Trump: mid-term crisis?

Der USA-Experte Sigmar Gabriel weiß nach den midterm-Wahlen vom 6.11.2018, dass die Demokratische Partei alles falsch macht, die Medien ebenso, und darüber komme der republikanische Präsident Donald Trump „abends vor Lachen nicht in den Schlaf.“ *1)

Auch wenn diese Meldung vom 11.11., dem Beginn des närrischen Treibens datiert, auch wenn Gabriel sämtliche Wahlkämpfe vermasselt hat, die er als Ministerpräsident Niedersachsens oder als SPD-Vorsitzender führte — er weilte kürzlich drei Wochen an der Harvard-University, und er mag aus seinen Wahldesastern gelernt haben.

Also sollte man seine Argumente zur Kenntnis nehmen. Zumal sie die bedrohliche Aussicht stützen, dass Präsident Trump 2020 eine Wiederwahl gelingen könnte.

Die midterm-Wahlen 2018 im Zwei-Parteien-System zwischen Demokraten und Republikanern umfassten: *3)

  • Neuwahl der 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses (kurz: House), alle zwei Jahre.
  • Neuwahl von rd. einem Drittel der Mitglieder des Senats (35 von 100), alle zwei Jahre.
  • In 36 von 50 Bundesstaaten (kurz: states) wurden die Gouverneure für eine vierjährige Amtszeit neu gewählt.
  • Auch für die meisten Parlamente der states wurde gewählt.

Ergebnis der midterm-Wahlen 2018 ist für die US-Legislative:

  • Die Demokraten haben gegen die Republikaner die Mehrheit im House erobert.
  • Die Republikaner konnten ihre Mehrheit im Senat knapp behaupten.
  • Bei gespaltenen Mehrheitsverhältnissen in der US-Legislative sind die Demokraten politisch gestärkt, um die Administration Präsident Trumps auf Amtsmissbrauch zu untersuchen oder ihr Zusammenarbeit abzuringen.

Trotz des Erfolges der Demokraten bei der midterm-Wahl zum Repräsentantenhaus kritisiert Gabriel die politische Strategie der Demokratischen Partei. *1) Die Demokraten:

  1. seien zu sehr darauf konzentriert, ihre Anhänger zur Stimmabgabe zu mobilisieren;
  2. hätten zu wenig den „Brückenbau“ versucht, um bisherige Trump-Wähler für einen Wechsel des politischen Lagers zu gewinnen;
  3. hätten zu sehr Obamas Reform der Gesundheitsversicherung als Kern des Wahlkampfs verteidigt. Dies werde 2020 programmatisch nicht reichen (Healthcare; Obamacare, „Patient Protection and Affordable Care Act of 2010″, im folgenden kurz: Obamacare);
  4. seien zu stark auf eine Wahlkoalition von Minderheiten *4) ausgerichtet und vernachlässigten die weiße Arbeitnehmer-Mehrheit.

Gabriels Kritikpunkte werden in diesem Blog-Beitrag mit Analysen amerikanischer Fachleute zu den midterm-Wahlen verglichen. *5) *6)

1. Zu sehr auf Wahlbeteiligung der demokratischen Anhänger gesetzt?

Wahlen vergangener Jahre hätten in den USA einen weit höheren Anteil an Wechselwählern als derzeit gezeigt. Durch die starke parteipolitische Polarisierung sei das Stimmverhalten stärker durch Parteibindung gekennzeichnet und damit berechenbarer geworden: Im Wahlkampf gehe es dann weniger um Überzeugung als um Mobilisierung — „It’s less of a persuasion race, it’s more of a mobilization race.“ *5 VW, S. 6 f.)

Diese Analyse spricht für den Erfolg der Konzentration der Demokratischen Partei auf hohen „voter turnout“, also darauf, ihre Anhänger zur Stimmabgabe zu mobilisieren. Die „voter turnout“-Wahlkampfleistung der Demokraten mag Gabriel verkannt haben.

