USA gegen deutsche Exportorientierung?

Wirtschaftliche Leistung von Unternehmen und ihren Arbeitnehmern zeigt sich nicht auf „demokratiekonformen Märkten“, was immer Wirtschaftsminister Gabriel unter dieser Wortschöpfung verstehen mag.

Leistung unserer Unternehmen zeigt sich auf richtigen Märkten. Auf weltweiten Marktgebieten, die im globalem Wettbewerb umkämpft sind. Da herrscht ein Qualitäts- und Produktivitätswettbewerb, dem sich deutsche Unternehmen – durchaus auch kleiner und mittlerer Größe, auch traditionsreiche Familienbetriebe – mit einem Erfolg stellen, auf den ihre qualifizierten Mitarbeiter zu Recht stolz sind.

Kritik an deutschen Exporterfolgen.

Seit Jahren werden nun deutsche Erfolge auf Weltmärkten unter dem Vorwand unangemessen hoher Exportüberschüsse angeprangert.

Die Vorhaltungen kommen vor allem aus den USA: von der ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton, die vorgeschlagen habe, „den Welthandel stärker zu regulieren, um damit ´Ungleichgewichte` abzubauen.“ *1) Der Träger des Nobelpreises für Ökonomie, Professor Paul Krugman, sieht unter dem Motto „The Conscience of a Liberal“ (!) Deutschland als wesentlichen Teil des Problems einer „depressed world economy“. Denn „Germany has continued to maintain highly competitive labor costs and run huge surpluses since the bubble burst“. *2)

Wer wollte diesen Autoritäten, Hillary Clinton und Paul Krugman, leichterhand widersprechen? Ihr politischer Einfluss ist bedeutend; die US-„Liberalen“, insbesondere die Gewerkschaften und die demokratische Partei, sind für protektionistisch verstandene Anregungen empfänglich.

Es ist lange her, dass Prof. Karl W. Roskamp, ein bedeutender amerikanischer Kenner der deutschen und europäischen Wirtschaft, feststellte: „Amerika hat eine offene Volkswirtschaft. Der Umfang der Exporte erreichte 1970 13,9 % der gesamten Exporte der Welt, im gleichen Jahr beliefen sich die Importe auf 12,4 % der gesamten Importe der Welt. Infolgedessen war Amerika die größte Handelsnation, gefolgt von der Bundesrepublik Deutschland (11% der Exporte und 9,3 % der Weltimporte im Jahre 1970)“ … Von 1952 bis 1969 hatte Amerika einen Exportüberschuss bis zu 5 Milliarden Dollar in einem Jahr … das zeigt, dass die Handelsbilanz gesund war.“ *3)

„This Time is different“ (Krugman) – doch wer hat sich am stärksten geändert, sich vom offenen weltwirtschaftlichen Wettbewerb abgewendet? Deutschland? Sicher nicht. Auch die USA haben in der Finanz- und Wirtschaftskrise der „beggar-thy-neighbour“-Versuchung widerstanden, also Import-Wettbewerb nicht administrativ abgewehrt, um heimische Arbeitsplätze zu schützen. Dazu mag die Einsicht beigetragen haben, dass die schwerste Krise der Nachkriegszeit von den USA ausgegangen ist.

Könnte nunmehr Deutschland deshalb ins US-Visier kommen, weil es sich aus guten Gründen „keynesianischer“ – also durch neue Schulden finanzierter – Ausgabenexpansion widersetzt? Oder weil die USA sich gegenüber China lieber zurückhalten? China steht hinter der EU auf Platz 2 beim Export und auf Platz 3 beim Import. Deutschland nimmt bei Export wie Import den 4. Rang ein. *4)

Deutschland- statt China-bashing in den USA? Dazu besteht angesichts der wettbewerblichen EU-Handelsbestimmungen (Ausnahmen weltweit: Agrarmarkt), die gerade von der deutschen Wirtschaft genau befolgt werden, kein Anlass. Vor allem, wenn im Vergleich dazu die Gepflogenheiten im Außenhandel Chinas untersucht werden. Hier sei nur hingewiesen auf Exportförderungs- und Importbeschränkungs-Praktiken Chinas, die in nicht wenigen Beschwerden bei der World Trade Organization (WTO) enden. *5)

Die US-Kritik an deutscher Exportleistung ist schon deshalb schwierig auszudeuten, weil sie sich gegen einen Partner richtet, der sicher zu den überzeugtesten Befürwortern des geplanten „transatlantischen Freihandelsabkommens“ (TTIP) *6) in der EU zählt.

