Ukraine: Realitäten, Inszenierungen.

Nach der gewaltsamen Krim-Annexion macht Putin offenbar weiter.

Machtmissbrauch wohin man sieht. Putin diktiert ukrainische „Realitäten“ und führt aggressive „Inszenierungen“ auf. Und Außenminister Steinmeier fordert „Gespräche“.

„Steinmeier will schnell OSZE-Beobachter“ *1) Das war vor drei Wochen. Und hat sich leider schnell als eine völlig sinnlose Maßnahme gegenüber dem Aggressor Putin herausgestellt.

Schon das Instrument OSZE-Mission erscheint im Rückblick fehl am Platze.

Nehmen wir einige Aussagen des OSZE-Sondergesandten Tim Guldimann, Botschafter der Schweiz in Deutschland, zur Kenntnis: *2)

„Moskau hat wie jeder andere Teilnehmerstaat der OSZE einen Einfluss in dem Sinne, dass … alles im Konsens passieren muss …

Das heißt, wichtig ist, dass man unparteiisch an die Probleme herangeht und nicht sagt a priori, es geht hier um einen Konflikt zwischen A und B und A hat recht, sondern das, was Recht ist, ist festgelegt in diesen internationalen Prinzipien, die man durchsetzen muss …

Es geht darum, dass die OSZE-Beobachtermission … abklärt, was vor Ort die Realität ist.“

Die „Realität“ in der östlichen Ukraine hat Putin der OSZE-Mission eindrucksvoll vorgeführt.

Von der FAZ referierte Einschätzungen aus Kiew zeigen, wozu Putin den OSZE-Konsens missbraucht hat: „Eines jedenfalls, so heißt es in Kiew, sei jetzt schon klar. Die ´Demonstranten`, die gerade in Donezk und Luhansk Russland zu Hilfe gerufen hätten, seien alles andere als Demonstranten: ´Das sind „Speznas“`, heißt es in Kiew, ´das sind russische Spezialeinheiten in Zivil`“. *3)

Der Sozialdemokrat Knut Fleckenstein, MdEP, fordert deshalb: „Doch so legitim Proteste gegen bestimmte Aspekte der Politik der ukrainischen Regierung sein mögen, so inszeniert erscheint der vermeintliche Wunsch nach einem Referendum und nach der Entsendung russischer Friedenstruppen. Den Rufen hiernach sollte Russland eine klare Absage erteilen. Beides ist nicht vereinbar mit den derzeitigen internationalen Bemühungen unter anderem durch die OSZE um eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung der Ukraine.“ *4) Auf diese Absage Russlands können wir sicher vergebens warten.

Putins „Inszenierungen“ in der Ostukraine für die OSZE-Mission – das wird nicht das Ziel von Außenminister Steinmeier gewesen sein, als er die OSZE-Beobachtermission forderte. Es wäre gut zu verstehen, wenn Steinmeier sich jetzt dafür einsetzte, dem offensichtlichen Fiasko ein Ende zu machen und die OSZE-Beobachter der Kreml-„Inszenierungen“ in der Ostukraine abzuziehen.

Statt dessen lesen wir: „Der Außenminister dringt zugleich weiter auf seinen Plan, eine internationale Kontaktgruppe zu errichten … Die internationale Kontaktgruppe muss ohne Zeitverzug auf den Weg kommen, bevor die Entwicklungen unumkehrbar werden“. *5)

„Es gibt einen Aggressor. Und ein Opfer“, stellt der FAZ-Redakteur Reinhard Veser fest und folgert: „Es ist ein sinnloses diplomatisches Ritual, wenn Außenminister Steinmeier nun wieder auf Gespräche zwischen der Ukraine und Russland dringt. Erstens will der Kreml nicht mit Kiew reden, das hat Präsident Putin selbst unmissverständlich deutlich gemacht. Zweitens: Worüber soll gesprochen werden?“ *6)

Gute Frage! Warum nicht mal über Gazprom? Ein ganz feines Unternehmen: kassiert von armen Länder-Kunden wie der Ukraine mehr als von reichen. Man muss nicht der These anhängen „Geheimdienst-Waffe Gazprom. Der russische Energiekonzern ist die ´Stütze der Kreml-Kleptokratie`“. *7) Es reicht, sich die Politik der Preisdifferenzierung dieses Unternehmens anzusehen und wie es seine Position am Energiemarkt gebraucht. *8)

Der Ukraine war von Russland 2010 ein ermäßigter Gaspreis zugesichert worden, wenn der Krim-Marinehafen von Sewastopol bis 2042 genutzt werden könnte. Da die Krim inzwischen von Putin annektiert wurde, sind diese Preisermäßigungen aus Kreml-Sicht überflüssig und unberechtigt. Gazprom fordert daher rückwirkend einen angeblichen Gegenwert der Ermäßigungen in Höhe von 11,4 Mrd. US-Dollar zurück.

Atemberaubende Unverschämtheit und Machtmissbrauch!