2. Zu wenig Brückenbau für bisherige Trump-Wähler.

Der Wahlerfolg der Demokraten, der zur Mehrheit im Repräsentantenhaus führte, beruht neben ihrem Vorsprung bei ihrer traditionellen Wählerkoalition *4) vor allem auf folgenden Faktoren:

  • auf „Abscheu“ weißer, akademisch gebildeter Frauen gegenüber Präsident Trumps berüchtigten Verhaltensweisen: „women have been turned off by Donald Trump from the beginning.“ *5 EK, S. 20 f.)
  • Dies erkläre zugleich den landesweiten Umschwung zugunsten der Demokraten in städtischen bis hin zu ländlich-randstädtischen Wahlbezirken, weil selbst bisher republikanisch wählende Frauen ihre Partei-Bindung wegen Trump gelöst hätten. *5 EK, S. 18 f.).
  • Ferner hätten die Demokraten bei der jungen Wählergenerationen unter 40 Jahren dominiert, bei den Erstwählern sogar mit 62 % zu 36 %. Dies sei mit der Ablehnung des Rechtes auf Schusswaffen bei den jüngeren Wählern erklärbar. Diese Ablehnung sei Befragungen zufolge unter jungen Erwachsenen eines der maßgebenden Motive für deren stark gestiegene Wahlbeteiligung gewesen: von 19 % (2014) auf rd. 33 % bei den midterms 2018. *5 WG, S. 9, 21).

Die Republikaner hätten ihre Mehrheit bei folgenden Gruppen behaupten können *5 WG, S. 21 f.):

  • Während weiße Frauen mit akademischer Bildung 59 % zu 39 % für die Demokraten stimmten, hätten weiße Männer mit akademischem Abschluss allerdings 51 % zu 47 % die Republikaner bevorzugt. Daraus errechnet WG einen historisch hohen „gender gap“ von 24 Prozentpunkten in Bezug auf unterschiedliches Wahlverhalten zwischen akademisch gebildeten Frauen und Männern.
  • Sodann hätten die Republikaner bei Wählern in ländlichen Wahlbezirken mit 56 % gegenüber 42 % gewonnen.
  • Außerdem hätten die Republikaner eine Mehrheit bei den Wählern über 50 Jahren, die 56 % der Wahlberechtigten umfassen. Dieser Vorsprung sei im Vergleich zu vergangenen Wahlen allerdings leicht zurückgegangen.

Dieser stark vereinfachte Überblick wirft Fragen zu Gabriels Kritikpunkt auf, die Demokratische Partei vernachlässige den „Brückenbau“ hin zu Trump-Wählern.

  • Mit welchen Botschaften sollten die Demokraten konservative republikanische Wähler erreichen, die ländlich leben, für Schusswaffenbesitz eintreten und die gegen Sozialleistungen für vermeintlich wenig leistungsbereite Gruppen eingestellt sind? Wie könnten die Demokraten in diesem republikanischen Wählerpotential Gewinne erzielen?
  • Wie sollten die Demokraten Wählerschichten erreichen, die sich um den harten Kern identitärer Amerikaner („preservationists“, JW) *6) formieren: konservativ, in kleinen ländlichen Gemeinschaften geprägt, stolz auf die Zugehörigkeit zur weißen Mehrheit, stolz auf ihre Geburt in den USA, stolz auf ihre christliche Religion und auf die Bereitschaft, sich und die Seinen mit der Schusswaffe zu schützen. Welche Verlustrisiken könnte dies bei den traditionellen Anhängern auslösen?
  • Die beiden Kluft-Probleme im Wahlverhalten — Gender-gap zwischen akademisch gebildeten weißen Frauen und weißen Männern sowie die Kluft zwischen städtisch und ländlich lebenden Wählern — sind zugleich eng verknüpft mit der Kluft im wirtschaftlichen Wohlstand, im Bildungsniveau und in den kulturellen Einstellungen. Dies vertieft die Spaltung in unterschiedliche Gemeinschaften, zwischen denen es durch das selbstdefinierte polarisierte Gegeneinander kaum übergreifende Koalitionsmöglichkeiten („crosscutting cleavages“, WG) gibt. Geschweige denn eine größere Bereitschaft zu Wechsel-Wähler-Verhalten zwischen Republikanern und Demokraten.

Diese Polarisierung, diese wirtschaftliche und kulturelle Spaltung vor allem zwischen Wählern in den urbanen Zentren einerseits und den ländlichen Wählern andererseits, sei „perhaps the dominant political phenomenon of our times.“ *5 WG, S. 21 f.)

Mit welchen Botschaften die Demokratische Partei in solchen Milieus und bei der tiefsitzenden Polarisierung in den Werten und kulturellen Einstellungen im zunehmend konservativen Lager der Republikaner politischen „Brückenbau“ leisten könnte, hat Gabriel leider nicht erklärt.