Sehen wir uns die deutschen Handelsbilanzüberschüsse an: *7) 1982 betrug der Warenexportüberschuss (in € ausgedrückt) 26 Mrd. €; 2012 188 Mrd. €. Seit 2002 übersteigen die Überschüsse der Handelsbilanz deutlich den Betrag von 100 Mrd. €. 2007 erreichte der Exportüberschuss 195 Mrd. €. *8).

Diese statistischen Daten führen zur Frage nach der warenmäßigen Zusammensetzung unseres Außenhandels. Dazu werden Warengruppen definiert.

Zum deutschen Außenhandel.

Die Waren oder Sachgüter – im Unterschied zu immateriellen Dienstleistungen – lassen sich nach Verwendung und Nutzungsdauer unterscheiden.

Güter, die in der Produktion von Unternehmen eingesetzt werden, heißen Produktionsgüter. Werden sie i.d.R. weniger als 1 Jahr wirtschaftlich genutzt, spricht man von Vorleistungsgütern (z.B. Reinigungsmittel, Zündkerzen, Nägel, kleine Elektromotoren). Bei längerer Nutzungsdauer handelt es sich um Investitionsgüter (z.B. Industrierechner und -software, Drehbänke, große Elektromotoren, Betriebsgebäude). In privaten Haushalten (Konsumgüter) genutzte langlebige Waren sind Gebrauchsgüter (z.B. Sessel, Bücherregal, Kaffeemaschine, Computer, Lexikon), andernfalls Verbrauchsgüter (Schlaftabletten, Teebeutel, Rasierklingen). *9)

Nun lassen sich für die definierten Warenkategorien die Außenhandelsüberschüsse feststellen. Zur besseren Vergleichbarkeit fragen wir nach dem Handelsüberschuss (wertmäßiger Export minus Import) bezogen (in Prozent) auf den Gesamthandel des Gutes (Export plus Import). *10)

Warenstruktur der Außenhandelsüberschüsse.

Aus den Angaben der Deutschen Bundesbank zum Warenexport und Warenimport im Jahr 2012 lassen sich nun sehr leicht prozentuale Außenhandelsüberschüsse für die o.a. Warengruppen berechnen *11).

Der prozentuale deutsche Außenhandelsüberschuss für Vorleistungsgüter beträgt 11 %: Dh. der Überschuss des Exportwertes über die Importe beträgt 11 % des gesamten deutschen Außenhandels (Export plus Import) mit Vorleistungsgütern. Die entsprechende Zahl für Investitionsgüter beträgt 31 % und für Konsumgüter 1 %. Die deutschen Exporte für diese drei Warengruppen umfassen 93 % des gesamten Warenexports. In diesen Zahlen kommt also eindeutig die deutsche Exportstärke zum Ausdruck.

Der Exportüberschuss im deutschen Außenhandel ist unbeachtlich bei Konsumgütern, höher bei Vorleistungs- und hoch bei Investitionsgütern. Fragen wir in derselben Weise zur Anschaulichkeit nach dem prozentualen Exportüberschuss bei einigen Warengruppen, die stark in Produktionsprozessen aber auch in privaten Haushalten genutzt werden.

Für „Geräte der Datenverarbeitung, elektrische Ausrüstungen, elektronische und optische Erzeugnisse“ ist der Zahlenwert für den prozentualen Exportüberschuss 7 %, für „Chemische und Pharmazeutische Erzeugnisse“ 17 %, für „Kraftwagen und KFZ-Teile“ 39 %, für „Maschinen“ 40 %. Die deutschen Exporte für diese Warengruppen umfassen 62 % des gesamten Warenexports, also den überwiegenden Teil. *11)

Es lässt sich aus diesem einfachen Blick in die Statistik des deutschen Außenhandels folgern: Die besondere Stärke der deutschen Exportwirtschaft liegt im Bereich der Produktionsgüter, insbesondere der Investitionsgüter und ganz besonders bei KFZ und Maschinen. Deshalb hatte sich der Niedersachse Gerhard Schröder stolz als „Automann“ bezeichnet.

Die deutschen Exporteure – so kann festgestellt werden – decken weltweiten Bedarf an qualitativ hochwertigen Produktionsgütern, damit Unternehmer und Arbeitnehmer in aller Welt ihrerseits Güter erzeugen können. Niemand zwingt die ausländischen Partner, die frei entscheiden, die kosten- und qualitätsbewusst im eigenen Interesse aus dem Marktangebot auswählen können, auf die keineswegs billigen deutschen Qualitätswaren zurückzugreifen. Auch mögen hochwertige „deutsche“ Autos ungezählten Arbeitnehmern in der Welt die Mobilität erleichtern.

Zugleich lässt die amtliche Zahlungsbilanzstatistik erkennen, dass der deutsche Außenhandel – ungeachtet der deutlich unter 50 % liegenden prozentualen Exportüberschüsse selbst bei KFZ und Maschinen – gerade bei Konsum- und Vorleistungsgütern beträchtliche Warenimporte aufweist. Bei einem relativen Exportüberschuss von 50%  wäre der Export immerhin dreimal so hoch wie der Import der Warengruppe. Davon sind die Warenexporte – v.a. bei Konsum- und Vorleistungsgütern – weit entfernt.

Regionalstruktur der Handelsüberschüsse.

Betrachten wir die deutschen Export- bzw. Handelsbilanzüberschüsse nun im Hinblick auf die Länder/Regionen der profilierten Kritiker unserer Exportüberschüsse. Also Nordamerika/USA (Prof. Paul Krugman) und Finnland/EU (Wirtschafts- und Währungskommissar Ollie Rehn).

Der wie oben berechnete prozentuale Exportüberschuss beträgt in 2012: für Finnland 14 %, für die EU (27) 8 %, für die USA (Nordamerika- minus Kanada-Werte) 25 %. Der deutsche Exportüberschuss gegenüber dem Handelspartner USA erreicht also gerade 25 % des bilateralen Handels, nicht übertrieben hoch im Vergleich zum Maschinensektor mit 40 %.

Was uns deutsche Ökonomie-Laien – trotz aller Bemühungen um Erkenntnis – erstaunt, ist die Schärfe der Vorwürfe angesichts dieser Außenhandelsbefunde. Es ist wahr, anhaltende Exportüberschüsse haben zu (geringeren, da Dienstleistungs- und Schenkungsbilanz defizitär!) Überschüssen der Leistungsbilanz geführt. Damit haben wir über die Jahre Netto-Forderungen – netto heißt: korrigiert um Änderung der Schulden – an die übrigen Handelspartner der Welt, also gegenüber dem Ausland eine „Vermögensposition“ aufgebaut.

Leistungsbilanz versus Grundbilanz.

Diese Betrachtung, an der sich Ollie Rehns Kritik entzündet hat, beruht jedoch auf willkürlicher Aufspaltung der langfristigen, die deutsche Grenze überschreitenden wirtschaftlichen Transaktionen: Langfristige deutsche Investitionen in produktives Sachkapital oder in Beteiligungskapital oder langfristiger Kredit deutscher Banken und Versicherungen an das Ausland bleiben unberücksichtigt. Bezöge man solche Transaktionen bei der Ermittlung des „Zahlungsbilanzsaldos“ ein, käme man zur Grundbilanz. Deren Durchschnittssaldo im Jahrfünft 2004 bis 2008 (die Folgejahre 2009 bis 2011 erscheinen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise zu verzerrt) zeigt zwar auch einen Überschuss, der beträgt jedoch nur gut 10 % des Überschusses der Leistungsbilanz in diesen Jahren. *12)

Bei „Zahlungsbilanzsalden“ sind – im Unterschied zum Problem etwa der Budgetdefizite – Ratschläge oder Verweise auf „Stellschrauben“, um z.B. den Leistungsbilanzüberschuss abzuschmelzen, ganz unsinnig. Gewerkschaftsnahen Autoren – aber nicht der verantwortungsbewussten IG-Metall-Tarifkommission – fallen zu diesem Zweck immer wieder kräftige Lohnerhöhungen ein, dies befeuere den Konsum.