Anfang 2014 hat die Ukraine noch 268 Dollar für je 1000 Kubikmeter Erdgas gezahlt. Nach Annexion der Krim fordert Gazprom 486 US-Dollar/1000 Kubikmeter: + 81.3 % ! Das sind 65 % mehr als Deutschland zahlt, der Vorzugskunde von Gazprom.

Uns Deutschen verspricht der stellvertretende Gazprom-Vorstandsvorsitzende Alexander Medwedew Liefersicherheit: Gas sei „keine Waffe, es ist eine Ware“. *8) Liefersicherheit – so sicher wohl wie die Gültigkeit der Unterschrift Russlands unter dem Budapester Abkommen von 1994, das die Unabhängigkeit und territoriale Integrität der Ukraine „sicher“ garantierte. Wie hören sich solche Worte in der Ukraine an?

Neben dem Vorzugskunden Deutschland hat Gazprom aber auch einen Lieblingskunden: Viktor Orbán. Dem half Gazprom beim erneuten Wahlsieg: „Viel Wählergunst bewahrte sich der Populist dadurch, dass er … die Energiedienstleister zu Strom- und Gaspreissenkungen zwang.“ *9)

Gazprom war als „Quelle für die Preisnachlässe … leicht auszumachen … im Januar war er (Orbán) in Moskau, wo er von Wladimir Putin herzlichst empfangen wurde.“ *10) Nicht nur herzlichst, auch mit Sonderpreis für Gas und einem 10 Mrd. Euro Kredit.

Wie ist das Verhalten eines Unternehmens zu bewerten, das als Gas-Anbieter die Ukraine, Deutschland oder Ungarn derart unterschiedlich behandelt? Wo liegt der „sachliche“ Grund für derart eklatante Benachteiligung und Diskriminierung der Ukraine? Wir dürfen wohl annehmen, dass nur brutale „machtpolitische“ Gründe vorliegen.

Solches Verhalten von „marktbeherrschenden Unternehmen“ hat in Deutschland einen Namen: „Missbrauch“! *11)

Und dies ist mit „Verbot“ belegt. „Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter … einer bestimmten Art von Waren … ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar unbillig behindert oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unmittelbar oder mittelbar anders behandelt als gleichartige Unternehmen.“ *11)

Missbrauch von Marktmacht durch marktbeherrschende Unternehmen wird auch von der EU mit Bußgeldern, die sich im Einzelfall der Euro-Milliarde nähern, bestraft. Ferner werden die illegalen Mehrerlöse eingezogen. Und strafrechtliche Konsequenzen drohen; Machtmissbrauch kann als Betrug gewertet und mit Gefängnis sanktioniert werden.

Also, wenn Herr Steinmeier auf Gespräche zwischen Russland und Ukraine dringt, Präsident Putin die aber verweigert, dann sollte wenigstens das von Gazprom begünstigte Deutschland Gespräche führen.

Außenminister Steinmeier könnte als Thema des von ihm angestrebten Dialogs mit Russland über die machtpolitisch motivierten Preisdiktate und Preisprivilegien, über die Willkür und den Machtmissbrauch von Gazprom sprechen. Und über die Werte und Kategorien des Rechts in Europa und in der europäischen Sozialen Marktwirtschaft.

Bevor Deutschland von aller Welt als Komplize des Missbrauchs der Macht durch den Kreml und durch Gazprom gesehen wird.

*1) zeit.de; 19.03.2014. (OSZE: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa).

*2) OSZE IN DER UKRAINE, „Präsenz markieren und beobachten“ Tim Guldimann im Gespräch mit Dirk Müller; http://www.deutschlandfunk.de/osze-in-der-ukraine, 26.03.2014 (Hervorhebungen RS).

*3) Unruhen in der Ostukraine. Ist das der Beginn einer neuen Annexion? Von Konrad Schuller, Warschau; faz.net, 07.04.2014.

*4) Knut Fleckenstein, Russland muss Ruf nach Schutzmacht Absage erteilen; spd-europa.de, 07.04.2014 (Hervorhebungen RS).

*5) DTS-Meldung vom 07.04.2014, 22:00 Uhr. Steinmeier besorgt über Lage in Ostukraine.

*6) Krisendiplomatie. Keine Vermittlung. Von Reinhard Veser; faz.net, 07.04.2014.

*7) Gerhard Gnauck zitiert dazu den „Enthüllungsautor“ Jürgen Roth; welt.de 04.06.2012.

*8) Wie lange liefert uns Gazprom noch Erdgas? http://www.finanzen100.de/finanznachrichten/wirtschaft/wie-lange-liefert-uns-gazprom-noch-erdgas-_H2113821859_66965/; 07.04.2014.

*9) Orbáns Triumph mit Verfallsdatum. Kommentar. Von Gregor Mayer aus Budapest; derStandard.at, 07.04.2014

*10) România Liberă – Rumänien; zitiert nach: euro|topics Europäische Presseschau vom 07/04/2014.

*11) Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 19 Verbotenes Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen.