Versöhnen statt spalten!

 

Unter diesem Motto hatte Johannes Rau sein Amt als Staatsoberhaupt Deutschlands geführt. *1)

1. Johannes Rau und Joe Biden — Vorbilder gegen spaltende Politik.

“Totaler Krieg gegen Wahlbetrug“ — diese hetzerische und sachlich haltlose Ankündigung aus der Familie Trump bestätigt, wie fundamental die politische Maxime des Bundespräsidenten Johannes Rau für friedlichen Zusammenhalt in der Demokratie ist. “Krieg beginnt im Kleinen, in den Köpfen“ (Rau), und der notwendige demokratische Wettbewerb politischer Gegner darf bei aller Härte in der Sache nicht in Feindschaft ausarten.

Die Präsidentschaft Trumps zeigt bis zuletzt, dass in ihrer Freund-Feind-Politik jedes Mittel erlaubt ist: demagogische Hetze, ständige Lüge bis hin zur Ermutigung gewaltbereiter Anhänger. In diesen spalterischen Exzessen, gerade während der Covid-19-Krise, mag die entscheidende Ursache für Trumps Wahlniederlage liegen, weniger in der von den Republikanern getragenen Wirtschaftspolitik, die auf Steuersenkung und De-Regulierung in den Bereichen Energie und Umwelt sowie auf protektionistische Handelspolitik gerichtet ist.

“I pledge to be a President who seeks not to divide, but to unify. To make progress, we must stop treating our opponents as our enemy. We are not enemies. We are Americans.“ Diese Botschaft Joe Bidens kann sich für die deutsche Sozialdemokratie mit der Erinnerung an Johannes Raus Leitsatz “Versöhnen statt spalten“ verbinden.

2. Für Präsident Joe Biden: in die transatlantischen Beziehungen investieren.

Dies sollte bewirken, dass Deutschland dem Appell Botschafter Ischingers folgt, dem “US-Präsidenten Joe Biden die Hand zu reichen. ´Der Mann braucht Hilfe, er braucht von uns Europäern ein Angebot. Er wird dieses Amt ja nicht aus einer Position der Stärke antreten können`“. *2)

Der christdemokratische Außenpolitiker Norbert Röttgen fordert daher von der deutschen Politik, sie müsse sich „viel substanzieller mit mehr Ressourcen, mit mehr Geld, mit mehr politischer Initiative in dieses transatlantische Verhältnis, in diese Partnerschaft einbringen“ *3).

  • Das bedeutet im Urteil Röttgens nicht nur, einen höheren Beitrag zur Verteidigung im NATO-Bündnis zu leisten, sondern auch die USA in entwicklungspolitischen Aufgaben zu entlasten, insbesondere in den Nachbarschaftsräumen der EU: in der Ukraine, in Belarus, in Georgien, in Afrika, insbesondere seinen nördlichen Mittelmeer-Anrainern, sowie im Nahen und Mittleren Osten.
  • Über Röttgens Forderung hinaus könnte ein neues Angebot Deutschlands im Sinne der Präsidentschaft Joe Bidens auch “an alle Amerikaner“ gerichtet werden: Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und der Stärkung der transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen.
  • Weiterhin wurde ein auch für die politische Kultur schwerwiegendes Defizit des amerikanischen Bildungssystems von Botschafter Klaus Scharioth benannt *4): die Finanzierung der Schulen durch die Gemeinden. In zu vielen relativ armen US-Gemeinden sei daher die schulische Bildung sehr unzureichend. Diese Diagnose aufgreifend, könnte eine deutsch-amerikanische Zusammenarbeit entwickelt werden, die sich auf deutsche Erfahrungen mit der Finanzierung der Schulen durch die Bundesländer, mit der Lehrlingsausbildung und mit dem System der Berufsschulen stützt.

Nach den konfliktreichen Jahren der Präsidentschaft Trumps sollte, so fordert Röttgen, Deutschland sein politisches und finanzielles Engagement für eine neue Gestaltung der transatlantischen Allianz massiv verstärken. Röttgen begründet seine Forderung an die deutsche Politik mit dem nationalen und europäischen Interesse an engen Beziehungen zu den USA: „Wenn wir uns nicht selber für uns engagieren, andere werden es nicht mehr tun. Und wenn wir es nicht tun, werden wir irrelevant werden, und der zurückgekehrte Großmächte-Konflikt wird uns zur Seite drängen und dann werden wir uns nicht behaupten in unseren Interessen und auch nicht in unseren Werten.“ *3)

3. Deutschland und die EU: abkoppeln von den USA?

Zweimal hatte Röttgens Gesprächspartnerin, Christiane Kaess, gefragt, ob er glaube, dass seine Forderung politisch durchsetzbar ist. Solche Zweifel drängen sich gewiss auf, wenn vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich verlautet: “Es gibt ernstzunehmende Stimmen auch in Europa, dass wir uns stärker abkoppeln müssen, auch von dem, was in den USA passiert. Und zu diesen Stimmen gehöre ich auch“. *5) Leider ist nach Mützenichs Forderung zum Abzug von US-Nuklearwaffen aus Deutschland, dem von ihm betriebenen Weg der SPD zur LINKEN und dem linken und rechten Anti-Amerikanismus in Deutschland die Abwendung von den USA ein ernst zu nehmendes Szenario.

Ob es noch hilft, an deutsche Dankesschuld zu erinnern, an das, was die USA für unser Land getan haben?