Nun hatte der einfache Blick in die amtliche Statistik gezeigt, dass der Konsumgütersektor nicht Ursache des Überschusses der deutschen Leistungsbilanz ist. Obendrein wird bei der „Stellschrauben-Sicht“ das Interdependenzproblem der Zahlungsbilanztransaktionen verkannt. Beim staatlichen Budgetdefizit geht es um einen Akteur, den Staat. Zahlungsbilanzsalden resultieren dagegen aus Abermillionen von unabhängigen Einzelentscheidungen aller möglichen Wirtschaftssubjekte. Eingriffe in einem Bereich – wo denn: in Deutschland oder im Ausland, ohne oder mit Beachtung der WTO-Regeln für freien Außenhandel – ziehen bei solcher Interdependenz zwangsläufig weitere nach sich. Protektionstendenzen und Chaos auf den Weltmärkten könnten interventionistischen Experimenten folgen!

Nicht nur der von den Kritikern herausgegriffene Zahlungsbilanzsaldo, auch die Länderabgrenzung und Fixierung auf Deutschland erscheint willkürlich. Deutschland ist bekanntlich EU-Mitglied und gehört zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU). Diese, nicht Deutschland, bildet den gemeinsamen relevanten Markt-Rahmen. Niemand käme auf die Idee, die Autostadt Wolfsburg, reichste Stadt Deutschlands, oder Baden-Württemberg wegen exorbitanter Exportüberschüsse anzuprangern. Zu Recht sagt Anton Börner, Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen: „Unsere Kunden kaufen bei uns, weil wir im Qualitäts- und Leistungsvergleich vorne liegen, und nicht, weil die Produkte aus Deutschland kommen.“ *13)

Ollie Rehn konstatierte, „Deutschland überschreite seit 2007 den Referenzwert für den Leistungsbilanzüberschuss“ und drohte mit einem „EU-Verfahren wegen wirtschaftlicher Ungleichgewichte“ *14) Man darf dies hoffentlich als leere Drohung abbuchen; denn EU-Kommissionspräsident Barroso stellte immerhin klar: „Die Wahrheit ist, dass der einheitliche Markt in seiner derzeitigen Form Deutschland erlaubt, seine Wettbewerbsvorteile auszuspielen“ *14)

Schwer für engagierte Transatlantiker hinzunehmen sind jedoch die Behauptungen Paul Krugmans: „Leistungsbilanzseitig bluteten die südlichen Länder (der Eurozone, RS) nun aus, und die Deutschen hätten ihnen gleichzeitig auch noch brutale Sparvorgaben aufgebürdet. ´Spaniens Arbeitslosenquote liegt bei fast 27 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 57 Prozent. Und Deutschlands Unbeweglichkeit hat viel zu Spaniens Pein beigetragen`“ *1).

Nicht nur werden diese Zahlen, insbesondere zur Jugendarbeitslosigkeit, von spanischen Arbeitsmarktexperten bestritten. *15) Die von Krugman so beklagten deutschen Leistungsbilanzüberschüsse haben – wie der Nobelpreisträger weiß – zu deutschen Finanzinvestitionen in Höhe von Hunderten Milliarden Dollar in USA-Schrott-Titeln geführt. Was aus diesen Anlagen, aus der deutschen Vermögensposition im Ausland geworden ist, weiß der deutsche Steuerzahler zu gut.