Aber Gabriels Diagnose der Lage in den USA entspricht den dortigen Erkenntnissen: Die „politischen Lager tief verfeindet … Republikaner und Demokraten sind keine Wettbewerber, sondern Feinde.“ *2)

3. Zu starke Betonung von Obamacare im Wahlkampf der Demokraten?

Nach der Stimmabgabe (exit polls) wurden Wähler gebeten, den für sie wichtigsten Grund zu benennen, der sie zur Wahlurne geführt hatte: *5 WG, S. 9)

  • 41 % nannten Obamacare;
  • 23 % Einwanderung;
  • 22 % die Wirtschaftslage;
  • 10% die Schusswaffenfrage.

Hier widersprechen die Resultate von Befragungen nach der Stimmabgabe also Gabriels Einschätzung. Tatsächlich gab es für die Demokraten einleuchtende Gründe, Obamacare zu einem zentralen Thema ihres Wahlkampfes bei den midterms zu machen: *5 WG, S. 24)

  • Die Republikaner hatten während der acht-jährigen Präsidentschaft Obamas immer wieder angekündigt, im Falle des Regierungswechsels Obamacare abzuschaffen.
  • 2017 versuchten sie im Kongress vergeblich, das Obamacare-Gesetz aufzuheben. Selbst republikanische Repräsentanten und Senatoren verweigerten sich dem Plan mit Blick auf ihre Wähler.
  • Danach wiederholte sich der Fehlschlag. Die Republikaner scheiterten erneut im Kongress, als sie versuchten, den Schutz für Menschen mit Vorerkrankungen im Rahmen von Gesundheits-Versicherungen aufzuheben.
  • Es zeigte sich: Vor allem für Wähler über 65 Jahren tritt die Präferenz für konservative Republikaner zurück gegenüber dem Interesse an Ansprüchen auf Rente (Social Security) und der Sicherung bei Krankheit (Medicare) und Pflege (Medicaid) im Alter. Diese seit Jahren am schnellsten wachsende Wählergruppe scheint fest entschlossen, Republikaner hin oder her, ihre Ansprüche auf Sozialleistungen im Alter zu verteidigen: Sogar „older white Americans who are quite conservative will line up to defend their social security and Medicare“. *5 VW, S. 24)

Präsident Donald Trump erkannte die Bedeutung des Themas für die republikanische Klientel. Er verhinderte deshalb die Pläne der Republikaner, Sozialausgaben zu kürzen, die vor allem der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, der Finanzpolitiker Paul Ryan, propagiert hatte. Trump machte diesen Vorhaben ein Ende mit den Worten: „We have to save social security and Medicare and Medicaid without cuts“. *5 WG, S. 26)

Je mehr die Republikanische Partei mit ihren Plänen für Sozialkürzungen bei den Wählern in die Defensive geriet, desto stärker sei die Partei „Trumpified“ (WG) worden.

Donald Trump hat das politische Angebot der Republikanischen Partei radikal verändert: Die „small-government“-Ideologie wurde verdrängt. Statt dessen werden sozialstaatliche Programme der Demokratischen Partei im wesentlichen bewahrt. Zugleich schart Trump die weißen Arbeitnehmer um ein national-populistisches „America First“-Programm gegen Freihandel und gegen Klimaschutz-Auflagen, das mit konservativ-ausgrenzenden Wertvorstellungen gegen ethnische und kulturelle Minderheiten verbunden wird.

Gabriels Kritik, die Demokraten hätten bei den midterm-Wahlen Obamacare überbetont, verkennt sowohl das wichtigste Mobilisierungs- und Wahlmotiv (41%!) als auch, welchen politischen Erfolg die Demokraten dadurch errangen. Sogar einen Wandel in der politischen Agenda der Republikaner haben sie damit erzwungen.

4. Prioritätenwechsel: Weniger Politik für Minderheiten, mehr für die weiße Arbeitnehmer-Mehrheit?

Gabriels Warnung vor „einer übertriebenen Politik für Minderheiten“ *2) zielt auf die offenbar stark für Anliegen von Minderheiten *4) und Migranten orientierte Demokratische Partei.

