Von oben herab?

Gestern wurde ich in einem Café Zeuge des Unmutes einiger Jugendlicher etwa im Alter von Erstwählern. Die deftigen Ausdrücke zu Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frau Katrin Göring-Eckardt (GRÜNE), Herrn Christian Lindner (FDP) und Herrn Horst Seehofer (CSU) mache ich mir nicht zu eigen.

Jedenfalls hörte ich zornige Kommentare über „Jamaika“, die mögliche schwarz-gelb-grüne Koalition, lange bevor sie das Ziel der Regierungsbildung erreicht hat.

Die etwas lautstark einige Pressefotos kommentierenden jungen Leute wurden von älteren Herrschaften mit einigem Missmut fixiert.

Man sehe der Jugend ihren Zorn über „Die da oben“ nach, flüsterte ich meiner allerdings eher amüsierten Begleiterin zu. Denn die Bilder „sondierender“ Jamaika-Spitzenpolitiker reizten offenbar die jugendlichen Temperamente durch huldvolles Winken vom Balkon des Palais Deutsche Parlamentarische Gesellschaft.

Huldvolles Winken von oben nach unten. Für die Leute. Gut gelaunt und vereint in vielleicht kommender gemeinsamer Regierungsmacht. „Das wird schon klappen“, hatte Martin Schulz nach der Wahl im TV zur etwas säuerlich reagierenden Frau Göring-Eckardt gesagt: „Herr Schulz, das bringt doch nichts.“ Seit fast vier Wochen warten wir auf erste Informationen über das kommende Regierungsprogramm.

Bis jetzt hören wir vor allem von Problemen oder launigen Selbstdarstellungen — „Ich kann auch Kanzler“, so Wolfgang Kubicki (FDP).

Gesten vom Balkon herab. Man kennt es von Präsidenten südamerikanischer Länder: Volksreden vom Balkon, der sogenannte Balconazo! Nicht selten mit bösen Folgen der populistischen Großgesten von oben herab — für das Volk …

Doch bei uns ist ja alles anders. Und dennoch beginnen Hinweise in der Presse zu beunruhigen. In welchem Stadium der Regierungsbildung ist das Land? In der Phase von Vorsondierungen, Sondierungen, in Zweier- und Vierer-Kreisen, in Koalitions-Vorgesprächen, Koalitionsgesprächen, Koalitionsverhandlungen? Danach werden noch Rückkopplungen der Resultate mit den Funktionären/Mitgliedern der vier Parteien folgen — diese Prozesse seien ja sooo kompliziert. Als gäbe es keine Legitimität und kein Mandat von gewählten Parteiführungen für Koalitionsverhandlungen. So ungeheuer schwierige Kompromisse nicht etwa für Regierungs-Posten, nein, allein zur Lösung von Sachfragen zum Wohle des Volkes seien notwendig. Es werde wohl sehr lange dauern, bis die neue Regierung gebildet sei.

Ist denn Opposition nur Mist? Sind die Parteien oder die Abgeordneten im Deutschen Bundestag nicht gut genug für vorausschauende politische Arbeit ausgestattet? Wird dort nicht Klarheit geschaffen, wie im Falle des Falles in einer Koalition regiert werden kann?

Sind die Zeiten nicht zu gefährlich, um Monate ohne handlungsfähige Regierung verstreichen zu lassen? Wo in Wirtschaft und Gesellschaft kann man sich denn leisten, Kooperations- und Arbeitsprogramme zu verhandeln, ohne dass ein Termin für die Vereinbarung feststeht?

Wir Bürger erwarten, dass vor Weihnachten die Regierung gebildet ist. Fast vier Wochen sind seit der Wahl des 19. Bundestages verstrichen. Acht Wochen bleiben noch, um vor Weihnachten die neue Regierung zu vereidigen.

Bis jetzt wissen und sehen wir wenig mehr als dies: Schöne Bilder unserer leutseligen Spitzenpolitiker von CDU/CSU, FDP und GRÜNEN! Winken vom Balkon des Berliner Palais der Parlamentarischen Gesellschaft. Zum Volke hinab.

Starke Symbolik — für Volksnähe oder für Abgehobenheit?!