Zukunftsprojekt transatlantische Freihandelszone.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung, Prof. Christoph M. Schmidt sagt dazu: Die von den USA ausgegangene Finanzkrise „hat ja einen großen Teil der von Deutschland aufgebauten Vermögenspositionen wieder vernichtet … Hätten wir die Leistungsbilanzüberschüsse über die Jahre alle akkumuliert, kämen wir wohl auf (einen) rund 15 bis 20 Prozentpunkte“ höheren Anteil der Vermögenspositionen im Ausland gegenüber dem Volkseinkommen. Derzeit liege der bei 40 %. *16)

Das Volkseinkommen in 2012 (in jeweiligen Preisen; s. Bundesbank/Monatsbericht 15.1.2014, S. 63*) beläuft sich auf 2054 Mrd. €. Somit wäre die deutsche Vermögensposition im Ausland ohne Finanzkrise – mit 60 % des Volkseinkommens von Prof. Schmidt angenommen – 1232 Mrd. €. Nach der von den USA ausgegangenen Finanzkrise – 40 % des Volkseinkommens – verbleiben 822 Mrd. € Vermögensposition im Ausland. Deutschland hat also einen Verlust von 410 Mrd. €  an Auslandsvermögen hinnehmen müssen: 5125 € pro Kopf der 80 Mio. Deutschen. Käme nicht die unverantwortliche Investitionspolitik deutscher Landesbanken etc. dazu, könnte man sagen: „Thank you, America“.

Dennoch erscheint die sehr bittere Frage berechtigt: Was hat Professor Krugman geleistet, um die lange schwärende US-Finanzkrise und das katastrophale Platzen der Immobilienblase zu verhindern? Warum brandmarkt er ausgerechnet Deutschland, das durch die US-Finanzkrise besonders viel verloren hat, als Schuldigen für den langsamen Aufstieg aus dem von Amerika ausgegangenen Desaster?

Zum Schaden kommt der Hohn aus den USA. Von einem anderen Nobelpreisträger der Ökonomie, Prof. Joseph Stiglitz. Rudolf Böhmler, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank, hatte in einem Vortrag am 19. März 2009 berichtet: „Der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz … erklärte mir mit erkennbarer Schadenfreude: ´Die Amerikaner können froh sein, dass die Europäer und insbesondere die Deutschen dumm genug waren, unsere faulen Hypothekengeschäfte aufzukaufen.`“ (Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln, Nr.13, 25.03.2009, S.7).

Und nicht zuletzt geht neuerdings der amerikanische Finanzminister Jack Lew auf Konfrontation zu Deutschland und „kritisiert die starke Exportorientierung.“ *17).

Natürlich wissen Lew, Stiglitz und Krugman, dass die deutsche Exportorientierung – vom Standort Deutschland werden wertmäßig mehr Waren ins Ausland geliefert als eingeführt – den Verzicht auf deren Absorption für inländischen Konsum oder Investition bedeutet. Diese Partner wissen sehr wohl, dass der „Exportorientierung“ die deutsche „Sparorientierung“ entspricht. Und die Vertreter des „jungen“ Amerika wissen, dass dies für eine demographisch alte deutsche Bevölkerung notwendig ist. Daher ist die Sicht dieser hochrangigen Amerikaner für deutsche Transatlantiker überhaupt nicht zu akzeptieren.

Bundeskanzlerin Merkel habe, so berichten Medien, „die transatlantische Freihandelszone mit den USA als das „mit Abstand wichtigste Zukunftsprojekt“ in der Handelspolitik bezeichnet.“ *18) Als transatlantisch orientierter Bürger bin ich der Kanzlerin dankbar für diese weitblickende Orientierung auf die angestrebte Freihandels- und Investitionspartnerschaft TTIP zwischen der EU und den USA.

Doch was ist von diesem großartigen Zukunftsprojekt zu halten, wenn amerikanische Spitzenpolitiker und Top-Ökonomen eine nahezu destruktive Sicht auf Deutschland pflegen, den wichtigsten und engagiertesten Partner in der EU für diese Vision?