Donald Trump hat diese Minderheiten-Präferenz der Demokraten politisch ausgenutzt. Trump ist es bei seinem Wahlsieg 2016 gelungen, die weißen Arbeitnehmer vor allem in ländlichen Gebieten und in niedergehenden Industrieregionen („rust belt“) mit minderheiten- und migrationsfeindlicher Rhetorik gegen die weiße, akademisch gebildete Elite der prosperierenden urbanen Zentren auszuspielen. Diese Elite steht eher der Demokratischen Partei nahe.

Professor Joan C. Williams (JW) konfrontiert diese weiße Elite mit der Lehre aus der Niederlage der Demokraten von 2016. Die Haltung jener Elite sei von vielen weißen Arbeitern als herablassend und beleidigend empfunden worden, weil sie ihnen Rassismus unterstellte. Und mit der Wahl Donald Trumps hätten sie der weißen Elite „ihren Mittelfinger gezeigt“. *6)

Ferner berichtet Joan C. Williams, dass im akademischen Milieu von Anhängern der Demokraten häufig darauf gesetzt werde, dass die weiße Arbeiterklasse ohnehin politische Relevanz verliere. Solchen Überlegungen setzt JW die folgenden Argumente entgegen *6):

  • Zwar entwickelten sich die USA in Richtung einer mehrheitlich durch Minderheiten geprägten Gesellschaft. Dies sei aber ein sehr allmählich und langfristig ablaufender demographischer Wandel. Erst ab etwa 2045 könnten die Gruppen von farbigen Menschen, jungen Personen mit breiter kultureller Toleranz sowie von alleinstehenden Frauen aller ethnischen Gruppen eine gesellschaftliche Mehrheit erreichen. Damit wäre zwar eine demokratische Wählermehrheit über die Mobilisierung von Minderheiten realisierbar. Keine Partei könnte jedoch eine derart kurz- und mittelfristigen Misserfolg riskierende politische Strategie über mehr als 25 Jahre durchhalten.
  • Ferner führe der regelmäßig von den Gouverneuren der US-Staaten nach parteipolitischen Interessen betriebene Zuschnitt der Wahlkreisgrenzen (gerrymandering) zu starkem Einfluss auf das „Wahlpersonen-Gremium“ (Electoral College), das nach der Wahl entscheidet, wer US-Präsident wird. *7) JW stellt dazu eine Über-Repräsentation der Stimmen weißer Wähler fest, die in ländlichen Gebieten und im wirtschaftlich niedergehenden „rust belt“ leben. Im US-Mehrheitswahlrecht und bei der Wahl des Electoral College am Tag der Präsidentschaftswahl dürfe dieser strukturelle Faktor von den Demokraten nicht unterschätzt werden.
  • Außerdem lebten die US-Minderheiten geographisch nicht gleichmäßig über die USA verteilt, sondern eher in urbanen Zentren konzentriert. Daher sei sogar noch 2040 mit 37 von 50 US-Staaten zu rechnen, die eine mehrheitlich weiße Bevölkerung aufweisen werden.
  • Wissenschaftliche Experimente und Befragungen hätten ergeben: Würde weißen Wählern gesagt, dass sie mit ihrem Mehrheitsstatus auch die damit verbundenen sozialen Vorteile verlieren werden, reagierten sie mit Ärger und Furcht gegen die ethnischen Minderheiten und Einwanderer. Und dies gelte nicht nur für weiße Arbeitnehmer, sondern in gleicher Weise für weiße Studierende an Universitäten.

Daher könnten sich die Demokraten wahlpolitisch nicht leisten, die Mehrheit von US-Staaten mit überwiegend weißer Bevölkerung zu vernachlässigen, um ihre sozial- und bildungspolitischen Programme primär auf Minderheiten auszurichten.

Prof. Joan C. Williams hat für „the Democrats` White-People Problem`“ eine knappe Empfehlung: „To counter the far right’s story line, Democrats must acknowledge the persistence of racism while shifting attention to the American dream of social mobility.“ *6)

Diese Politik-Empfehlung würde die Demokratische Partei vor die Herausforderung stellen:

  • Den Amerika spaltenden Rassismus der weißen Mehrheit nicht länger lautstark und herablassend anzuprangern. Und der weißen „working class“ nicht pauschal rassistische Einstellung vorzuhalten.
  • Und gleichwohl die für Rassismus anfälligen Weißen mit den Minderheiten zusammenzuführen durch wirtschafts-, bildungs- und sozialpolitische Förderprogramme. Damit allen arbeitenden Menschen, gleich welcher ethnischen Gruppe sie angehören, Chancen auf wirtschaftlichen Wohlstand und gesellschaftlichen Aufstieg eröffnet werden. Dazu gehört sicher auch, die Rolle von Gewerkschaften bei der Durchsetzung besserer Löhne und Arbeitsbedingungen politisch und durch Gesetze wieder zu stärken.