  • Befreiung von der Naziherrschaft.
  • Aburteilung führender Nazi-Verbrecher in den Nürnberger Prozessen.
  • Amerikanische Hilfe beim Überleben in Deutschland nach dem Krieg: Care-Pakete, Marshallplan.
  • Schutz Westdeutschlands vor der UdSSR, Verteidigung  Westberlins durch die Luftbrücke 1948.
  • Integration der Bundesrepublik Deutschland in die westliche marktwirtschaftliche Gemeinschaft ab 1949.
  • Integration der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Sicherheitsbündis NATO und damit Schutz im Kalten Krieg 1955.
  • John F. Kennedys Worte 1963 “Ich bin ein Berliner” – Bedeutung für die Sicherheit Westberlins.
  • Unterstützung der Ostpolitik Willy Brandts und des Helsinki-Prozesses.
  • Präsident Ronald Reagans Rede am 12. Juni 1987 am Brandenburger Tor: “Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, tear down this wall! Yes, across Europe, this wall will fall. For it cannot withstand faith; it cannot withstand truth. The wall cannot withstand freedom.”
  • Fall des Eisernen Vorhangs, Wiederherstellung der deutschen Einheit unter der Führung des US-Präsidenten George Herbert Walker Bush.
  • Gegenüber europäischem und deutschem Versagen Rettung unzähliger Menschen vor unserer “Haustür”: Intervention in Bosnien und Durchsetzung des Dayton-Abkommens 1993 – 1995 durch die Führungskraft des Präsidenten Bill Clinton.
  • Kampf gegen den internationalen Terrorismus bei sehr begrenztem Engagement Europas und Deutschlands.

Und heute steht der demokratische Westen vor drängendsten Herausforderungen: durch aggressive Expansion und Bedrohung der Nachbarschaft seitens Chinas, Russlands und des Iran; durch Kriege, Terror und Verbreitung von Waffen der Massenvernichtung; durch Pandemien; durch 80 Millionen Flüchtlinge weltweit; durch drohenden Klimawandel und die Zerstörung der Biodiversität — wie sollten denn Deutschland und die EU ohne die USA diese globalen Probleme mit Erfolg bearbeiten können?

Da sollte die Entscheidung nicht schwerfallen, welcher der hier zitierten Politiker zu den “ernstzunehmenden Stimmen“ zählt: Rolf Mützenich (von den USA abkoppeln) oder Norbert Röttgen (massiv in die transatlantische Partnerschaft investieren)?

„Auf die transatlantischen Beziehungen wird es entscheidend ankommen, wenn wir die Herausforderungen in unserer einen Welt erfolgreich bewältigen wollen. Unsere Beziehungen ruhen auf einem festen Fundament. Natürlich können sie, wie alle engen Beziehungen, nur funktionieren, wenn wir sie dauerhaft und aufmerksam pflegen.“ *6)

Transatlantiker mögen Johannes Rau für diese Feststellung danken, dem Brückenbauer mit dem Leitwort “Versöhnen statt spalten“.

*1) Bundespräsident Johannes Rau (1999 – 2004); https://www.bundespraesident.de/DE/Die-Bundespraesidenten/Johannes-Rau/johannes-rau-node.html. Zur Bedeutung dieses Mottos für Johannes Rau schrieb Cornelius Bormann: In „Wuppertal erlebte er im Mai 1943 eine schlimme Bombennacht. Solche Ereignisse galt es für ihn zu verhindern. ´Versöhnen statt spalten` wurde deshalb das Motto seines Lebens. Der Krieg nämlich – so Johannes Rau – beginnt im Kleinen, in den Köpfen.“ Siehe: “Versöhnen statt spalten“. Nachruf auf Johannes Rau. Von Cornelius Bormann. 27.01.2006; https://www1.wdr.de/archiv/rau/bormann_nachruf100.html

*2) “Ischinger: Biden braucht Hilfe von Europa.“ 07.11.2020; https://news-und-nachrichten.de/artikel/ischinger-biden-braucht-hilfe-von-europa/. Wolfgang Ischinger war Deutscher Botschafter in den USA von 2001 bis 2006.

*3) Norbert Röttgen (CDU). „Auch Biden-Administration wird auf China und Asien fokussiert bleiben“. Norbert Röttgen im Gespräch mit Christiane Kaess. 05.11.2020; https://www.deutschlandfunk.de/norbert-roettgen-cdu-auch-biden-administration-wird-auf.694.de.html?

*4) Klaus Scharioth. „Quo Vadis, USA?“ Im Anschluss an die Election Night analysiert der ehemalige deutsche Botschafter in den USA, Klaus Scharioth, den vorläufigen Wahlausgang in den USA. Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg (DAI Heidelberg). Live übertragen am 04.11.2020; https://www.youtube.com/watch? Klaus Scharioth war Deutscher Botschafter in den USA von 2006 bis 2011.

*5) Handelsblatt. SPD-Fraktionschef Mützenich für stärkere Abkoppelung von den USA. 04.11.2020; https://www.handelsblatt.com/dpa/konjunktur/wirtschaft-handel-und-finanzen-spd-fraktionschef-muetzenich-fuer-staerkere-abkoppelung-von-den-usa/26588608.html?

*6) Rede von Bundespräsident Johannes Rau vor dem Economic Club am 20. Februar 2002 in Detroit. Bulletin 15-1. 02. März 2002; https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundespraesident-johannes-rau-784366