*1) Die Deutschen sollen endlich bluten, 07.11.2013, http://www.finanzen100.de/finanznachrichten/

*2) Paul Krugman, November 3, 2013, German Surpluses: This Time Is Different; http://krugman.blogs.nytimes.com/2013/11/03/german-surpluses-this-time-is-different/

*3) Karl W. Roskamp, Die amerikanische Wirtschaft 1929-1970; Band 1 der Reihe Systematische Einführung in nationale Volkswirtschaften, herausgegeben von Horst Claus Recktenwald; Stuttgart 1975, S. 169, 172 (Hervorhebung RS)

*4) Central Intelligence Agency (CIA); World Fact Book, Country Comparison: Exports, a.a.O. Country Comparison: Imports. https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/rankorder/2078rank.html. Weltrang Export: EU, China, USA, Deutschland… Weltrang Import: EU, USA, China, Deutschland…

*5) Exportförderung durch z.B. Subventionen, Preissenkungs- und Produktionsbeihilfen; Importlizenzen, nicht-tarifäre Importbeschränkungen werden vor den „WTO Dispute Settlement Mechanism“ gebracht. Dabei geht es um „Technical Barriers to Trade (TBT)“ z.b. gegen Textil- oder Motorradimporte oder „Sanitary and phytosanitary measures (SPS)“, etwa Nahrungsmittelsicherheit, die heimische Anbieter von Nahrungsmitteln und Getränken schützen. Siehe: WTO, 2 and 14 June 2012, Trade Policy Review: China.

*6) Die Abkürzung TTIP folgt der in der transatlantischen Debatte häufigsten Bezeichnung: Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP).

*7) Vereinfachend sei erläutert: Die Zahlungsbilanz erfasst in Form einer „Buchhaltung“ die wirtschaftlichen Transaktionen zwischen „Inländern“ und „Ausländern“: Ex- bzw. Importe von Waren (Handelsbilanz), Dienstleistungen (Dienstleistungsbilanz), unentgeltliche Übertragungen („Schenkungsbilanz“. Z.B. Regierung stellt UN Mittel zur Verfügung oder „Gastarbeiter“ überweisen Geld an ihre Familien im Ausland) und Forderungen (Kapitalbewegungen oder Gegenbuchungen; Kapitalverkehrsbilanz). Die Überschüsse im deutschen Warenexport sind in den letzen Jahren sehr hoch. Die Dienstleistungsbilanz und die Bilanz der unentgeltlichen Übertragungen sind defizitär, aber – in absoluten Zahlen – sehr viel geringer. Mit der Waren-Handelsbilanz bilden diese beiden Teilbilanzen der Zahlungsbilanz die sogenannte Leistungsbilanz: Waren, Dienstleistungs- und „Schenkungs“-Transaktionen Deutschlands mit dem Ausland werden hier erfasst. Die Überschüsse im Warenexport bestimmen also den Überschuss in der Leistungsbilanz.

Die übrigen Posten der Zahlungsbilanz sind die spiegelbildlich jenen grenzüberschreitenden Transaktionen entgegenstehenden Veränderungen von Forderungen (Vermögensposition) zwischen Deutschland und dem Ausland. Denn einem deutschen Exportüberschuss und einem Überschuss in der Leistungsbilanz entspricht „buchhalterisch“ ein Netto-Zuwachs an Forderungen gegen das Ausland, anders ausgedrückt: eine Verbesserung unserer Vermögensposition (Bestand der Forderungen minus Bestand der Schulden hat sich im Betrachtungsjahr erhöht.)

Daher ist die gesamte Zahlungsbilanz „buchhalterisch“ – jeder „Buchung“ in der Leistungsbilanz entspricht eine „Gegenbuchung“ in der Bilanz der Forderungen (Kapitalverkehrsbilanz) – stets ausgeglichen. Natürlich erfolgt die statistische Erfassung der Posten in der Zahlungsbilanz nicht durch „Buchung“. Das Statistische Bundesamt ermittelt den Warenhandel, die Bundesbank den Rest. Viele Transaktionen (Meldungen der Ex- und Importeure sowie Banken) werden fehlerhaft und unvollständig erfasst. Den „buchhalterischen Ausgleich“ stellt dann die Bundesbank durch den stark schwankenden „Saldo der statistisch nicht aufgliederbaren Transaktionen“ her. Im Gegensatz zum Bilanzbegriff in der BWL, wo sich die Größen auf einen Zeitpunkt beziehen (Bestandsgrößen), sind die Transaktionen in der Zahlungsbilanz auf einen Zeitraum bezogen (Strömungsgrößen). Man muss also immer das betreffende Jahr angeben.