Joan C. Williams sieht für solche Politik eine soziale Spaltungen übergreifende Zustimmung, da die arbeitenden gesellschaftliche Gruppen gemeinsam langjährigen Benachteiligungen unterliegen:

  • Eine so schwerwiegende Ungleichheit der Einkommensverteilung, dass beruflich und akademisch Ausgebildete in gleicher Weise vor einem ausweglos erscheinenden Mangel an Perspektive auf Wohlstand stehen.
  • Die Reallöhne stagnieren seit Jahren trotz hoher Beschäftigung. Trumps Präsidentschaft hat daran nichts geändert.
  • Die Kosten der Ausbildung an privaten oder staatlichen Universitäten steigen stark; Absolventen müssen jedoch oft erleben, dass ihr akademischer Grad für die Jobs, die ihnen angeboten werden, nicht gefragt und mit höherer Vergütung verbunden ist.
  • Auch die Kosten für Mieten oder Wohneigentum wachsen gegenüber den Einkommen.

Die 2014 durchgeführte Befragung des „General Social Survey“ zeigt die sozialen Folgen stagnierender Einkommen bei steigenden Kosten für die Mittelschicht von Arbeitnehmern: 2002 hatten sich 46 % der damals in das Arbeitsleben eintretenden Generation („millenials“) selbst als „Mittelklasse“ eingestuft. 2014 konnten nur noch 35 % der „millenials“ die Einkommenskategorie (Medianwert 75.000 $/Jahr, JW) der Mittelklasse erreichen: Ein derart absinkender Anteil am Volkseinkommen von Mittelklasse-Einkommensbeziehern stellt eine soziale Deklassierung von arbeitenden Menschen dar, die in Europa zu Aufständen führen würde …

Prof. Joan C. Williams rät deshalb der Demokratischen Partei dringend, sich wieder der sozialen Lage von Arbeitnehmern („working class“) zu widmen: In den letzten Jahrzehnten hätten Politikwissenschaftler immer wieder vorgebracht, dass die Demokraten und ihre Aktivisten sich vor allem um Umweltfragen, Minderheiten sowie Anliegen wie Gender, Rasse oder Sexualität gekümmert hätten. „Der working class sei schwere wirtschaftliche Benachteiligung zugemutet worden, während die Demokraten mit anderen Problemen beschäftigt waren.“ *6)

Zudem seien die „anti-elitären working class – Schichten“ politisch nicht so eng an die Trump-Republikaner wie z. B. identitäre Amerikaner („preservationists“, JW) gebunden und eher als Wechselwähler einzuschätzen. Ein überzeugendes Programm der Demokraten, das sich auf ökonomische Verbesserungen für diese Gruppen fokussiert, eröffne die Chance für einen Machtwechsel bei den Wahlen am 3. November 2020.

Fazit.

Sigmar Gabriel stellte nach seinem USA-Aufenthalt fest *2): „Die Demokraten sind daran gescheitert, dass sie gedacht haben, die Summe der Politik für Minderheiten ergibt eine Mehrheit“. Dies stimmt sicher, wenn diese Aussage sich auf das Ergebnis der Präsidentschaftswahl 2016 beschränkt.

Für die midterm-Wahlen, die den Demokraten wichtige Siege in bisher republikanischen Staaten und die Mehrheit im House eintrugen, gilt Gabriels Aussage nur bedingt.

Der Wahlforscher Nate Silver attestiert den Demokraten im Vergleich zur Niederlage 2016 ein gutes Abschneiden im Süden der USA (Texas!) und wichtige Siege über die Republikaner in Nordstaaten. Dies deute auf eine durchaus offene Auseinandersetzung bei den Wahlen 2020. Zumal angenommen werden kann, dass die Demokraten die Wahlkreise halten werden, die Hillary Clinton 2016 gewann.*8)

Wenn Sigmar Gabriel den Demokraten nicht ohne Häme vorhält, dass Trump „abends vor Lachen nicht in den Schlaf“ finde, *1) so bedeutet dies gewiss nichts für die Präsidentschaftswahl 2020.

