Vermilion Flycatcher.

Unter Wutbürgern finden sich auch Sozialliberale. Mit kalter Wut mag am Montag, 28. Januar, mancher von ihnen die SPD-Pressekonferenz in Potsdam verfolgt haben.

Dort leitete der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel eine kurze Rede Peer Steinbrücks gegen eine „Regierung in Auflösung“ ein. Peer Steinbrück erläuterte daraufhin fünf Themen zu seinem Leitmotiv, dass auch ein wirtschaftlich starkes Land soziale Gerechtigkeit brauche, um Zusammenhalt und Stabilität zu sichern.

Die Themen des Kanzlerkandidaten sind: Finanzmärkte bändigen, Realwirtschaft stärken; gute Arbeit, gute Löhne gegen Altersarmut; Betreuungsinfrastruktur für Kinder statt Geldtransfers; Gerechtigkeit durch Bildung; Abschaffung der Drei-Klassen-Medizin.

Alles stringent begründet und ausgeführt. Aber der Eindruck, den Peer Steinbrück machte, konnte Sorgen bereiten. Sicher ist er dünnhäutig. Jede Führungskraft, gleich welcher Ebene, muss gelegentlich stoisch ignorieren können, wenn mindestens die Hälfte der KollegInnen ihn oder sie zum Henker wünscht. Was muss Peer Steinbrück in den Gesichtern während der Klausurtagung gelesen haben?

Das sichtbare Resultat: Steinern seine Miene beim Vortrag, unfroh der Blick, grau das Gesicht, der spontane Scherz, die feine Ironie, die witzig treffende Formulierung – alles weg. Droht hier Burn-Out?

Dazu das öde Auditorium, die vorderen Sitzreihen leer, gerade mal 10 – 15 Journalisten, eine einzige bekanntere Dame darunter, sonst nur Kameraleute. Auch die Titelseite des „vorwärts“ zum Jahreswechsel passt zu dieser Szene. Das bekannte Bismarck-Bild leicht abgewandelt mit Peer-Konterfei und Gehrichtung auf dem Fallreep: Der Lotse geht an Bord. Ohne jeden Schwung, tastend, alt, von gestern. Dicker kann die Assoziation zum Lotsen, der von Bord geht, nicht aufgetragen werden.

Was habt ihr mit Peer Steinbrück gemacht? Immerhin soll Sigmar Gabriel*) eine kluge Entscheidung zu verdanken sein: Peer Steinbrück werde eine längere Informationsreise nach Amerika unternehmen, um neben politischen Gesprächen auch solche über Kommunikationsstrategien zu führen.

Zur Erholung und Abwechslung möge er – wie 1984 Willy Brandt – die peruanische Hauptstadt Lima besuchen. Dort ist Kochkunst im Weltformat zu Hause. Freunde der APRA könnten mit ihm durch Parks von San Isidro und Miraflores gehen. Die Stille des Nachmittags, die olivos, poncianas, jacarandas, acacias, algarrobos, das leise Klagen der Perutauben.

Doch da, unvermittelt, sieht er den kleinen, an Kopf und Brust scharlachrot gefiederten Vogel im Parque Baden-Powell. Den Vermilion Flycatcher.**) Still, ganz ruhig beobachtend auf seinem Ast im Sonnenschein. Urplötzlich schnellt er hoch, fliegt einen kurzen Bogen und verspeist das Insekt.

So ist es auch in der Politik. Die Gelegenheiten zu punkten werden kommen. Und vor allem: Peer Steinbrück mit seinem Hintergrund von Leistung und Verantwortung hört, sieht, denkt und urteilt klarer als seine linke Umgebung. Möge er ganz ruhig abwarten und scharf beobachten. Und dann blitzartig die Chance in der politischen Arena nutzen. Wie der Vermilion Flycatcher auf seinem Ast.

Und Sozialliberale sollten die SPD-Führung auffordern: Lasst dem Kanzlerkandidaten die Freiheit. Ihr habt ihn gewählt. Dann lasst ihn auch führen. Peer Steinbrück kann Wähler der Mitte überzeugen und gewinnen. Aber nicht mit einer Agenda des Betrugs an diesen Wählern. Nehmt ihm die Freiheit, sperrt ihn in den Konformismus der Partei, und er verliert die Farbe und die Wirkung. Wie der Vermilion Flycatcher im Käfig.

*) Nachtrag 02. Februar 2013: Sigmar Gabriel ist nach SPIEGEL ONLINE (03. November 2012, Gabriel fordert Erhöhung des Kanzler-Gehalts) Urheber des öffentlich allein Steinbrück zugerechneten Umfrage-Desasters. „Nach der Diskussion über Steinbrücks Interview zum Thema „Kanzlervergütung“ nimmt die Kritik an der Arbeit Steinbrücks deutlich zu. Im Profilvergleich zu Merkel verliert er hinsichtlich Glaubwürdigkeit und auch Wirtschaftskompetenz. Dies bleibt nicht ohne Konsequenzen: bei der Direktwahlfrage vergrößert die Kanzlerin ihren Vorsprung gegenüber dem Herausforderer von 10 auf jetzt 25 Punkte. Auch die SPD fällt um einen weiteren Punkt auf 28 % zurück …“ (Newsletter von infratest-dimap.de, 11. Januar 2013).

Selbstverständlich ist deshalb vom SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel rückhaltlose Solidarität mit Peer Steinbrück zu erwarten.

**) Bildquelle: Wikipedia, The Vermilion Flycatcher (Pyrocephalus rubinus); mit bestem Dank an den Ornithologen Dr. Armin May.