*8) Entwicklung des deutschen Außenhandels; Außenhandel // http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52842/aussenhandel, 9.9.2013. Wenn nicht anders vermerkt ist, beziehen sich die Begriffe Außenhandel, Export, Import, Exportüberschuss auf den Außenhandel mit Waren, da dieser den Leistungsbilanzüberschuss verursacht.

*9) Dieses im Detail komplizierte, in der Zahlungsbilanzstatistik verwendete „Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken, Ausgabe 2009 (GP2009)“ entspricht m.E. nicht durchweg dem in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) üblichen Begriff der Investitionen. In der VGR wird das Privathaus den Investitionen, im GP2009 den Konsumgütern als Gebrauchsgut zugerechnet. Vgl. www.bundesbank.de/Redaktion/DE/DownloadsVeroeffentlichungen/; Statistische Beihefte_3/2013/2013_03_zahlungsbilanzstatistik.pdfGüterverzeichnis für Produktionsstatistiken, Ausgabe 2009 (GP2009).

*10) Dieses prozentuale Verhältnis des Saldos der Außenhandelsbilanz zur Summe der Ausfuhren und der Einfuhren einer Gütergruppe (oder des gesamten Außenhandels mit Waren) bezeichnet das Statistische Bundesamt als „Normierte Außenhandelsbilanz“. Vgl. Statistisches Bundesamt; Export, Import, Globalisierung – Deutscher Außenhandel, 2011; www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/; S. 29.

*11) Deutsche Bundesbank, Zahlungsbilanzstatistik, März 2013, Spezialhandel nach Warengruppen, S. 16 (eigene Berechnung).

*12) Vgl. mein Blog „Helmut Schmidt zur „starken“ deutschen Zahlungsbilanz“, 04. DEZEMBER 2011.

*13) Streit über deutsche Exportstärke, www.haz.de/Nachrichten/Wirtschaft/Deutschland-Welt/Deutschland-droht-EU-Pruefverfahren-wegen-Aussenhandelsueberschuessen, 06.11.13.

*14) www.tagesspiegel.de/wirtschaft/bruessel-provoziert-streit-um-deutsche-exporte-wegen-riesiger-handelsueberschuesse-droht-eu-verfahren-wirtschaft-der-euro-zone-waechst-nur-leicht/9032942.html; 06.11.2013.

*15) Vgl. die Literaturhinweise in meinem Blog „Jugendarbeitslosigkeit: Macht Wahlkampf faktenblind?“ 27. JUNI 2013.

*16) „Man hofft, eine Art Perpetuum mobile zu erschaffen, Interview mit Prof. Dr. Christoph M. Schmidt, Chef der Wirtschaftsweisen. Von Mark Schrörs und Stephan Lorz, Börsen-Zeitung, Frankfurt am Main, vom 31. Dezember 2013. Der von Prof. Schmidt verwendete Begriff „Wertschöpfung“ entspricht dem hier verwendeten bekannteren Begriff Volkseinkommen. Das sind alle Leistungseinkommen (z.B. Gehälter, Mieten, Pachten, Zinsen, Dividenden, Gewinne) in einem Jahr. Renten, Pensionen, Arbeitslosengeld, Kindergeld gehören nicht dazu: Das sind Transferzahlungen, nicht Einkommen für eine „ökonomische Leistung“.

*17) US-FINANZMINISTER LEW BEI SCHÄUBLE, Mahnungen vom Amtskollegen, www.handelsblatt.com.; 08.01.2014.

*18) Merkel nennt EU-US-Freihandelsabkommen wichtigstes Zukunftsprojekt, Donnerstag, 21. Februar 2013, http://de.reuters.com/article/topNews/.