„Wer zuletzt lacht, lacht am besten“ — hoffen wir, dass es am 3. November 2020 nicht Donald Trump ist.

*1) Gabriel kritisiert US-Demokraten. Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) wirft den US-amerikanischen Demokraten vor, die Anhänger von Präsident Donald Trump nicht überzeugen und das Land nicht einen zu wollen. DTS-Meldung vom 11.11.2018.

*2) Ehemaliger SPD-Chef fordert seine Partei zu »radikalem Realismus« auf. Gabriel: »Schauen, wie das Leben wirklich ist«; https://www.westfalen-blatt.de/OWL/Kreis-Paderborn/Paderborn/3548900-Ehemaliger-SPD-Chef-fordert-seine-Partei-zu-radikalem-Realismus-auf-Gabriel-Schauen-wie-das-Leben-wirklich-ist.

*3) MIDTERM ELECTIONS 2018. Das macht die US-Zwischenwahlen für Trump entscheidend. Von Clemens Wergin. Veröffentlicht am 05.11.2018; https://www.welt.de/politik/ausland/article182338790/Midterm-Elections-2018.

(RS: Ein sehr informativer Beitrag über Gegenstand und politische Bedeutung der verschiedenen Wahlen. Die Rolle von Gouverneuren und Parlamenten der States beim Zuschnitt der Wahlkreise nach parteipolitischen Interessen, sog. „gerrymandering“, wird erklärt. Dies kann die Präsidentschaftswahl 2020 entscheiden.) Hinweis RS: House und Senat bilden die Legislative der USA, den Congress.

*4) In den USA werden als Minderheiten/Zielgruppen der Demokratischen Partei häufig benannt: Afro-Amerikaner, Hispano-Amerikaner (meist mit Migrationshintergrund aus südlich der USA gelegenen Ländern oder iberisch-europäischer Herkunft), weitere ethnische (z. B. „native Americans“, Indianer; sie errangen bei den midterms beachtliche Wahlerfolge) und religiöse Minderheiten, LGBTIQ-Menschen (gebräuchliche US-Abkürzung für lesbisch, gay/schwul, bi-sexuell, Transgender, inter-sexuell und queer).

Bei diesem erläuternden Hinweis zum Begriff der „Minderheiten“ in den USA mag es hier bleiben. Sigmar Gabriel hat zwar in Deutschlands Presse mehrfach Kritik an dem midterm-Wahlkampf der US-Demokraten vorgetragen. Jedoch hat Gabriel weder erklärt, was er unter „Minderheiten in den USA“ versteht, noch was seine dann auch auf Deutschland übertragene Warnung „vor einer übertriebenen Politik für Minderheiten“ konkret bedeutet.

*5) ELECTION-2018/11/08. Introduction: THE BROOKINGS INSTITUTION FALK AUDITORIUM. 2018 MIDTERM ELECTIONS: RESULTS AND IMPLICATIONS. Washington, D.C. Thursday, November 8, 2018; https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2018/11

gs_20181108_2018_midterm_results_transcript.pdf

Die nachstehend benannten Fachleute (bis auf IL von Brookings) analysierten die midterm Wahl-Ergebnisse. Ihre Beiträge werden bei Zitaten mit den Initialen ihrer Namen kenntlich gemacht.

WILLIAM GALSTON (WG)/ELAINE KAMARCK (EK)/INDIRA LAKSHMANAN (IL), Moderator, Pulitzer Center Washington/ MOLLY REYNOLDS (MR)/Ezra K. Zilkha (EZ)/VANESSA WILLIAMSON (VW). (Übertragung RS)

*6) Joan C. Williams. The Democrats‘ White-People Problem. Donald Trump likes to pit elite and non-elite white people against each other. Why do white liberals play into his trap?

The Atlantic. December 2018 Issue; https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2018/12/the-democrats-white-people-problem/573901/. (Bei Zitat JW. Übertragung RS).

*7) What is the Electoral College? Siehe: https://www.archives.gov/federal-register/electoral-college/about.html.

*8) NOV. 8, 2018, AT 7:26 AM. The 2018 Map Looked A Lot Like 2012 … And That Got Me Thinking About 2020. Renewed strength in the Upper Midwest would be great news for Democrats. By Nate Silver; https://fivethirtyeight.com/features/the-2018-map-looked-a-lot-like-2012-and-that-got-me-thinking-about-2020/.