Undemokratische Corona-Politik?

 

Ein angesehener Politikwissenschaftler wirft der Bundesregierung undemokratische Corona-Politik vor. *1) Hat er triftige Gründe oder ist es grober Unfug?

1. Corona-Politik der “Angst-Spirale“.

Prof. Merkel argumentiert, hier kurz zusammengefasst, mit folgender “Spirale“ von Wissenschaft – Wählerschaft – Politik:

  • Wissenschaft produziere „rationale Angst“: Die Epidemiologie rechne mit Szenarien zum Pandemieverlauf, die von harmlos bis fatal reichen.
  • Die in Bund und Ländern Regierenden orientieren sich am Rat von eher pessimistischen Virologen.
  • Den Sorgen der Wählerschaft folgend, treten Regierungen in einen “Überbietungswettbewerb“ um die härteste Corona-Politik.
  • Ergebnis: Von Wissenschaft und Regierung getriebener “illiberaler Verbotspopulismus“ (Prof. Merkel), der Parlamente und Demokratie schwäche.

Die Corona-Politik der “Angst-Spirale“ gefährde so die “liberale Demokratie, wie wir sie kennen und schätzen.“ *1)

2. Versuch einer kritischen Stellungnahme zum Vorwurf “illiberalen Verbotspopulismus“ (Prof. Merkel).

Zwar kann einigen allgemeinen Bemerkungen Prof. Merkels zu unkritischer Wissenschaftsgläubigkeit oder zu wahlpolitischer Instrumentalisierung von Stellungnahmen einzelner Wissenschaftler zugestimmt werden. Dennoch erscheint eine enge Beratung der Regierung durch Virologen angesichts der plötzlichen und massenhaft erwiesenen Gefährlichkeit der Corona-Pandemie für Gesundheit und Wirtschaft unabdingbar.

  • Eigenartig, dass der renommierte Demokratie-Professor die Wählersorgen nicht so hoch bewertet, wie die gewählten Politiker dies tun. Die Menschen sehen, wie die Zahl der Corona-Infektionen und der Todesfälle in Ländern mit geringen Corona-Einschränkungen förmlich explodiert ist (z. B. USA, Großbritannien, Frankreich). Sie akzeptieren also mehrheitlich die vorsichtige Corona-Politik der Bundesregierung. „Rechne mit dem Schlimmsten, hoffe auf das Beste,“ so mag die Mehrheit im Lande denken, die bescheiden genug ist, bei Wissenschaft und Regierung fachliche Urteilskraft zu vermuten.
  • Unsinnig erscheint die Kritik des Demokratie-Professors, die Regierung nehme in ihrem Handeln in schwerster akuter Wirtschafts- und Pandemie-Krise zu wenig Rücksicht auf die parlamentarische Opposition. Wozu hat sie denn die Mehrheit im Parlament, wenn nicht dazu, ihre Vorstellung von richtiger Krisenpolitik durchzusetzen?
  • Der vom Demokratie-Professor getadelte Chef der Grünen, Robert Habeck, hat überdies Recht, wenn er die Krise als Stunde der verantwortlichen Exekutive sieht und nicht als Stunde der Opposition. Denn nur die Regierung kann sich für ihre hohe krisenpolitische Neuverschuldung jenseits der verfassungsmäßigen Schuldengrenze auf die “Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“ nach Art. 109 (3) Grundgesetz berufen. Für die Krisenpolitik ist nicht die Opposition verantwortlich. Maßgebliche Wirtschaftssachverständige haben zudem die Krisenpolitik der Regierung unterstützt.

Der Demokratie-Professor mag ja die Regierung kritisieren, weil sie eher dem Rat von Virologen gefolgt ist, die nach der dazu belanglosen Meinung des Demokratie-Professors zu pessimistisch sein könnten. Wenn der Demokratie-Professor — wie wir Laien allesamt — schon nicht weiß, “was wie wirkt, was wirklich notwendig ist und was nicht“ *1), dann sollte er nicht so leichtfertig mit dem Vorwurf des “Populismus“ hantieren: „Populistisch ist es, wenn Politiker nicht deshalb Verbote fordern und durchsetzen, weil sie unbedingt nötig sind. Sondern weil sie dafür vom Wähler belohnt werden.“ *1)

Es erscheint sehr anmaßend, wenn der Demokratie-Professor auf seinem fachlichen Informationsstand zur Corona-Pandemie der von Virologen beratenen Regierung einen „illiberalen Verbotspopulismus“ und einen auf Wähler schielenden “Überbietungswettbewerb im Verbieten“ unterstellt.

3. Unsinnige Parallele zur klimapolitischen Debatte.

Weil ich seit vielen Jahren die Stellungnahmen Prof. Merkels mit Achtung zur Kenntnis nehme, habe ich mich gefragt, wie solch anmaßende Beurteilung der Krisenpolitik möglich ist.

Die Erklärung deutet der Demokratie-Professor am Ende des Interviews selbst an. Er stellt einen Bezug zur Debatte um die Klimapolitik her. *1) Tatsächlich wird beim Klimawandel seit Jahrzehnten mit einer “Argumentationsspirale der Angst“ debattiert, ähnlich wie sie oben zusammenfassend nach Prof. Merkel für die Corona-Pandemie dargestellt ist.

Dies ist jedoch eine gänzlich unsinnige Übertragung des Demokratie-Professors:

  • Der Klimawandel ist ein sehr allmählicher und über viele Jahrzehnte sich erstreckender Prozess mit hoher Unsicherheit bezüglich seiner vielfältigen und konkret vorhergesagten Wirkungen. Hier sind unterschiedliche Politik-Empfehlungen nachvollziehbar.
  • Dagegen schlägt die Corona-Pandemie kurzfristig und mit überaus gefährlichen massenhaften Folgen zu, wenn sie nicht durch hinreichend harte Sofort-Maßnahmen eingedämmt wird. Das ist einfachst zu erkennen und sogar im Laufe auch der letzten Wochen wieder offensichtlich geworden.

Mit seiner von Klimawandel-Debatten hergeleiteten Kritik an der Regierungspolitik als “Spirale“, die zu „illiberalem Verbotspopulismus“ führe, und mit seiner Unterstellung, die Corona-Einschränkungen seien nicht von fachlicher Notwendigkeit, sondern von wahlpolitischem Opportunismus geleitet, hat sich der Demokratie-Professor leider angreifbar gemacht.

Angreifbar in einer äußerst gefährlichen Lage, wie wir an den Partnerländern USA, Großbritannien und Frankreich sehen, die mit zunächst “liberaler“ Corona-Politik gescheitert sind. Und die nun unter dramatischen Fallzahlen mit vielen Todesopfern leiden.

Angreifbar für den Vorwurf gefährlichen Unfugs!

*1) Corona-Politik. „Ich nenne das: Regieren durch Angst“. Wie demokratisch ist die Corona-Politik noch? Der Forscher Wolfgang Merkel kritisiert einen Alarmismus der Regierenden und die Zurückhaltung des Parlaments. Interview: Lenz Jacobsen. 14. Oktober 2020; https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-10/corona-politik-demokratie-angela-merkel-regierung-pandemie-wolfang-merkel/komplettansicht