras mit der Partei Syriza am 25. Januar die Wahl für das Parlament, Vouli ton Ellinon, gewinnt und Regierungschef wird.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Sigmar Gabriel verstanden den deutschen Bürger und Steuerzahler. Beide redeten anfangs vielleicht vorschnell Klartext, verbunden mit schwachem Trost: Sollte Hellas künftig die Kreditauflagen und den Rat der Troika (Internationaler Währungsfonds, EU-Kommisssion, Europäische Zentralbank) ignorieren, wäre ein „Ausscheiden aus dem Euro möglich“ *1) und „verkraftbar“ *2).

Da machte die mit Tsipras befreundete LINKE mobil, als deren EU-Spitzenkandidat Tsipras bei der Europawahl 2014 angetreten war: Griechenland sei nicht das Privateigentum Merkels und Deutschland habe sich aus dem Wahlkampf in Hellas herauszuhalten. *1)

Und — je nach politischem Standort — mag es als Blütentraum oder als Albtraum erscheinen: Die LINKE bekam Beihilfe von mächtigen und viel vom Geschäft mit Feldwaffen oder maritimen Waffen wissenden Herren. Nämlich von Horst Seehofer, bayerischer Ministerpräsident und Vorsitzender der CSU. Und von Ralf Stegner, Vorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein, ihrer dortigen Landtagsfraktion und stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender.

Und beide warnten in — ganz seltener oder gar verdächtiger? — Einmütigkeit, sich in den griechischen Wahlkampf einzumischen. Seitdem schweigen Kanzlerin und Vizekanzler.

Wie gesagt, beide Herren, Seehofer und Stegner, wissen von Berufs wegen viel vom deutschen Rüstungsgeschäft und den großen Firmennamen, die damit verbunden sind. Ganz zu schweigen von den vielen zuliefernden Klein- und Mittelbetrieben.

Immer wieder hört man auch in der Schuldendebatte um Griechenland den Dreiklang großer Industrienamen: Rheinmetall, Krauss-Maffei-Wegmann, Thyssen-Krupp. Und den Dreiklang des „Made in Germany“: Raketen, Panzer, U-Boote. Und natürlich vieles, vieles mehr.

Das haben Leichen im Keller so an sich, die Gerüchte wabern, bis immer mal wieder abgerechnet wird, mehr oder weniger gründlich. Gerade weil Alexis Tsipras bald neuer Regierungschef werden könnte, warten wir auf auf Klarheit in diesem Dunkelfeld.

Über deutsch-griechische Dunkelkammern ist eine SPD-Politikerin und Wissenschaftlerin bestens informiert. Bis 2005 wirkte sie im Deutschen Bundestag. 25 Jahre diente sie als Volksvertreterin, leistete viel auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet und als Hellas-Kennerin. Wer mit ihr zu tun hatte, nannte sie respektvoll: SSS. Die Rede ist von Dr.rer.pol. Sigrid Skarpelis-Sperk, Präsidentin der Vereinigung der Deutsch-Griechischen Gesellschaften. Nicht selten wird sie dem linken Flügel der SPD zugerechnet.

Frau Dr. Skarpelis-Sperk ist um die griechische Sozialdemokratie (PASOK) hoch verdient. Vor allem im Widerstand gegen die Diktatur der Obristen hat sie selbstlos geholfen. Ein besonders wichtiger Partner war in München „Akis Tsochatzopoulos in dieser Zeit Vorsitzender von PAK (Panhellenische Befreiungsbewegung) für Deutschland.“ *3)

Da Frau Skarpelis-Sperk sich bei ATTAC engagiert und dem linken Flügel der SPD zugerechnet wird, erscheint ihre Liebe zu Hellas manchmal etwas parteipolitisch eingeengt, was bei Beziehungen zu Partnerländern durchaus riskant ist.

So stellt sie in ihrem persönlich-politischen Rückblick auf die deutsch-hellenischen Beziehungen klar: „Die Jahre 2003 – 2009 übergehe ich hier ausdrücklich — ich würde nur bitter.“ *3)

Das überrascht auch diesen sozialdemokratischen Hellas-Sympathisanten. Denn die Jahre unter dem jungen Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis, wie dort üblich Sproß einer der mächtigen Politik-Familien, doch nicht von PASOK, sondern von der konservativen Partei Nea Dimokratia, diese Jahre waren nicht die schlechtesten für die Griechen.

