Verfassungsrichtern und Klägern: Danke!

Frau Professor Däubler-Gmelin und Herr Gauweiler blickten bei den ersten Worten von Professor Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, als hätten sie Deutschland vor dem Untergang bewahrt.

Gemessen am Kurztext des Urteils „Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung der Ratifikation von ESM-Vertrag und Fiskalpakt überwiegend erfolglos“ könnten die bedeutsamen Blicke, die sie sich zuwarfen, zu ironischen Kommentaren einladen. Das wäre völlig verfehlt. Den vielen Klägern, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum ESM- und Fiskalvertrag herbeiführten, gebührt Dank und Respekt.

Auch der Stoßseufzer von Oppositionsführer Steinmeier, „endlich“ könne der ESM arbeiten, sollte sich nicht gegen die Kläger richten. Der Kommentar des Präsidenten der EU-Kommission, Barroso, „Es war auch Zeit“ kann als unverschämt bezeichnet werden. Das Bundesverfassungsgericht benötigt auch nicht die unkluge Wertung von Außenminister Westerwelle „Das ist eine kluge Entscheidung im pro-europäischen Geist unserer Verfassung.“ Hoffentlich wird (politisch zertifizierte) „Klugheit“ nicht zum Maßstab für Entscheidungen der Verfassungsrichter.

Die FAZ (faz.net-liveticker 12.09.2012) hat bedeutende Kommentare zum Urteil veröffentlicht:

„Insgesamt ist das Urteil gut, weil es 1. die gesamtschuldnerische Haftung der Bundesrepublik von 642 Milliarden Euro auf 190 Milliarden reduziert, weil es 2. die Geheimhaltungsregel des ESM-Vertrages kippt, 3. den ESM seiner Bankenlizenz beraubt und 4. das Aufkaufprogramm der EZB implizit als unrechtmäßig geißelt.“ (Professor H.W. Sinn, Präsident Ifo-Institut).

Die Aussage Herrn Sinns zu 3. beruht wohl auf dem folgenden Satz des Urteils: „Da eine Aufnahme von Kapital durch den ESM bei der Europäischen Zentralbank allein oder in Verbindung mit der Hinterlegung von Staatsanleihen mit dem in Art. 123 AEUV (d.h. Vertrag über die Arbeitsweise der EU, RS) verankerten Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung nicht vereinbar wäre, kann der Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.“

Prof. Sinns Aussage zu Punkt 4 stützt der Satz: „… ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt.“

Deshalb hat die EZB bisher solche Ankäufe ausdrücklich als geldpolitische Sondermaßnahme bei Störungen auf den Finanzmärkten begründet. Durch solche Störungen würden geldpolitische Maßnahmen in ihrer Wirkung auf die Realwirtschaft beeinträchtigt. Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB könne dann die Zusammenarbeit zwischen Banken im Euroraum normalisieren und der geldpolitische Transmissionsmechanismus wieder wirken (s. Blog Salut Maître, 21.11. 2011). Dieser Auffassung steht bekanntlich Bundesbankpräsident Weidmann kritisch gegenüber.

Professor W. Franz, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, bewertet zusammenfassend: „Die Kläger, die bezweifelt haben, dass die Haftungsgrenze im Vertrag fest gedeckelt ist, haben da offenbar einen wunden Punkt erwischt.“ (FAZ).

Der Bürger hat also Grund, den Klägern zu danken, deren Vorgehen das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu klarstellenden Maßstäben veranlassten. Diese seien hier referiert bzw. zitiert:

Erstens: Im internationalen Bereich und auch im EU-System zwischenstaatlichen („intergouvernementalen“) Regierens müsse die Entscheidung über Ausgaben und Einnahmen, über Haftungsübernahmen und Verpflichtungsermächtigungen, über jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme in der Hand des Deutschen Bundestages verbleiben.

Zweitens: Dem Deutschen Bundestag sei untersagt, „finanzwirksame Mechanismen zu begründen, die zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können. Es ist dem Bundestag insoweit auch als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind.“

Drittens: Die Belastungen, die der ESM-Vertrag für den Bundeshaushalt bedeutet, sind also „klar und abschließend festzulegen“. Und deshalb „muss die Bundesrepublik Deutschland bei der Ratifikation des ESM-Vertrages … für die gebotene Klarstellung sorgen und sicherstellen, dass sie an den Vertrag insgesamt nur dann gebunden ist, wenn für sie ohne Zustimmung des Bundestages keine über die Haftungsobergrenze hinausgehenden Zahlungspflichten begründet werden können.“ Dies werden die Partner der Eurozone akzeptieren müssen.

Viertens: Professor Voßkuhle erinnerte die Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat daran, dass der demokratische Prozess offen bleiben müsse. Offen auch für Veränderungen des Vertrages zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag) und des Vertrages über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion (Fiskalpakt). Eine „irreversible rechtliche Präjudizierung künftiger Generationen“ sei zu vermeiden.

Mit diesen Vorgaben hat das Bundesverfassungsgericht die Ratifizierung der beiden völkerrechtlichen Verträge – ESM-Vertrag und Fiskalvertrag – ermöglicht. Die Freude der Bundesregierung und der Bundestagsfraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen ist verständlich. Sie wird sicher von vielen europapolitisch engagierten Bürgern geteilt.

Die Kläger, die diese beiden Vertragswerke als verfassungswidrig beurteilten, hatten keinen Erfolg. Ihre Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, um die Ratifizierung dieser Verträge zu verhindern, wurden abgelehnt.

Dennoch – Hut ab vor den Klägern! Sie haben durch ihre Anträge beim Bundesverfassungsgericht bindende Vorgaben für internationale Finanzhilfen der Bundesrepublik erwirkt. Der Weg in eine Schulden- und Haftungsunion ist durch die Verfassungsrichter erheblich erschwert worden.

Das höchste Gericht hat die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Abgeordneten in die Pflicht genommen. Unsere Bundestagsabgeordneten bleiben den Bürgern rechenschaftspflichtig für verantwortliche „Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen“ – wie im Fall bedeutsamer Belastungen des Bundeshaushalts durch Maßnahmen internationaler Solidarität auf Kosten des deutschen Steuerzahlers.