In der Zypernfrage und der Zusammenarbeit mit der Türkei wurden begrüßenswerte Initiativen entwickelt, um der katastrophalen Drohungs- und Rüstungsspirale zwischen zwei NATO-Partnern ein Ende zu machen. Die jährliche Wirtschaftsleistung wuchs zufriedenstellend bis zur Weltwirtschaftskrise 2008/2009.

In dieser Zeit ereignete sich ein Immobilienskandal. Wohl im ortsüblichen Rahmen, wenn auch mit wechselnden Akteuren. Diesmal ging es um ein Tauschgeschäft zwischen dem griechischen Staat und einem Kloster. Der Skandal und die verschlechterte wirtschaftlich-finanzielle Lage veranlassten Regierungschef Karamanlis zu vorgezogenen Neuwahlen, die für PASOK einen Erdrutschsieg brachten.

Eigentlich könnten die Jahre, die diesem PASOK-Sieg folgten, sozialdemokratische Hellas-Sympathisanten richtig „bitter“ machen. Denn nun nahm die Abrechnung ihren Lauf. Nicht etwa wegen des umstrittenen Immobiliendeals zugunsten besagten Klosters. Nein, nun ging es um die großen Geschäfte hinter dem magischen deutsche Rüstungs-Sechseck: Rheinmetall — Krauss-Maffei-Wegmann — Thyssen-Krupp — Raketen — Panzer — U-Boote. Da traf es, wie es bei Sozialdemokraten hieß, den „lieben Akis“ Tsochatzopoulos hart. Ortsüblich hart?

Als ein ungewöhnlich tüchtiger Mann hatte er es in jungen Jahren in München zu zwei Diplomtiteln gebracht: Bauingenieur und Wirtschaftsingenieur. Als Ingenieur und als Politiker machte Tsochatzopoulos schnell Karriere. 1995 wurde er zum mächtigen stellvertretenden Ministerpräsidenten berufen. Aber sein Interesse galt dem Verteidigungsministerium, das er bis 2001 eisern kontrollierte. Zuletzt amtierte er als Entwicklungsminister. Undurchsichtige Verbindungen zur Firma Ferrostaal, zum Münchener Lastwagenbauer MAN und — U-Boote — zur Howaldtswerke-Deutsche Werft AG (HDW) wurden ihm zum Verhängnis. Herr Tsochatzopoulos büßt mit langjähriger Haft. *4)

Tsochatzopoulos, ein fraglos bedeutender Mann, hatte sich in den “Werkzeugen“ der deutsch-hellenischen Groß-Korruption verfangen: „Special tools“ — das Schmiergeld für die Entscheidungsträger ganz oben; „Downstreaming“ — Schmiergeld für die Mitwisser auf Arbeitsebene. Deutsche Wirtschaftsdelegationen — alle, alle nah und fern Beteiligten wussten es — wurden von lokalen „sharp operators“ in Athen präzise informiert.

Zum Beispiel: der Staatssekretär X im Ministerium Y hat die Verbindungen a bis t; er hat auch Probleme; denn seine Frau ist ihm durchgebrannt, oder dies oder jenes. Beamtete Mitwisser auf Arbeitsebenen wurden mit „Studien und Gutachten“ beauftragt. Da floss kein Kleingeld! Und zusätzlich waren aus bereits „erfolgreich“ abgeschlossenen Projekten bewährte „Loyalities“ zu bewahren, durch Zahlungen selbstverständlich. Von deutschen Händen in griechische Hände, per Umschlag, verschlossen, oder über feine Bankiers, immer streng nach Protokoll. *5)

Vor diesem Hintergrund kann man die gespannte Ruhe in Deutschlands Führungskreisen verstehen, wenn jetzt Alexis Tsipras am Tor der Villa Maximos rüttelt und schreit: „Ich will hier rein!“ Keine Sorge jedoch! Alexis Tsipras ist ein sympathischer und nüchtern auftretender Mann. Der weiß, wie man sich vor dem Amtssitz des Ministerpräsidenten benimmt. Und vielleicht geht ein Ministerpräsident Tsipras mal einigen deutschen Korruptionspartnern der jüngeren Vergangenheit an die bisher allzu weißen Westen. Wäre höchste Zeit!

Wer sich näher über den Menschen und Politiker Alexis Tsipras informiert hat, wird hoffen, dass es nach dem 25. Januar bei einer pragmatischen Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung bleibt. Wahlkampf und Regierungsverantwortung sind auch in Hellas zwei grundverschiedene Bereiche politischer Aktivität. Alexis Tsipras ist gewiss kein Abenteurer, sondern ein hochqualifizierter Ingenieur und nüchtern denkender Politiker.

Enden wir mit einer etwas heiteren Note. Dank meines weltweiten Stringer-Netzwerks, das für Informationen, Ideen und Argumente mit dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt wird, erreichte mich brandaktuelle Nachricht aus Athen.

Kollegin Despo Flippkouri und Kollege Akis Filoukas sagen einen großen Wahlsieg für Alexis Tsipras voraus. Sie standen wohl sehr unter dem Eindruck einer feurigen Wahlrede dieses hellenischen Charismatikers.

Der muss sie auch anschließend zu einer Feier eingeladen haben, denn von meinem Honorar können die leidgeprüften lieben Beiden die offensichtlich genossenen Ouzo-Mengen nicht bezahlt haben.

Bei dieser Feier der sangesfreudigen Hellenen muss es hoch her gegangen sein. Denn ich brauchte lange, um den mit Videoklang untermalten Bericht halbwegs in Form zu bringen. Und auch das klappte nur, weil ich die Melodie wieder erkannte.

Die Melodie eines Liedes, das hoch ragt als Beitrag zur internationalen Musikgeschichte. In seiner deutsch abgekupferten Fassung der Gruß einer ehrenwerten, dort hochangesehenen Dame: Ich bin ein Mädchen aus Piräus.

Hier die korrigierte Fassung des politischen Sachberichts zur kommenden Wahl am Sonntag, den 25. Januar, in Griechenland.

Wir hatten Wahlkampf in Piräus

am Hafen und Jubel,

der brauste über’s Meer.

Alexis Tsipras woll’n wir wählen,

wie Erdrutsch, egal ob’s Deutschland passt!

An Stimmen wird’s nicht fehlen,

dass sich die Deutschen quälen

mit uns’rer Schuldenlast.

ER endet das Gespare

in Hellas, und uns’re Träume blühn.

Die Deutschen müssen zahlen,

in Hamburg, in Leipzig,

in München und Berlin.

Das Geld wird kommen,

es ist nur für den Einen,

den Hellas liebt wie keinen,

weil er uns glücklich macht.

Das Geld wird kommen,

Griechen und Deutsche einen

im Lachen und im Weinen,

wenn Ihr uns den Euro lasst.

Autoren: Despo Flippkouri und Akis Filoukas.

*1) WAHLKAMPF. Linke wirft Merkel Einmischung in Griechenland vor; www.handelsblatt.com/politik/international/wahlkampf-linke-wirft-merkel-einmischung-in-griechenland-vor; 11.01.2015.

Nachtrag 21.01.2015: Diese Intervention der LINKEN (Frau Wagenknecht), vorgeblich natürlich für demokratische Regeln und Anstand, entpuppt sich als verlogen. „Die Vorsitzende der Linksfraktion im EU-Parlament, Gabi Zimmer, hofft auf einen Sieg der Linkspartei Syriza bei der griechischen Parlamentswahl am kommenden Sonntag: ´Sollte Syriza die Wahlen gewinnen, böte sich eine Chance auf Besserung für die leidende Bevölkerung`“ Siehe DTS-Meldung vom 21.01.2015, 16:28 Uhr: „Zimmer: Syriza-Wahlsieg könnte griechische Bevölkerung entlasten.“ (Mit Bezug auf „Neues Deutschland“, RS)

*2) Seehofer über Kritik an Griechenland; SPIEGELONLINE, 05. Januar 2015.

*3) Sigrid Skarpelis-Sperk, Vortrag gehalten auf der Tagung „Meilensteine deutsch-griechischer Beziehungen“ Athen, 16. und 17. April 2010; Griechenland und Deutschland – 40 Jahre persönliche und politische Erfahrungen, http://www.vdgg.de/Tagung_MeilensteineAthen_SSS.pdf.

*4) AFFÄREN. Der griechische Freund. Von Dahlkamp, Jürgen und Schmitt, Jörg. 18.04.2011, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78076165.html.

*5) Bis Deutschland sprachen sich die Details herum. Siehe stellvertretend: Schmiergeld-Skandal um Rheinmetall. Entlarvende Mails. Dunkelmänner, abhörsichere Verbindungen, „Spezialwerkzeuge“. Von Klaus Ott. Sueddeutsche.de, Wirtschaft. 27. Oktober 2014.